‚Schaffe, schaffe, Häusle baue - nur net auf das Konto schaue!' So könnte künftig der Wahlspruch des deutschen Arbeitnehmers lauten. Immer mehr leisten soll er, für immer weniger Geld und soziale Absicherung - angeblich, weil es der Wirtschaft und den Staatsfinanzen so schlecht geht. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. In Deutschland und anderswo ist ein Umwälzungsprozeß im Gang, der für das Volk in einem bösen Erwachen enden könnte.
Sogar die Kirche sorgt sich um das wirtschaftliche Wohl des deutschen Volkes. Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, verkündete am 2. Januar 2004 in der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung' (FAZ): "Wir müssen einen kleiner werdenden Kuchen fair verteilen; wir sollten zugunsten späterer Generationen kürzertreten; wir haben soziale Errungenschaften einzuschränken, wenn wir sie erhalten sollen."
Das sieht die rot-grüne Bundesregierung genau so und kürzte beispielsweise das Arbeitslosengeld schonungslos zusammen. Vom Arbeitnehmer wird verlangt, daß er nach einem Jahr ohne Anstellung jede legale Arbeit annehmen muß, auch unterhalb von Tariflöhnen. Wer sich weigert, verliert jegliches Anrecht auf Unterstützung. Das Volk rebelliert, geht zu Tausenden auf die Straße und skandiert an Montagsdemonstrationen wütend: "Nieder mit Hartz IV - das Volk sind wir!" Peter Hartz, Erfolgsmanager beim Volkswagen-Konzern, ist Namenspatron von vier Gesetzen geworden, die für viele Deutsche mittlerweile gleichbedeutend sind mit sozialem Kahlschlag.
Die Lage scheint ernst. 1999 mußten 1,6 Millionen Menschen in Deutschland den Offenbarungseid leisten; 2000 waren es bereits zwei Millionen, Tendenz weiterhin steigend. Über 53'000 kleinere und mittlere Firmen meldeten Konkurs an. "Den Deutschen geht es schlecht. Der Sozialstaat muß auf dem Buckel des Volkes sparen, will er den drohenden Finanzkollaps vermeiden", so die Botschaft von Politik und Industrie.
Ist das wirklich die ganze Wahrheit? Wo Deutschland doch im Jahre 2003 wieder einmal "Weltmeister" aller Exportländer wurde, wie Dr. Johannes M. Becker, der Politikwissenschaft an der Marburger Philipps-Universität lehrt, schreibt In Zeiten einer angeblich schweren Krise hat die deutsche Volkswirtschaft für 130 Milliarden Euro mehr Waren ins Ausland verkauft als sie einführte! In diesem Jahr soll der Überschuß im Außenhandel sogar noch größer sein. Seit dem Jahr 2000 stieg er dieser Saldo von ursprünglich 60 Milliarden Euro stetig an. Wie, bitteschön, ist aus diesen Zahlen eine Wirtschaftskrise im Hochlohnland Deutschland herauszulesen?
Politikwissenschaftler Becker: "In der FAZ vom 20. Januar 2004 wurde der deutschen Wirtschaft in den zentralen Branchen Biotechnologie, Automobilindustrie, Chemie und Werkzeugmaschinenbau eine herausragende Wettbewerbsfähigkeit attestiert." Und die ‚Welt am Sonntag' jubelte am 8. Februar 2004: "Deutsche Firmen vor Gewinnexplosion!" Die Zeitung meldete, daß die Gewinne der dreißig im Deutschen Aktienindex (DAX) registrierten Unternehmen nach einer Steigerung um knapp dreißig Prozent (2003) in diesem Jahr vermutlich um 47 Prozent steigen werden.
Johannes Becker bringt es in seinem Aufsatz "Überlegungen zum Reichtum unseres Landes" prägnant auf den Punkt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht bankrott, der erwirtschaftete Gewinn ist nur äußerst ungleich verteilt."
Obwohl die öffentliche Hand immer mehr verarmt, hat sich das private Geldvermögen in Deutschland zwischen 1990 und 2000 fast verdoppelt. Was nicht bedeutet, daß jeder deutsche Bürger in jenem Jahrzehnt entsprechend reicher geworden wäre. Wo aber sind die sagenhaften Gewinne dann geblieben? Ganz einfach: Bei den multinationalen Großkonzernen. Trotz Jammern und Klagen streichen die nämlich Traumgewinne ein.
Profitieren davon tut einzig der Aktionär. Firmen wie ‚Daimler-Benz' verdienten Unsummen und schütteten großzügige Dividenden aus, zahlten jedoch gleichzeitig keinerlei Steuern!
In Deutschland, wie auch im Rest der industrialisierten Welt, nämlich ein Prozeß im Gang, der die staatstragende Mittelschicht langsam aber sicher ausblutet, die wenigen Reichen jedoch noch reicher und das Heer der Armen größer macht (vgl. ZS 38, "Übernehmen die Verschwörer die Weltherrschaft?").
