Die Harmonie in den Raum fließen lassen

Woran denken Sie beim Begriff Feng Shui? An Glücksentchen, Klangspiele und Farben? Doch diese uralte chinesische Harmonielehre hat viel mehr Tiefgang. Ihre Hintergründe und Zusammenhänge sind indes nur wenigen bekannt.

Fernöstliche Gärten sind eine vollkommene Verbindung von Formen und Farben, Architektur und Natur, damit die Harmonie im Äußeren auch unser Inneres in die Mitte bringt.

In unzähligen Medien wurde schon über Feng Shui berichtet: schicke Hochglanzmagazine mit farbenfrohen Wohnreportagen; Lifestyle-Sendungen im Fernsehen mit oberflächlichem Ansatz; einfach gestrickte Praxisbücher für Laien nach dem Motto: „Feng Shui it yourself!“ – hier ein Glücksbäumchen in die Reichtumsecke, dort zwei Sektgläser in die Beziehungsecke und dann ein Klangspiel in die Mitte. Was in der westlichen Welt für Laien über Feng Shui geschrieben wird, beschränkt sich auf oberflächliche Handlungen und Rezepte wie zum Beispiel: Schlafen in Richtung Osten oder Norden, kein Spiegel im Schlafzimmer. Was genau dahintersteckt, scheint hingegen niemanden so recht zu interessieren. Zu komplex? Zu unverständlich? Vielleicht. Wer jedoch Feng Shui nur auf dieser Ebene wahrnimmt, dem wird sich der tiefere Sinn dieser jahrtausendealten chinesischen Harmonielehre nicht erschließen. Es fehlt das Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Raum und Mensch, Natur und Kosmos, zwischen dem eigenen Ich und der Welt.

Beginnen wir mit dem Glück, schließlich streben wir ja alle danach. Das Glück des Menschen – im Feng Shui spricht man auch von den drei Potenzialen („sancai“) oder Entitäten/Wesenheiten – besteht aus drei „Glücken“: Das Glück des Himmels („tian“) ist jenes Geschenk, das uns bei der Geburt mit auf den Weg gegeben wurde. Hier kommen die kosmischen Kräfte ins Spiel, die eng mit unseren Sternzeichen und dem Geburtshoroskop verbunden sind. Das Glück der Erde („di“) bezieht sich auf den Lebensraum, der uns umgibt und die Energie für unser Leben auf diesem Planeten schenkt. Das Glück des Menschen („ren“) schließlich steht für die Mischung der ersten beiden Faktoren und für das, was wir mit unserem freien Willen daraus machen.

Feng Shui berücksichtigt die kosmischen Ebenen, zum Beispiel über die Arbeit mit dem Geburtshoroskop, die Energie der Erde, unter anderem über den Einbezug der acht Himmelsrichtungen oder der Materie, und das Glück des Menschen, indem ihm gewisse Muster, Verhaltensweisen ebenso wie schlummernde Potenziale bewusst gemacht werden. Dieses System wird in der Feng-Shui-Literatur gerne auch verglichen mit den Beziehungen zwischen Himmel, Erde und Mensch, zwischen Sonne, Mond und Sterne, zwischen Vater, Mutter und Kind oder zwischen Herrscher, Minister und Volk – auf der abstrakten Ebene gar zwischen „Dao“ – dem erstbegangenen Weg –, der Wirkkraft und Menschlichkeit. Gemeinsam ergeben diese drei Komponenten das Chi/Qi des äußersten Friedens („taiping zhi qi“).

Die eigene Mitte im Raum: Das Zentrum des Hauses sollte bewusst gestaltet werden – zum Beispiel als Altar.

Um dem Hintergrund und Wesen von Feng Shui weiter auf die Spur zu kommen, bedarf es zuerst einer Klärung des Begriffs Feng Shui, der Wind und Wasser bedeutet. Die Chinesen erachten den Wind als jene Energie, die das Wasser zu uns bringt. Ein wütender Sturm indes bringt Zerstörung. Eine Sintflut ertränkt die Äcker. Wind und Wasser lassen aber auch die feinstoffliche Energie „Qi“ sichtbar werden. Anhand dieser beiden Naturgewalten nehmen wir über unsere fünf Sinne diese ansonsten nicht sichtbare Energie wahr. Wir spüren den Wind in unserem Haar, auf unserer Haut. Wir genießen das Wasser als Element der Reinigung und Erfrischung. Beide Naturkräfte sind reines Qi. Vieles dreht sich im Feng Shui um diese Energie, die für unsere Ratio oft so schwer fassbar ist. Qi ist das zentrale Konzept der traditionellen chinesischen Wissenschaften. In der klassischen chinesischen Medizin gilt Qi als ein Urstoff sowie ein Mittler zwischen Körper und Geist. Das Schriftzeichen für Qi steht für „Dunstbildung über Reis“. Qi kann Atem, Luft, Dampf, Gas, Wetter, aber auch Kraft oder lebenspendendes Prinzip, Einflüsse oder materielle Kraft bedeuten. Qi steht für Lebenskraft, das Blut der Erde, die Wirkung von Formen und Situationen. Qi ist in der Lage, sich zu sammeln und zu verstreuen, trübe oder klare Zustände anzunehmen, aber auch zu verstopfen oder abzufließen.

