Luna's Vermächtnis: Stärke, Ausdauer, Hingabe und Liebe

Luna ist ein Mammutbaum, der in Nordkalifornien steht. Luna wurde weltberühmt, weil eine 24jährige Frau namens Julia Hill 738 Tage auf ihr lebte. Es war dies die einzige Möglichkeit, den uralten Baum vor dem Fällen zu schützen. Als Julia vom Baum hinuntersteigt, ist sie ein anderer Mensch geworden. Der Baum hat sie das wahre Leben gelehrt.

„Das Universum schickt uns vielleicht nicht immer das, was wir wollen, aber es schickt uns auf jeden Fall das, was wir brauchen, und manchmal noch ein bißchen mehr, damit wir daran wachsen können.“

Julia ‘Butterfly‘Hill

„Wenn man jemanden auf einem Baum sitzen sieht, um ihn zu schützen, dann weiß man, daß unsere Gesellschaft auf allen Ebenen versagt hat.“

Julia Hill hat jedes Recht, solch einen vernichtenden Satz zu schreiben, denn sie saß auf einem Baum – in 65 Metern Höhe, 738 Tage lang. Länger als jeder andere Mensch vor ihr. Dabei hatte sie eigentlich nur nach Orientierung und Sinn in ihrem Leben gesucht, nachdem ein schwerer Autounfall im Jahre 1996 sie des oberflächlichen Lebens als Gelegenheitsmodel und Gelegenheitskellnerin hatte überdrüssig werden lassen.

Der ‘Zufall’ brachte sie zum Grizzly Creek State Park, einem Park mit Mammutbäumen in Nordkalifornien. Dort hatte sie ein Schlüsselerlebnis, das ihr ganzes Leben umkrempeln sollte. „Während ich die Hauptstraße überquerte, hatte ich das Gefühl, als würde irgendetwas nach mir rufen. Als ich den Wald erreicht hatte, begann ich, immer schneller zu gehen, und dann spürte ich eine belebende Energie und fing an zu laufen und über die am Boden liegenden Äste zu springen, während ich immer tiefer in den Wald vordrang. Nach etwa einer halben Meile ergriff mich die Schönheit des Waldes immer mehr“, schreibt sie in ihrem Buch Die Botschaft der Baumfrau.

Riesenfarne, Flechten, Moose und Schwämme in allen Formen und Farben des Regenbogens. Bäume, die hoch wie zwanzigstöckige Gebäude ragten, und deren Kronen man höchsten erahnen konnte im Dunst und Nebel des Regenwaldes. Boden, weich von endlosen Jahren kompostierter Geschichte.

„Zum ersten Mal spürte ich wirklich, was es hieß, lebendig zu sein, sich mit allem Leben und der ihm innewohnenden Wahrheit verbunden zu fühlen – nicht der Wahrheit, die uns von sogenannten Wissenschaftlern, Politikern oder anderen Menschen vermittelt wird, sondern der Wahrheit, die im Innersten der Schöpfung existiert.“ Die Energie trifft sie wie eine Welle. „Ergriffen vom Geist des Waldes, fiel ich auf die Knie und begann zu schluchzen. Ich grub meine Finger in eine Schicht verrottenden Holzes, die so süß und reich duftete, so voll von Sedimenten des Lebens, und dann senkte ich mein Gesicht auf den Boden und atmete diesen Duft ein. Umgeben von den riesigen, uralten Giganten, spürte ich, wie der Film, den unsere disharmonische, hektische, technologieabhängige Gesellschaft auf meinen Sinnen hinterlassen hatte, hinwegschmolz. Ich konnte fühlen, wie mein ganzes Dasein in dieser majestätischen Kathedrale zu neuem Leben aufbrach. Lange Zeit saß ich dort und weinte. Schließlich verwandelten sich die Tränen in Freude, und aus der Freude wurde Heiterkeit, und ich saß da und lachte über die Schönheit all dessen, was mich umgab.“ 

Wäre sie nur ein paar hundert Meter weiter gewandert, wäre sie auf ein Schlachtfeld des Todes gekommen. Auf Ödland, gespickt mit den Stummeln rüde abgesägter, uralter Bäume, die wie lautlose Schreie aus dem verbrannten Boden ragten.

Als sie davon erfuhr, hatte sie das Gefühl, als sei mit dem Wald ein Teil von ihr selbst in Stücke gerissen worden.

