Was verbindet den Tod der schwedischen Außenministerin mit der Ermordung von Olof Palme und Graf Bernadotte?
Die ganze Welt war geschockt, als die schwedische Außenministerin Anna Lindh am 10. September 2003 in einem Stockholmer Kaufhaus erstochen wurde. Die Medien und politischen Beobachter brachten den Mord sehr schnell mit ‚Neo-Nazis' in Verbindung. Allgemein geht man heute noch davon aus, daß die europafeindliche Haltung eines Euro-Gegners hinter dem Attentat steckt. Denn nur wenige Tage später, am 14. September, stimmten die Schweden darüber ab, ob der Euro die neue Landeswährung wird - und entschieden sich dagegen. Während der ganzen Euro-Kampagne hatten die Befürworter mit Anna Lindhs Gesicht für den Euro geworben. Aber ist das wirklich ein ausreichender Grund, um eine Politikerin zu töten? Anna Lindh war sehr beliebt und galt als aufgehender Stern innerhalb der sozialistischen Regierungspartei. Seit 1998 war sie Außenministerin; viele sahen in der 46jährigen zweifachen Mutter die nächste Premierministerin von Schweden. In vielen Ländern achtete man Anna Lindh als engagierte Kämpferin für die Benachteiligten in der Welt. Sie machte sich für den Dialog zwischen den reichen Industriestaaten und der Dritten Welt stark und setzte sich für die Unabhängigkeit der Kurden und Palästinenser ein.
Keinen Hehl machte Anna Lindh aus ihrem Abscheu vor Ariel Scharon und seiner Regierungspolitik in Israel. Scharon sei ein "Wahnsinniger", mit dem man keinen Dialog führen könne, sagte Lindh im Oktober 2001. Ihr politischer Standpunkt war klar: "Die israelischen Siedlungen in der West Bank müssen geräumt werden; es muß einen palästinensischen Staat geben; Israel muß die besetzten Gebiete im Gazastreifen und in der West Bank räumen, alle Exekutionen außerhalb seines Territoriums unterlassen und die Angriffe auf Palästinenser stoppen. All dies sollte sofort geschehen."
Zwei Jahre später hat Israel noch immer nicht das Geringste von diesen Forderungen erfüllt. Deshalb sagte die Außenministerin im schwedischen Fernsehen, sie persönlich werde keine Produkte und Früchte aus Israel mehr kaufen. Im Mai 2002 setzte sich Anna Lindh öffentlich zum Ziel, "daß die israelischen Bürger sich gegen die Militärpolitik Scharons stellen werden. Israels Regierung hat einen Weg eingeschlagen, mit dem das Land Gefahr läuft, sich aus der Staatengemeinschaft heraus zu manövrieren."
Daß die USA vor Israels Politik kuschen, konnte Anna Lindh nicht verstehen. Bushs ablehnende Haltung gegenüber Arafat sei "sowohl unangebracht wie dumm". Damit würde Bush "Sharons Gewalt belohnen" und "dem ganzen Friedensprozeß widersprechen. Diese amerikanische Politik kann nur zu einem regelrechten Krieg im Nahen Osten führen." Solch offene Kritik an den zionistischen Ränkespielen im Nahen Osten kommen höchst selten über die Lippen eines westlichen Politikers, geschweige denn eines Kabinettmitgliedes.
In Zeiten, wo die israelische Regierung es offen zur Politik erklärt hat, feindliche Anführer sogar außerhalb von Israel zu liquidieren, könnten Politikerworte wie die von Lindh gefährlich werden - denn wer sagt uns, daß man in Tel Aviv bloß Hamas-Führer als Gefahr für den israelischen Staat einstuft?
Anna Lindh war die treibende Kraft hinter der Entscheidung der EU, dem palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat gegenüber eine andere Politik einzuschlagen als die USA. Außerdem forderte die schwedische Außenministerin am 3. April 2002 die Europäische Union auf, sämtliche Beziehungen zu Israel aus Protest gegen die israelische Besatzungspolitik abzubrechen.
"Schweden hat einen größeren Einfluß auf die palästinensische Geschichte ausgeübt als größere oder näher gelegene Mächte in der Welt", schrieb die palästinensische Unterhändlerin Hanan Aschrawi nach dem Tod von Lindh. Seit der Gründung von Israel vor 55 Jahren hatte sich das skandinavische Land um diplomatische Lösungen in Nahost bemüht. Im selben Zeitraum wurden mit Anna Lindh drei schwedische Spitzenpolitiker ermordet, die alle eines gemeinsam hatten: sie traten offen dem Zionismus entgegen.
1948 schickte die UNO den schwedischen Grafen Folke Bernadotte nach Palästina, um dafür zu sorgen, daß der am 29. November 1947 unterzeichnete Teilungsvertrag reibungslos umgesetzt werden konnte, der sowohl Juden als auch Palästinensern einen unabhängigen Staat zusicherte.
Es kam jedoch schnell zum Krieg zwischen arabischen und zionistischen Verbänden, kaum daß der Staat Israel offiziell gegründet worden war. Graf Bernadotte konnte zwar einen Waffenstillstand aushandeln, doch extremistische Zionisten verurteilten ihn zum Tode. Er wollte nämlich Jerusalem unter jordanische Herrschaft stellen, da Palästinenser und Zionisten sich um die Vorherrschaft in der Stadt stritten."Wir planen die Ermordung von Bernadotte und jedem anderen UNO-Beobachter, der nach Jerusalem kommt", erzählten zwei Mitglieder der berüchtigten ‚Stern-Bande' am 24. Juli 1948 einem Kolumnisten der ‚New York Times'. Als der Journalist sie nach dem Grund fragte, antworteten die zionistischen Terroristen, "ihre Organisation sei fest dazu entschlossen, ganz Jerusalem für den israelischen Staat in Besitz zu nehmen. Hierbei werde man keine Einmischung durch niemanden dulden."
Wenig später wurde Graf Bernadotte nahe Jerusalem von drei Mitgliedern der ‚Stern Bande' auf offener Strasse erschossen. Die beiden Anführer dieser Terror-Organisation waren Yitzhak Shamir und Menachem Begin - die später beide Ministerpräsidenten von Israel werden sollten.
Die Mörder von Graf Folke Bernadotte hatte man ebensowenig zur Rechenschaft gezogen wie der oder die Mörder von Olof Palme. Der schwedische Ministerpräsident war 1986 von Unbekannten in Stockholm erschossen worden, als er mit seiner Frau von einem Kinobesuch heimkehrte. Palme hatte sich nicht nur für die weltweite Anerkennung der PLO als politische Vertretung der Palästinenser eingesetzt, sondern er trat auch für ein Ende der israelischen Okkupation in den seit 1967 besetzten Gebieten ein. Deshalb forderte er eine bedingungslose Umsetzung der entsprechenden UNO-Resolutionen gegen Israel.
Ulf Dahlsten, der 1986 Palmes persönlicher Sekretär war, hielt Anna Lindh für die seit Olof Palme wichtigste politische Figur in Schweden, und dessen politische Erbin - in Geheimdienstkreisen munkelt man sogar, daß Anna Lindh die leibliche Tochter von Palme gewesen war. Jetzt sind beide tot. Doch die israelischen Siedlungen bestehen noch immer.
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