Ein Leben für die Freiheit

Henryk Jankowski: Wo der Geist des Menschen genährt wird, kann die Macht des Geldes und der Gewalt ein Volk nicht ewig unterdrücken. Am Beispiel von Polen wird deutlich, daß gerade der Glaube an Gott das kommunistische System zum Einsturz brachte. Solange es Menschen gibt, die mutig für die Wahrheit eintreten, wird die Welt nicht vollständig versklavt werden. Ein Mann dieses Schlages lebt als katholischer Priester in Danzig.

Henryk Jankowski, Beichtvater Lech Walesas, rettete die Gewerkschaft Solidarnosc 1980 vor dem Untergang.

Henryk Jankowski, Beichtvater Lech Walesas, rettete die Gewerkschaft Solidarnosc 1980 vor dem Untergang.

Am 31. August 2000 waren exakt zwanzig Jahre vergangen, seit die Kommunisten in Polen mit den Danziger Vereinbarungen die Gewerkschaft Solidarität faktisch anerkannten. Zur Feier dieses Jahrestages sprach Lech Walesa, einst Arbeiterführer und später erster Staatspräsident des vom Kommunismus befreiten Polens vor der Bischofskonferenz in Danzig und bedankte sich öffentlich bei allen Menschen, die ihn damals in seinem Kampf unterstützt hatten. In dieser Rede ehrte Walesa einen Menschen besonders, nämlich seinen Beichtvater: "Unter uns befindet sich jemand, dem ich speziell danken möchte. Es ist Pater Jankowski. Ohne ihn gäbe es weder Solidarnosc noch Polens ersten Präsidenten."

Oh weh, ein Antisemit!

Henryk Jankowski: Im Sommer 1995 erlangte der Name dieses polnischen Priesters erstmals weltweite Beachtung. Nicht etwa wegen seiner Verdienste um die Befreiung Polens oder seines jahrelangen, unermüdlichen Kampfes gegen das kommunistische Regime. Nein, Grund für das auf Jankowski gebündelte Scheinwerferlicht der Medien war das Reizwort Antisemitismus. Das internationale Magazin Time hatte in seiner Ausgabe vom 3. Julie eine am 11. Juni 1995 gehaltene Predigt des Danziger Pfarrers mit den Worten zitiert: "In ihrer satanischen Gier zettelten die Juden den Zweiten Weltkrieg an, wie sie auch verantwortlich waren für den Beginn des Kommunismus."

Ein Schrei der Entrüstung hallte durch die westliche Medienwelt, umso mehr, als der polnische Staatspräsident Lech Walesa am Gottesdienst teilgenommen hatte. Kurze Zeit später riefen die Worte des Danziger Priesters den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses auf den Plan: Edgar Bronfman, kanadischer Multimilliardär und einer der einflußreichsten Männer der Welt (vgl. ZeitenSchrift-Druckausgabe Nr. 26, Seite 10).

Intervenierte Bronfman bei der Katholischen Kirche in Polen? Wandte er sich an das polnische Staatsoberhaupt? Wir wissen es nicht. Sicher ist hingegen, daß er sich an den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton wandte, denn dessen prompte Antwort ist überliefert. In einem vom 5. Juli 1995 datierten Brief an den "lieben Edgar" zeigt sich Clinton schockiert und abgestoßen von Jankowskis "schreiend antisemitischen Predigt." Des weiteren rapportierte der US Präsident: "Ich brachte das Thema Antisemitismus zur Sprache, als ich am 26. Juni mit Präsident Walesa in San Francisco zusammentraf. Ich betonte, Antisemitismus habe in der zivilisierten Welt keinen Platz und daß ich gerade von ihm erwarten würde, hierfür ein Beispiel zu setzen. - Nochmals herzlichen Dank für Deine Gedanken und Ratschläge."

Bill Clinton fand offensichtlich nichts dabei, sich gemäß dem Wunsch des Jüdischen Weltkongresses in die inneren Angelegenheiten eines souveränen europäischen Staates einzumischen, um als US-Präsident nicht-amerikanische Interessen zu vertreten.

