Haifisch-Kapitalismus

Die Manager sind ins Gerede gekommen. Obszöne Gehälter, Bespitzelung von Mitarbeitern oder Betrügereien lassen sie in einem schiefen Licht erscheinen. Das Mediengetöse übertönt jedoch wieder einmal, was wirklich geschieht: Die Umverteilung unseres Vermögens an die geheimen Drahtzieher des Geldes – ein Prozeß, bei dem Manager auch nur Marionetten sind. Die, wenn sie nicht mitmachen, es öfters mit ihrem Ruf und manchmal gar mit dem Leben bezahlen.

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Vernichtendes Medienecho für den Postchef Klaus Zumwinkel.

Es ist ein nebeliger, düsterer Morgen, an dem selbst Alfred Hitchcock nichts auszusetzen gehabt hätte. Um Viertel vor sieben befindet sich noch kein Mensch auf der Mehlemer Straße im exklusiven Kölner Stadtteil Marienburg. Tatsächlich kein Mensch? Nein. Fünf Männer treffen sich und marschieren auf eine weiße Villa los, wo sie bereits von weiteren Herren und zwei Kolleginnen erwartet werden. Gemeinsam klingeln sie den verschlafenen Klaus Zumwinkel aus dem Bett, seit achtzehn Jahren schier allmächtiger Chef des Weltkonzerns Deutsche Post. Während anderen Menschen an diesem Valentinstag vom Postboten Blumen oder Zeilen der Freundschaft überbracht werden, halten die Steuerfahnder dem Spitzenmanager einen Durchsuchungsbeschluß unter die Nase. Diesen 14. Februar 2008 wird Klaus Zumwinkel garantiert nicht vergessen.

In der darauffolgenden Ausgabe rapportiert Der Spiegel protokollarisch und auf die Minute genau, wie das vom Postchef über viele Jahre aufgebaute persönliche Glashaus der Macht an jenem grauen, unscheinbaren Morgen in sich zusammenfällt.1 Die Autoren sind erstaunlich gut über jeden Schritt der Beamten informiert: „Sie entdecken einen beschlagenen Kleinwagen, in dem ein Reporter des ZDF frierend sitzt. Den Übertragungswagen, der seit fünf Uhr um die Ecke geparkt steht, können sie von da aus nicht sehen.“

Dieser bereits seit Frühling 2006 geplante, zu den größten Aktionen der deutschen Steuerfahnder gehörende Einsatz mußte angeblich unter allen Umständen geheim bleiben, weil man „im Düsseldorfer Finanzministerium sehr besorgt war, daß Tatverdächtige Selbstanzeigen erstatten könnten“ (Spiegel). So hätten sie nämlich die Chance gehabt, einem Strafverfahren zu entgehen. Das Siegel der Verschwiegenheit sollte genau dies verhindern. Wie kam es dann, daß Journalisten bereits Stunden vor dem Zugriff mit Fernsehkameras, Fotoapparaten und Mikrofonen bewaffnet vor Zumwinkels Villa auf der Lauer lagen?

Zugegeben, der Medientroß war ja ganz praktisch. Auf diese Weise konnte man Klaus Zumwinkel quasi live einem empörten deutschen Volk vorführen, wie einen Tanzbären im Zirkus – man hatte wieder mal einen „Bösen“ erwischt, der dem geplagten Staat Steuergelder vorenthielt. Scheinheilig fragt der Spiegel: „Warum hat er die deutsche Steuer offenbar so gehaßt?“

Ja, warum wohl? Vielleicht, weil der deutsche Staat über Steuern und Abgaben im Schnitt 53 Prozent vom Einkommen seiner Bürger kassiert? Aufs Jahr gerechnet bedeutet dies, daß ein durchschnittlicher Angestellter bis Anfang Juli ausschließlich für den Fiskus arbeitet. Damit ist Deutschland längst zu einer Steuerwüste verdorrt.

Laut einer Schätzung der Finanzbeamten-Gewerkschaft haben Deutsche ungefähr 400 Milliarden Euro unversteuertes Vermögen im Ausland versteckt, das Anderthalbfache des laufenden Bundeshaushalts. Rund 30 Milliarden Euro entgehen dem Staat auf diese Weise. So mutieren die Fiskalbeamten zur heimlichen Elitetruppe des deutschen Staatsapparats. „Heute ermitteln 4’500 Profi-Fahnder gegen Steuersünder, angetrieben mit Zielvorgaben“, schreibt die Weltwoche. „Telefonüberwachung plus Rasterfahndung wurden erleichtert, Zeugnisverweigerungsrechte geschwächt, der Einblick in die Konten geöffnet, und seit April 2005 sind die Daten aller deutschen Konten und Depots im Finanzministerium zentral versammelt. Seit 2007 kann der Fiskus die Jahresabrechnungen auch direkt bei der Bank sichten, bei Bedarf darf er alle Bewegungen eines Kontos überprüfen und seine Spurensuche dann bei den Empfängerkonten fortsetzen. Daneben können die Beamten jederzeit Einblick verlangen in Kreditkartendaten oder Chiffre-Anzeigen – ohne richterliche Anordnung.“