„Diese majestätischen alten Plätze, welche die heiligsten Tempel sind und mehr Spiritualität bergen als jede Kirche, wurden zu Kahlschlägen und Erdrutschen. Ich mußte etwas dagegen tun. Ich wußte zwar nicht, was dieses Etwas war, aber ich wußte genau, dass ich mich nicht einfach umdrehen und weggehen konnte.“

Als sie den Wald verlassen hatte, „war ich nicht mehr dieselbe Frau. Ich spürte plötzlich einen Ruf, aber ich wußte nicht genau, ob er echt war.“ Da tat sie, was sie in Augenblicken des Zweifels und der Irritation gewohnt war zu tun: Sie betete.„ Wenn ich bete, bitte ich um Führung in meinem Leben, um der beste Mensch zu werden, der ich sein kann, zu lernen, was ich zu lernen habe, und an dem, was ich lerne, zu wachsen. Und immer, wenn ich bete, bitte ich auch darum, loslassen zu können. Das Loslassen ist der schwierigste Teil.“

„Wenn ich wirklich zurückkommen und für diese Wälder dort draußen kämpfen soll“, betete sie, „dann hilf mir bitte zu erkennen, was ich tun soll, und laß mich ein Werkzeug Deines Willens sein.“ Denn eigentlich plante sie, um die Welt zu reisen und Orte der Kraft und der Spiritualität zu besuchen. Doch nun, nach dem Gebet, empfand sie vollständigen Frieden bei dem Gedanken, auf ihre Reisepläne zu verzichten und statt dessen für die Bäume da zu sein. Gerade, als sie gehen wollte, fand sie einen Amethyst. „Der Amethyst ist mein Geburtsstein“ (sie ist Wassermann).

„Die Synchronizität war zu erstaunlich, um als Zufall gelten zu können. Mir schien, daß die geistige Welt meine Entscheidung gebilligt hatte. Hätte ich geahnt, was mir bevorstand, dann bin ich nicht sicher, ob ich diesem dringenden Ruf so bereitwillig gefolgt wäre.“

Ein Anfang mit Hindernissen

Nach dem sie zu Hause alle Sachen geregelt hat, trifft sie im November 1997 wieder in Kalifornien ein. „Ich hatte keine Ahnung, was ich tun konnte, aber ich wußte, daß es meine Aufgabe war, etwas zu unternehmen. “Ein tiefes, zwingendes Gefühl sagt ihr, daß sie den Weg gehen muß, den sie gewählt hat. „Es gab einen Ruf, und ich würde keinen Frieden finden, bevor ich ihn nicht erfüllt hatte.“

Anzunehmen, sie sei von den Waldaktivisten mit offenen Armen empfangen worden, könnte falscher nicht sein. Vielmehr schien es, als hätte sich alles verschworen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Ihre Willensstärke und ihr Sendungsbewußtsein drohen von den zersetzenden Energien wildwuchernden Chaos’ undermüdeter Resignation verwässert zu werden. Kaum jemand scheint zu wissen, was überhaupt vor sich geht, und, „schlimmer noch, niemand schien mich hier haben zu wollen. Die meisten machten sich nicht einmal die Mühe, mit mir zu reden.“

Es war Ende November, Zeit zum Aufbruch in freundlichere Gefilde. Wohl hatten die Waldaktivisten während der wetterfreundlichen Jahreszeit Bäume besetzt gehalten, doch nun, angesichts eines nassen und grimmigen Regenwaldwinters, dachten sie nur noch ans Weggehen–auch wenn dies bedeutete, daß die zuvor besetzten Bäume gnadenlos niedergemacht würden.

Eines Tages tauchte ‘Rettung’ in Gestalt eines ausgemergelten Mannes auf. „Ich brauche Leute, die bereit sind, in Luna zu sitzen!“, ruft er, und Julia antwortet sofort begeistert: „Ich mach’das!“

Luna ist ein Redwoodbaum, der sich in einem Gelände befindet, das demnächst von Pacific Lumber gerodet werden sollte.

„Wäre Pacific Lumber der Familienbetrieb geblieben, der es über hundert Jahre lang gewesen war, dann wäre es wahrscheinlich nie notwendig geworden, Luna zu besetzen“, bemerkt Julia Hill. „Von 1885 bis 1985 waren alle Leute, die für die Firma arbeiteten, Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn gewesen.(...)