Obwohl Lech Walesa vom US-Präsidenten Schelte bezogen hatte, distanzierte er sich nicht in aller Deutlichkeit von seinem alten Mitstreiter und Beichtvater Jankowski. Wenige Monate nach seinem Treffen mit Clinton wurde Lech Walesa zum Erstaunen vieler abgewählt. Sein Nachfolger im Amt des polnischen Staatspräsidenten wurde am 23. Dezember 1995 Aleksander Kwasniewski. Das ist bemerkenswert, denn Kwasniewski ist Jude, und Polen nach einhelligem Urteil der Welt die Glaubenshochburg des Vatikan, das katholischste Land der Welt. Aus der Geschichte wissen wir nur zu gut, daß sich Katholizismus und Judentum nicht immer grün waren. Die Polen sollen denn auch laut Medien- berichten einen starken Hang zum Antisemitismus haben. Dabei würden in Polen gerade mal 10'000, meist ältere Juden leben, berichtete am 21. Februar 1999 das TV-Magazin Weltspiegel in der ARD.

In diesem Fernsehbeitrag steht Henryk Jankowski im Vordergrund: Jankowski der Volkstribun; Jankowski der Nationalist; Jankowski der Antisemit. Die antrainierte, selektive Wahrnehmung des durchschnittlichen Journalisten wirkt auch hier und blendet alles Positive um den Danziger Geistlichen aus. Er wird als gefährlicher Volksaufwiegler dargestellt, der seine judenfeindlichen Tiraden vor überfüllten Kirchenbänken hält, während im hinteren Teil der Kirche Bücher von und über Jankowski verkauft werden, "die Stimmung machen gegen den Davidstern".

Ein älterer Kirchgänger spricht in die Kamera:

"Als im Krieg die Kommunisten kamen, da gehörte die ganze Macht den Juden, die Staatssicherheit, alles!" - Mit der Ausstrahlung eines solchen Zitates will man wohl diesem Mann Antisemitismus unterstellen, stellvertretend für Jankowskis ganze Anhängerschar.

Der ganze TV-Beitrag ist tendenziös und zielt auf diese Unterstellung ab. Trotzdem können die Macher nicht umhin, dem anklagenden Polen indirekt recht zu geben: "Für viele Polen paßte nur zu gut ins Bild, daß jüdische Intellektuelle einmal eine prominente Rolle in der Kommunistischen Partei und ihren Organisationen gespielt haben."

Die deutschen Journalisten des Weltspiegel- Beitrages sehen in Henryk Jankowski den Verfechter eines "nationalistischen Katholizismus mit antisemitischer Einfärbung." Da müßten sie eigentlich Jankowskis Ausspruch von der "Satanischen Gier" unbedingt erwähnen. Dieser im Time-Magazin verbreitete Satz hatte ja viele Menschen schockiert und in der ganzen Welt Staub aufgewirbelt. -Doch es fällt kein Hinweis darauf. Die Erklärung ist einfach: Pater Jankowski hat diese provokative Aussage so gar nie gemacht. Er kann es beweisen, weil alle seine Predigten als schriftliche Manuskripte vorliegen.

So hatte also auch die Time-Redaktion versucht, mit ihrer ungenauen Zitierweise Öl ins Feuer zu gießen und die Diskussion um den Antisemitismus künstlich anzuheizen.

Trotzdem war Jankowskis Predigt von jenem Sonntag im Juni 1995 kontrovers, denn wie so oft hielt er mit seiner Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Situation Polens nicht zurück - und das schloß Kritik an den Juden mit ein. So hatte der streitbare Priester die polnischen Bürger unter anderem dazu aufgerufen, keine Regierung mehr zu dulden, deren Mitglieder nicht öffentlich aufzeigen würden, ob ihre familiären Wurzeln in Moskau oder Israel liegen.

Jankowskis Predigt hatte in direkt auch für die ZeitenSchrift Folgen: In unserer ZeitenSchrift-Druckausgabe Nr. 13 berichteten wir über den Fall Universale Kirche und publizierten als Sonderdruck ein langes Interview mit Peter W. Leach-Lewis, dem Patriarchen der Universalen Kirche. Dieses wurde in Deutschland und der Schweiz verboten (vgl. ZS 20, Seite 60), weil der Interviewte unteranderem jenes angebliche Jankowski-Zitat aus dem Time- Magazin aufgegriffen und kommentiert hatte.

Der Beginn vom Ende der roten Macht

Im Sommer 1980 wurde Danzig auf einmal zum Brennpunkt der Weltgeschichte. Eine plötzliche und massive Erhöhung der Lebensmittelpreise löste eine Streikwelle aus, die in der Danziger Leninwerft ihren Anfang nahm. Unter der Führung des 37- jährigen Elektrikers Lech Walesa riefen die Werft-arbeiter die Gewerkschaft Solidarnosc ins Leben. Das kommunistische Regimewollte den erstmals aufflackernden Volkswiderstand sogleich mit Waffengewalt niederdrücken; damit wäre die Gewerkschaft Solidarität schnell zerschlagen worden. Daß es nicht so weit kam, ist hauptsächlich das Verdienst von Henryk Jankowski, in dessen Gemeinde Lech Walesa Kirchgänger war. Heute sagt Pater Jankowski von sich: "Ich habe Solidarnosc gerettet."