Dank deutscher Gründlichkeit wird der gläserne Mensch auf Hochglanz poliert. Ebenso gründlich häuft Deutschland einen nicht ganz so schimmernden Schuldenberg an. Es ist ein Staat, „der so wenig Geld hat, daß manche Bürger die Klassenzimmer in den Schulen selbst streichen müssen“ (Spiegel). Ergo muß ein komplett amoralischer Lump sein, wer Steuern hinterzieht. So stufen die deutschen Gesetze dieses Vergehen denn auch als Strafdelikt vom Kaliber eines soliden Raubüberfalls ein: Es drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Auf der anderen Seite findet die deutsche Obrigkeit nichts dabei, wenn der Auslandsnachrichtendienst BND sich im eigenen Land nebenbei um Steuersünder kümmert und – wie im Fall Zumwinkel – einem anonymen Datenhehler zwischen vier und fünf Millionen Euro Steuergelder für eine DVD voller geraubter Interna der liechtensteinischen Fürstenbank LGT hinblättert.

Ausufernde Schulden

Steuergelder werden als Gut des Staates und nicht länger als eine Gabe der Bürger gesehen. „Dabei haben internationale Studien gezeigt“, so Geiger in der Weltwoche,2 „daß der beste Garant zur Erhaltung der Steuerehrlichkeit eine vernünftige Steuerlast ist.“ So ist beispielsweise die Steuerdisziplin in der steuergünstigen Schweiz im europäischen Vergleich hoch. Allerdings ist die Finanzlage in Deutschland auch einiges prekärer: Obwohl staatliche Leistungen gekürzt werden, nimmt die Verschuldung zu. Die desolate Lage des Sozialstaates offenbart sich (nicht nur) in Deutschland, wo 60 Prozent (!) der Wähler von der öffentlichen Hand leben, immer deutlicher.

„Bewegt sich denn ein Rechtsstaat noch auf der Grundlage der Legitimität, wenn er beispielsweise eine Staatsverschuldung produziert, die auf Generationen hinaus die Noch-nicht-Geborenen belastet?“, fragt der Schweizer Privatbankier Konrad Hummler in einem Zeitungsinterview.3 Für ihn ist die deutsche Kapitalflucht ins Ausland nichts anderes als „Notwehr“. Weil nämlich der deutsche Staat gar nicht mehr in der Lage sei, durch Abgaben die Altersvorsorge seiner Bürger zu sichern.

Natürlich müssen Steuersünder wie Klaus Zumwinkel bestraft werden. Schließlich brechen sie das Gesetz. Auf der anderen Seite zahlt manch ein deutsches Großunternehmen ebenfalls keine Steuern, und das völlig legal. So vermeldete der Internetdienst ShortNews am 10. Mai 2006: „Laut einem Medienbericht muß der Konzern DaimlerChrysler im Jahr 2006 an die Kommunen in Deutschland keine Steuern zahlen. Die Gewinnerwartung des Konzerns liegt in diesem Jahr bei sechs Milliarden Euro. Für die Kommunen bedeutet das, daß sie auf Steuereinnahmen von vielen Millionen Euro verzichten müßten. Die Steuergesetze in Deutschland ermöglichen es internationalen Konzernen, Gewinne und Verluste in In- und Ausland gegeneinander aufzurechnen. Bereits im Vorjahr zahlte DaimlerChrysler in Deutschland keine Steuern. Der Konzernsprecher wollte zu dem Medienbericht keine Stellungnahme abgeben.“

Seit Helmut Kohl das Kanzleramt unsicher machte, wurden Unternehmen auf Kosten einer noch nie dagewesenen Staatsverschuldung subventioniert. So sind in den letzten zwanzig Jahren unzählige Milliarden an Förderungsgeldern in die Kassen deutscher Großkonzerne geflossen. Die Manager bedankten sich im Gegenzug mit Massenentlassungen. Das sind eben die neuen Spielregeln im „Global Village“: Den schwarzen Unternehmenszahlen stehen tiefrote Minuszeichen in den öffentlichen Haushalten gegenüber: Auf 1’576 Milliarden Euro ist der stattliche Schuldenberg allein in Deutschland angewachsen (Stand Dezember 2007).

Unter der Regierung von Helmut Schmidt hatte sich die Schuldenquote (die Staatsschulden in Relation zum Bruttoinlandprodukt) von 20 auf 40 Prozent verdoppelt. Während der Ära Kohl stieg sie abermals – von 40 auf 60 Prozent. Aktuell liegt die Schuldenquote bei 65 Prozent.

So nennt sich der zweitgrößte, kaum je debattierte Haushaltsposten schlicht „Bundesschuld“. Gemeint sind Zinszahlungen, welche das Finanzministerium an Banken und Inhaber von Staatsanleihen zahlen muß. Das sind jedes Jahr Dutzende von Milliarden Euro. Mehr wendet der deutsche Staat nur noch für das Gesundheitswesen und die Soziale Sicherung auf. Das globale Zinseszins-System ist ein Selbstläufer, der auf unsichtbare, hoch effektive Weise das Volksvermögen des Mittelstandes in die Taschen einiger weniger umschichtet.