Die Firmenpolitik war stets darauf angelegt gewesen, die Wälder langfristig zu erhalten.“ Also verfügte Pacific Lumber im Herbst 1985 immer noch über enorme Waldbestände. „Aber dann tauchte Charles Hurwitz auf, ein Texaner, der die Maxxam Corporation leitet und Presseberichten zu folge immer wieder Firmen aufkauft, deren Aktien unterbewertet sind, um anschließend deren Aktiva zu liquidieren. Mit Hilfe von Drexel Birnbaum, Michael Milken und Ivan Boesky, die später aufgrund von Insider-Geschäften zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, gab er hoch verzinste Junkbonds aus, Obligationen mit geringer Bonität und hohem Risiko, die er später als Druckmittel beim Ausverkauf verwendete. Hurwitz packte Pacific Lumber, das bis zu diesem Zeitpunkt nahezu schuldenfrei gewesen war, 800 Millionen Dollar Schulden auf. Zu ihrer Tilgung verkaufte er viele Firmenaktiva und erhöhte drastisch die Zahl der Rodungsaktionen. Dadurch zerstörte er die Wälder, schädigte die Umwelt und wurde zur Bedrohung für viele Arten– einschließlich der Menschen–, die dort lebten. Er benutzte auch einen 60-Millionen- Dollar-Rentenfonds, um die Junkbonds abzulösen, und wurde von Pensionären verklagt, die behaupteten, er habe ihnen ihr Geld geraubt.“

Die brutale Rodungspraxis hatte schon dazu geführt, daß die wurzellose Erde den stetigen starken Regen jener Region nicht mehr aufnehmen konnte. Erdrutsche ereigneten sich immer häufiger und machten auch vor menschlichen Siedlungen nicht Halt.

Erst zu Jahresbeginn 1997 war der Ort Stafford von einer Schlammlawine begraben worden – nichts, was Typen wie Hurwitz Gewissensbisse bereitet hätte. Ihr Kopf war nur voll von Dollars; und die Wälder bedeuteten eine Menge Dollars.

Von diesen Hintergründen hat Julia Hill noch keinen Schimmer, als sie am Fuß eines Baumes mit Namen Luna steht und hinaufblickt im Wissen, daß sie nun 65Meter hochsteigen soll, in einem mehr schlecht als recht befestigten Kletterseil hängend.

Luna befindet sich hoch oben auf einem steilen Abhang kurz unterhalb des Berggipfels, und ist meilenweit zu sehen. In ihrem langen Leben war sie von Stürmen geschüttelt und vom Blitz getroffen worden, hatte Waldbrände überlebt und war am Stamm ausgehöhlt worden – aber trotzdem steht sie noch immer fest. Julia: „Ich sollte in den kommenden Monaten von Luna noch eine Menge lernen – und dazu gehörte nicht zu letzt, daß man sich ein dickes Fell zulegen muß, wenn man überleben will.“

Dorothy Maclean, die zusammen mit Eileen und Peter Caddy Begründerin von ‘Findhorn’ war, erwähnt in ihrem Buch Du kannst mit Engeln sprechen folgende Aussage eines Baumdevas (eines jener Wesen, die Bäume beseelen): „Wir sind in vieler Hinsicht Hüter der Erde, und die Menschen sollten ein Teil sein von dem, was wir behüten. Wir sind eine Schule‘ wohlwollender Philosophen’ mit einer dem Menschen unbekannten Reinheit und dem großen Wunsch, der Menschheit zu dienen. Bäume sind lebensnotwendig für den Menschen und das Leben auf diesem Planeten, und einige von uns möchten zu gerne Kontakt mit den Menschen herstellen, bevor andere zerstören, was wir aufgebaut haben... Wir möchten die absolute Notwendigkeit betonen, die große Bäume für das Wohlergehen des Landes haben. Nicht nur, weil wir zum Teil die Regenmengen kontrollieren, sondern auch, weil wir innere Strahlungen hervorbringen, die genauso notwendig sind für das Land wie der Regen.“ Der Baumdeva klärte Dorothy darüber auf, daß die Bäume die Haut dieser Welt bilden. „Wenn ihr uns wegnehmt, trocknet der ganze dann nicht mehr funktionsfähige Planet aus und stirbt. Die ganze Erde ruft nach uns, doch ihr Menschen hört es nicht.“