Ein Geistlicher, der die Worte des Evangeliums ebenso beherrscht wie des politischen Widerstandes, ist selten. Mit seinen flammenden Predigten erzürnte er einst die Kommunisten und heute - unter anderem – die Juden. Doch Jankowski will vor allem eines: Die Menschen zum Glauben bewegen, denn er hat erkannt: Nur eine gläubige Nation kann sich ihre Freiheit bewahren, weil letztlich der Geist über den Mammon triumphieren wird.

Henryk Jankowski polarisiert, und die Geister scheiden sich an ihm. Aber eines ist gewiß: Dieser Mann besitzt nicht nur eine Wirbelsäule, sondern auch ein Rückgrat. Nur solche Menschen haben die Kraft, andere zu inspirieren. Sie sind Vorbilder, und damit eine vom Aussterben bedrohte Spezies in unserer ach so angepaßten Welt. Solange es Menschen gibt, die mutig für ihre Überzeugungen eintreten, besteht noch Hoffnung für uns alle.

Aus diesem Grund machen wir uns auf den Weg, den vielbeschäftigten Pfarrer in der baltischen Metropole zu besuchen. Irgendwo in der Altstadt von Danzig steht die Brigittenkirche, wo Henryk Jankowski seit über dreißig Jahren jeden Sonntag predigt. Doch welche Kirche ist es? Wir fragen einen alten Mann, der gemütlich die Straße entlang schlendert und mehr Zeit zu haben scheint als das junge Volk. "Ah, Jankowski, der Antisemit!" – Wir schauen uns an. Na, das kann ja heiter werden...

Plötzlich verzieht sich das ledrige Gesicht zu einem breiten Grinsen. "Den kennt hier jeder. Jankowski ist ein mutiger Mann. Er sagt, was wir denken." Und dann weist uns der Alte zu einem wuchtigen Bau aus rotem Ziegelstein, dessen quadratischer Glockenturm sofort ins Auge sticht. Bald werden wir erfahren, daß es die Glocken jenes Kirchturmes waren, die während den Streiks von 1980 als einzige lautstark ihre Stimmen erhoben und zur Solidarität mit den Werftarbeitern aufriefen.

Das Dach der Brigittenkirche verrät, daß dieses Gotteshaus so alt nicht sein kann. Die ursprüngliche Kirche reicht in ihren Anfängen zwar bis ins 13. Jahrhundert zurück, wurde aber im letzten Weltkrieg zu einemkläglichen Steingerippe zerbombt. Es ist vor allem der Initiative von Pater Jankowski zu verdanken, daß heute wieder Tausende von Gläubigen in die Kirche strömen können. Offenbar reicht der Platz im Kirchenschiff nicht immer aus, denn an der Außenmauer sind Lautsprecher befestigt, welche den ganzen Kirchenvorplatz beschallen können.

Hinter der Kirche befindet sich ein ummauerter Innenhof, dessen Längsseite durch das große Pfarrhaus abgeschlossen wird. Das schmiedeeiserne Tor ist weit geöffnet und vermittelt mit seinen vergoldeten Speerspitzen einen Anschein von Wehrhaftigkeit. Der Empfangsraum des Pfarrhauses verstärkt diesen Eindruck noch. An den Wänden hängen Säbel, Degen und Dolche verschiedenster Größe, farbige Heraldik- Wappen und Armee-Abzeichen aus Zinn und Eisen, alles Geschenke an Henryk Jankowski. Auf einem Sockel thront unübersehbar die Statue von Marschall Pilsudski, der die russischen Invasoren 1920 bis nach Kiew zurückschlug.

"Als junger Mann habe ich lange überlegt, ob ich eine Offizierskarriere einschlagen oder mich der Kirche weihen soll", erzählt uns Henryk Jankowski später. "Ich habe das Heilige Gelübde gewählt, weil ich im Schutz der Kirche besser die Wahrheit sagen kann, die auszusprechen kaum jemand wagt." Gleich nach dem Sturz des kommunistischen Regimes durfte Jankowski kurz seine militärische Seite ausleben. "Am 17. Dezember 1989 habe ich die Miliz in meine Hände genommen. Zwei Tage später wurde sie als reguläre Polizei anerkannt. Am ersten Sonntag von 1990 war Polen frei. Dann habe ich mich gleich des Militärs angenommen." Man dankte es ihm mit der Ernennung zum Honorar-Konteradmiral und Generaldekan der polnischen Marine.