Eine Studie aus dem Jahr 1998 zeigte auf, daß das reichste Fünftel der Deutschen über knapp die Hälfte der Vermögenseinkommen und über zwei Drittel der Ersparnisse verfügte. Das ärmste Fünftel hingegen konnte nur Schulden sein eigen nennen. Im Jahr 1998 besaßen allein die reichsten zehn Prozent der Deutschen bereits über die Hälfte des gesamten Geldvermögens, während sich fünfzig Prozent der Bevölkerung gerade mal 4,7 Prozent desselben teilen mußten.
Ungefähr drei Millionen deutsche Haushalte sind überschuldet. In diesem Jahr wird man weit über 40'000 persönliche Insolvenzen registrieren müssen. Zehn Prozent der Bundesbevölkerung leben mittlerweile unter der Armutsgrenze (mit weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens). Besonders hart trifft es Personen, die jung, weiblich und alleinerziehend sind.
Trotz dieser extrem ungerechten Reichtumsverteilung ist es mittlerweile die breite Masse der Arbeitnehmer, welche die Hauptlast der Steuern berappen muss. Unternehmen zahlen hingegen prozentual deutlich weniger als früher an den Fiskus: 1977 trugen sowohl Lohn- wie Unternehmens- und Gewinnsteuer je circa 30 Prozent zu den Steuereinnahmen bei. Im Jahre 2001 war die Lohnsteuer auf einen Anteil von 35 Prozent gestiegen, während die Steuern der Unternehmen nur noch einen 15-prozentigen Anteil ausmachten.
Politikwissenschaftler Becker doppelt nach: "Ist die durchschnittliche Steuerlast auf Löhne zwischen 1980 und 2001 von 15,7 Prozent auf 18,6 Prozent gestiegen, so hat sich die Besteuerung für Gewinne in der gleichen Zeit von 24 Prozent auf 12,1 Prozent halbiert." Mit anderen Worten: Der deutsche Staat verzichtet zugunsten der Konzerne und Reichen auf Milliarden. Die ‚Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik' beziffert einige fiskale Einnahmeverluste mit folgenden Werten:
Es wird aber auch Geld unsinnig verschleudert. Der Bund der Steuerzahler mahnt in jedem Jahr in seinem Schwarzbuch die Verschwendung von dreißig Milliarden Euro an, welche Deutschlands Politiker und Bürokraten zu verantworten haben. Diesen leichtfertigen Umgang von Entscheidungsträgern mit Steuergeldern - Korruption eingeschlossen - kann man als einen von vielen Gradmessern für die zerbröckelnde Moral in unserer Gesellschaft betrachten.
Was in Deutschland geschieht, kann mehr oder weniger analog auch auf viele andere Industriestaaten bezogen werden - dem globalisierten Weltmarkt sei's gedankt. Zum Vergleich folgen hier einige Zahlen aus der Schweiz und Österreich:
Schweiz: Die Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden beliefen sich im Jahr 2003 auf 236 Milliarden Franken, was einem Anteil von 55,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) entspricht. 1980 lagen die Gesamtschulden noch bei 77 Milliarden Franken, was 42,8 Prozent des damaligen BIP entsprach. Der größte Schuldenmacher ist der Bund, dessen Schulden in besagtem Zeitraum von knapp 32 Milliarden auf 125 Milliarden anstiegen.
Der Wirtschaft geht es nicht schlecht, erzielte die Schweiz im Jahr 2002 doch einen Außenhandelüberschuß von 49,5 Milliarden Franken; sie exportierte also mehr als sie importierte.
Die Vermögensstatistik aller natürlichen Personen in der Schweiz aus dem Jahr 1997 (es sind keine aktuelleren Zahlen verfügbar) weist ein privates Reinvermögen von 750 Milliarden Franken aus. Die 117'243 Vermögensmillionäre verfügten hiervon über knapp 375 Milliarden Franken - oder anders ausgedrückt: drei Prozent der Besitzenden kontrollierten die Hälfte des gesamten Schweizer Privatvermögens.
Österreich: Die Schulden der Öffentlichen Hand betragen in diesem Jahr 149 Milliarden Euro, was 65,5 Prozent des BIP entspricht. Für Deutschland wurde übrigens ein fast identischer Prozentsatz für 2004 errechnet. 1980 lagen die österreichischen Staatsschulden noch bei 27 Milliarden Euro (36,1 Prozent des BIP).
Vergleicht man die Entwicklung der bereinigten Lohn- und Gewinnquote zwischen 1976 und 1998, so wird deutlich, daß die Gewinne von 27,7 Prozent des Volkseinkommens auf 33,8 Prozent angestiegen, während der Lohnanteil am Volkseinkommen von 72,3 Prozent auf 66,2 Prozent fiel.
Grund hierfür sind die hohen Vermögenserträge sowohl auf den Finanzmärkten als auch im Grund- und Immobiliengeschäft. Während sich die Gewinneinkommen gegenüber 1964 vervierfachten, stiegen die Besitzeinkommen um das fünfzigfache! Diese rasch wachsende Bedeutung der Vermögen zeigt auf, wie schnell die Reichen immer reicher werden. Das führt gezwungenermaßen zu einer sich beschleunigenden Verarmung der Massen. Denn niemand kann Geld für sich arbeiten lassen - es sind immer Menschen, welche die Leistung erbringen. Wer also nur sein Vermögen für sich ‚arbeiten' läßt, schmarotzt von der Arbeitskraft anderer.
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