Waldmedizin: Das Geschenk der Bäume

Neue Erkenntnisse aus der Forschung zeigen: Unsere Gesundheit hängt stark von einer natürlichen Umgebung und insbesondere von gesunden Bäumen und Wäldern ab. Die Entfremdung von der Natur, wie es auch eine digitalisierte Medizin will, macht ein neues Verständnis von Gesundheit nötiger denn je.

Ein bewusster Waldspaziergang gibt uns, was Medikamente uns nicht geben können.

Stehen vor Ihrem Fenster Bäume? Ja? Dann verringert sich für Sie das statistische Risiko, an Zivilisationskrankheiten zu erkranken, deutlich im Vergleich zu einem Stadtbewohner ohne Berührungspunkte zu Grünflächen. Das belegen internationale Studien, etwa jene von Marc Berman, Umwelt- und Neuropsychologe an der Universität von Chicago. In einer aufwändigen epidemiologischen Untersuchung, an der ein großes Team beschäftigt war, wurden nicht nur die Gesundheitsdaten der Stadtbewohner ausgewertet, sondern kombiniert mit Satellitenbildern und Baumkartierungen aus Toronto, Kanadas größter Metropole. Dabei stellte sich heraus, dass sich der Gesundheitsstatus der Menschen in dem Maß verbessert, in dem die Anzahl der Bäume rund um ihren Lebensmittelpunkt zunimmt. Berman bewies: Je mehr Bäume in der Nähe eines Menschen wachsen, desto geringer ist seine statistische Gefahr, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck und anderen typischen Zivilisationskrankheiten zu erkranken. Mit der Zunahme der Anzahl der Bäume sank entsprechend auch der Einsatz von Medikamenten.1

Parks und Grünflächen wurden in diese Studie noch nicht einmal einbezogen. Die Gesundheitseffekte waren nur auf solche Bäume zurückzuführen, die sich in das städtische Straßenbild Torontos einfügten, also auf Alleebäume, Gehölze am Straßenrand und kleine Bauminseln im Großstadtverkehr. So hatte man rund eine halbe Million Stadtbäume erfasst. Die medizinischen Effekte dieser Bäume wurden auch mit anderen Einflüssen auf die Gesundheit verglichen, wobei man das Potenzial der Bäume erst so richtig erkannte. Für den durchschnittlichen Großstadtbewohner, so Berman, hätten zehn zusätzliche Bäume rund um den Wohnblock eine Gesundheitswirkung, die einer Verjüngungskur um sieben Jahre entspricht! Infolgedessen wurden etliche Stimmen laut, die mehr Bäume in Kanadas Großstädten forderten. Glenn De Baeremaeker, Stadtrat von Toronto, betrachtet die urbane Baum-Studie als richtungsweisend und sieht das Pflanzen von Bäumen als „eine fast schon magische Lösung, die nur Peanuts, also sehr wenig, kostet“, wenn es darum geht, den Gesundheitszustand der Stadtbewohner zu verbessern.

Zahlreiche andere Studien stützen Bermans Ergebnisse. So fanden Wissenschaftler an der Universität von West Florida heraus, dass städtische Grünflächen das Risiko eines Schlaganfalls bei den Anwohnern signifikant verringern. Und auch groß angelegte Untersuchungen in Shanghai und in Glasgow zeigen klar, wie Stadtbäume zu einer höheren Lebenserwartung der Bewohner führen.

In der kanadischen Metropole Toronto stellten Wissenschaftler fest, dass die Menschen umso gesünder sind, je mehr Bäume in ihrem Umfeld wachsen.

Doch wie kann man das erklären? Das Naheliegendste: Pflanzen reichern die Stadt durch die Photosynthese mit Sauerstoff an und leisten zudem einen wertvollen Beitrag für saubere Luft. So nehmen sie Kohlendioxid auf, das in höheren Konzentrationen schädlich wird. Stadtbäume filtern aber auch den gefährlichen Feinstaub heraus, der für Lungenerkrankungen, Asthma, Allergien und Entzündungen im Bereich von Hals, Nase und Ohren verantwortlich ist. Es liegt auf der Hand: Je dichter eine Stadt mit Bäumen bepflanzt ist, desto ausgeprägter ist die vor Feinstaub schützende Wirkung. Als wahre Feinstaubschlucker gelten Birken, Eschen, Ulmen, Magnolien und die immergrüne Stechpalme.

Mittlerweile ist bekannt, dass Feinstaub auch für das menschliche Gehirn schädlich ist und dort Entzündungen auslöst, die zu neurologischen Erkrankungen führen können. Diese Entzündungsvorgänge können sogar Depressionen und psychische Störungen hervorrufen, genauso wie Lungenkrebs und bösartige Tumore an den Drüsen in unserem Körper. Und dies bereits bei Feinstaubkonzentrationen, die deutlich unter den aktuellen durch die Weltgesundheitsorganisation festgelegten Grenzwerten liegen. So kam bereits eine im Jahr 2005 von der Europäischen Union in Auftrag gegebene und veröffentlichte Studie zum Schluss, dass in der EU jedes Jahr 65'000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Feinstaubbelastung versterben. Neben Feinstaub gehören auch Stickoxide zu den schädlichen Stoffen, die durch den motorisierten Verkehr verursacht werden und die Atemwege reizen, die Bronchien schädigen und die Entstehung von Asthma begünstigen können. Doch auch diese Schadstoffe können von Bäumen aus der Luft gefiltert werden!

Flächendeckende Stadtbegrünungen und mehr Stadtwälder wären also die klar bessere Lösung als Fahrverbote, da das zusätzliche Grün zwischen Beton und Pflastersteinen einen Mehrfachnutzen bringt: Pflanzen reinigen nicht nur die Luft, sondern beeinflussen uns auch auf der seelischen Ebene.

Naturbilder erzeugen „Anti-Frustration“

Der bloße Anblick von Bäumen vor dem Fenster wirkt erwiesenermaßen beruhigend und reduziert den Gehalt an Stresshormonen im Blut. Das aktiviert nämlich den Parasympathikus, unseren Nerv der Ruhe und der Regeneration, was wiederum die Selbstheilungskräfte aktiv werden lässt, und zwar bis auf die Ebene der Organe und Zellen.2

Auch dazu gibt es inzwischen zahlreiche Studien. So bewies der Architekt und Medizinwissenschaftler Roger Ulrich bereits in den siebziger und achtziger Jahren, dass tatsächlich schon der Blick auf einen Baum heilt. Dabei ging es um Patienten, die sich einer Gallenblasenoperation unterziehen mussten. Alle Patienten wurden in identisch ausgestatteten Zimmern untergebracht. Es gab nur einen Unterschied: Diejenigen, die nach dem chirurgischen Eingriff aus dem Krankenhausfenster auf eine Grünfläche mit einem Baum sehen konnten, wurden schneller wieder gesund als die, die nur auf eine Hauswand blickten. Die Wundheilung bei der „Baumgruppe“ war beschleunigt, der Bedarf an Schmerzmedikamenten signifikant reduziert.3

Quellenangaben

  • 1 Die Studie wurde 2015 im naturwissenschaftlichen Fachjournal Nature veröffentlicht.
  • 2 Mehr dazu im Artikel Herzgesundheit: Geheimnisse des Herzens
  • 3 Ulrichs Ergebnisse wurden bereits 1984 in der naturwissenschaftlichen
    Fachzeitschrift Science veröffentlicht.