Jankowski empfängt uns in einem eindrucksvollen Sitzungszimmer. Wir lassen uns an einer langen Tafel in schwere, dunkel gebeizte Holzstühle nieder. Sie sind mit aufwendigen Schnitzereien verziert und tragen alle den Wahlspruch Danzigs: 'Nec temere, nec timide'- weder forsch noch furchtsam.

"An diesem Tisch saßen beispielsweise der deutsche Bundespräsident von Weizsäcker, Margaret Thatcher, die 'Eiserne Lady' von Großbritannien, die Kennedy-Familie und US-Präsident George Bush senior", beginnt Jankowski zu erzählen, "und nächste Woche kommt das spanische Königspaar zu Besuch." In dem Raum wurde Geschichte geschrieben. Der Kirchenmann klärt uns stolz auf: "Hier traf sich während der Krisenzeit mein Kabinett. Draußen im Hof versammelten sich jeweils Tausende von Gewerkschaftern unter dem Schutz der Kirche, während in diesem Raum die Arbeiterführer das weitere Vorgehen von Solidarnosc planten.

Am 6. April 1981 hatte Kardinal Wyszinski, das Oberhaupt der Katholischen Kirche Polens, Henryk Jankowski die geistige Betreuung der Gewerkschaft Solidarnosc übertragen. In der Danziger Region war er nach Verhängung des Kriegsrechtes für die Betreuung der politischen Häftlinge und ihrer Familien verantwortlich, für die materielle Hilfe wie für den geistlichen Beistand. Sein Pfarrhaus wurde zum Treffpunkt für Solidarnosc-Funktionäre und ausländische Politiker. Während der Streiks von 1981 hatte das Exekutivkomitee der Arbeiterbewegung 'Solidarität' seinen Sitz in Jankowskis Brigittenkirche. Sie war das Gehirn, von wo man die Streiks im ganzen Land koordiniert hatte.

Ein Gottesdienst für die Freiheit

Das Überleben der wenige Tage jungen Solidarnosc hing nicht ab von physischer Gewalt, sondern von der Kraft religiöser Gefühle. "Am dritten Tag, es war der 16. August 1980, hatte Walesa ausgespielt und alles ist zusammengebrochen", erinnert sich Henryk Jankowski. "Dann kam ich ins Spiel. Ich habe alle Arbeiter um mich geschart und am nächsten Tag die erste Predigt in der Leninwerft gehalten. Kinder und Jugendliche hatten über Nacht in der ganzen Stadt verbreitet, daß am nächsten Morgen ein Gottesdienst stattfinden würde. Alle 18'000 Werftarbeiter versammelten sich in dieser Nacht; sogar die Arbeiter der nahe gelegenen Militärwerft machten mit. Ich bewegte mich zwischen allen Werften und dem Hafen hin und her und sprach den Menschen Mut zu. Die Arbeiter transportierten per Anhänger einen Altar in die Werft, wo sie ihn unter freiem Himmel aufbauten. Ein Kreuz und eine Statue der Mutter Gottes befestigten sie gut sichtbar an einem der Türme. Und dann, um neun Uhr morgens, las ich vor 48'000 Menschen die Messe."

Diesen 17. August 1980 wird der Geistliche nie vergessen. "An jenem Sonntag standen die Menschen zu Tausenden vor den Toren der Werft, alle wollten sie am Gottesdienst teilnehmen. Die Stadtbevölkerung brachte Brot mit und verteilte es. Die Kirche hatte ihnen die Möglichkeit zur Zusammenkunft gegeben, und für diese Unterstützung waren sie dankbar. Sie verstanden, wofür wir kämpften. Hier ging es nicht länger nur um Geld und Lebensmittelpreise, sondern um die Freiheit Polens!"

Die Kunde von diesem Gottesdienst verbreitete sich über die ganze Welt. Sogar regimetreue Funktionäre und viele Mitglieder der Kommunistischen Partei nahmen an der Messe teil. "Niemand hat verstanden, wie das überhauptmöglich war", erzählt Jankowski weiter, "damals geschah ein Wunder für Europa und die Welt. Das war der Anfang vom Ende des Kommunismus. Eine Revolution ohne Schießerei. Ein Streik, der sich über einen Gottesdienst ausdrückte. Die ganze Hoffnung Polens lag in unserer Hand."