Wo Qi ist, ist Leben. Griechische Naturforscher, allen voran die Pythagorärer im sechsten Jahrhundert vor Christus, entwickelten die Idee der Ätherenergie als fünftes Element – eine intelligente, alles umgebende Ursubstanz, die die vier Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde hervorbringt. Das Wort Äther stammt von Aither, dem Gott der oberen Luftschichten. Im spirituellen Kontext wird Qi auch als „Hauch Gottes“ bezeichnet, der uns zum Beispiel über den Heiligen Geist geschenkt wird.

Von der Natur gelernt

Im Denken der traditionellen chinesischen Wissenschaften wird der Mensch, wie alle anderen Dinge auch, zu einem Gegenstand der Natur. Somit ist er auf die zyklische Regeneration seiner Verhältnisse angewiesen, weil ansonsten seine Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt, wie es Manfred Kubny in seinem Buch Feng Shui: Die Struktur der Welt formuliert. Durch die Beobachtung der Natur lernt der Mensch, mit ihren Kräften zu leben und von ihnen zu profitieren. „Der Zusammenhang zwischen der Ordnung des Menschen und der Ordnung der Natur wird durch Analogiebildung hergestellt“, ergänzt der Buchautor. Den engen Zusammenhang zwischen Naturphänomen und menschlicher Planung unterstreicht zum Beispiel folgendes Zitat aus dem chinesischen Geschichtswerk Zuo-Zhuan von 722 bis 468 v. Chr.: „Der Herzog stieg bei Neumond auf die Beobachtungsplattform, zeichnete das Gesichtete auf und vollzog Riten. Jeweils am Tag der Tagundnachtgleiche, der Sonnenwende und dem Wechsel der Jahreszeiten musste das Wolkenbild aufgezeichnet werden, damit notwendige Vorbereitungen getroffen werden konnten.“ Der Einfluss solcher Naturbeobachtungen war laut Manfred Kubny so weitgehend, dass sogar das Schicksal eines ganzen Landes daran hängen und wichtige Regierungsentscheide beeinflussen konnte.

Menschen und Räume befinden sich in einem stetigen Wechselspiel mit der Außenwelt, der Natur. Der deutsche Geomant und Feng-Shui-Berater Stefan Brönnle sieht im Wesen von Feng Shui gar das Bedürfnis der Menschen, in den pränatalen Urzustand zurückzukehren, im sogenannten Yin-Feng Shui, dem Feng Shui der Grabbauten. So baute man früher Gräber dort in der Landschaft, wo sie nach der Forminterpretation im Leib der Göttin ruhten. „Den Toten verhieß eine solche Nähe zum Göttlichen die Wiederauferstehung, ähnlich wie im Christentum Gräber um Kirchen herum angelegt werden“, begründet Stefan Brönnle. Natürlich sei dies im „patriarchal durchdrungenen Feng Shui von heute“ wohl niemandem mehr bewusst. Heute werden die Bergformen als „Drache“, „Tiger“, „Schildkröte“ und „Phoenix“ benannt und die Häuser entsprechend ausgerichtet, wenn möglich mit einer freien Sicht nach vorne (Phoenix) und einer schützenden Schildkröte in Form eines Berges oder hohen Gebäudes hinten.

Im indischen Vastu, dem Pendant zum Feng Shui, wird jedes Haus zum lebendigen, ja göttlichen Tempel, indem das Vastu-Purusha-Mandala als liegende Gestalt in den Grundriss integriert wird. Die einzelnen Rechtecke und Quadrate werden Padas genannt und gelten als von verschiedenen Gottheiten bewohnt. Im Zentrum des Hauses selbst, am Nabel, ruht Brahma, der höchste Schöpfergott. In umgekehrter Weise sprach Jesus vom menschlichen Körper als Tempel Gottes. Stefan Brönnle: „Wundert es da, dass auch unsere Kirchen, vor allem jene mit Haupt- und Querschiff, in Kreuzform den Corpus Christi nachbilden?“ Das Kirchenschiff symbolisiert die Gestalt Christi und damit den Weg der Erlösung.