Hinzu kommt, daß Deutschland größter Nettozahler in der EU ist und somit den Wohlstand im übrigen Europa ankurbelt wie keine andere Nation. Gleichzeitig gebärdet sich Deutschland fremdenfreundlich wie kaum ein Land auf Erden. Laut Zentralamt für Statistik weist nicht ganz jeder vierte Inländer bereits einen „Migrationshintergrund“ auf. In den Städten zählen 70 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren dazu. Fast zehn Prozent der Migranten schaffen keinen allgemeinen Schulabschluß (deutsche Bevölkerung: 1,5 Prozent) und 51 Prozent haben keinen beruflichen Abschluß (Deutsche: 27 Prozent). In der Folge sind sie zu 13 Prozent erwerbslos (Deutsche: 7,5 Prozent) und belasten die Sozialsysteme entsprechend.

Und vergessen wir die Shoa nicht. Seit 1952 zahlt Deutschland für die jüdischen Opfer des Naziregimes über 61 Milliarden Euro an die Jewish Claims Conference. Die israelische Regierung erhielt zusätzliche 1,5 Milliarden Euro Direktzahlungen (nebst vielen materiellen Geschenken wie hochmoderne deutsche U-Boote, die Israel mit Atomraketen bestückte). Nun verlangt Israels Kabinettsmitglied Rafi Eitan weiteres deutsches Geld, um die steigenden Sozialkosten zu begleichen, die Israel durch russische Immigranten und Holocaust-Überlebende tragen muß.

Nach der Völlerei tut der Bauch weh

Daß Konzerne mit Staatsbeteiligung wie die Telekom oder die Deutsche Post durch Fehlinvestitionen Milliarden verlieren, hilft der Finanzlage des Bundes ebenfalls nicht. Wobei wir wieder bei Klaus Zumwinkel wären. Winston Churchill sagte einmal, in der Politik geschehe nichts zufällig. Zufällig, quasi als „Beifang“ sei Postchef Zumwinkel den Steuerfahndern dank der vom Bundesnachrichtendienst illegal erworbenen Daten-DVD ins Netz gegangen, verkündete der Spiegel. Das hielt die Strafverfolgungsbehörden nicht davon ab, den ehemaligen Spitzenmanager öffentlich vorzuführen, wie es die Amerikaner seinerzeit mit dem aus einem Erdloch gezerrten Saddam Hussein taten. Insider vermuten eine Absicht dahinter, bei der es um weit mehr geht als bloß um Steuerbetrug. Nämlich um die Zerschlagung der Deutschen Post.

Klaus Zumwinkel machte die kriselnde Postbehörde zu einem erfolgreichen börsenreifen Konzern. So weit, so gut. Doch dann begab sich Zumwinkel auf Einkaufstour. Er verleibte sich das Schweizer Logistikunternehmen Danzas ein, sowie zahlreiche Brief- und Paketzusteller in Italien, Frankreich oder Polen. Zumwinkel drängte auch in den amerikanischen Markt und kaufte den maroden Kurierkonzern DHL auf. 2003 kam dann das amerikanische Luftfrachtunternehmen Airborne hinzu. Doch die Unternehmungen in der neuen Welt gingen gewaltig in die Hose. „Zwischen fünf Milliarden und sieben Milliarden Euro, schätzen Experten, hat Zumwinkel mit seinen US-Expansionsplänen inzwischen in den Sand gesetzt. Und ein Ende des Fiaskos ist nicht in Sicht“, schreibt der Spiegel.

Als unbedarfter Leser fragt man sich da, warum sich einer für neunstellige Kaufbeträge verlustreiche Unternehmen aufbürdet. Doch Spitzenmanager ticken eben anders als das gemeine Volk. So führte Jürgen Schrempp die stolze Automarke Mercedes Benz mit dem schlingernden amerikanischen Chrysler-Konzern zusammen, was DaimlerChrysler schwere Zeiten bescherte. Ebenso bissen sich die BMW-Manager an den britischen Stoßstangen von Rover die Zähne aus. Ähnlich erging es der Deutschen Bank mit der Übernahme des amerikanischen Bankers Trust. Der noblen Swissair – Stolz der Schweiz – wurde die „Hunter“-Strategie4 gar zum Verhängnis. Nachdem der Schweizer Philipp Bruggisser und der aus den USA importierte CEO Jeffrey Katz Unsummen in wenig lukrative Beteiligungen an ausländischen Fluggesellschaften gesteckt hatten, stürzte die einst beste Airline der Welt trotz staatlicher Milliardenspritzen in den Konkurs ab.

Warum nur wird auf den Teppichetagen immer wieder entschieden, gutes Geld in schlechte Anlagen zu stecken? Sind die Chefs eben doch nicht so schlau, wie sie selbst glauben? Oder steckt ein System dahinter, wie manch ein Kritiker vermutet? Auf solche Weise, so behaupten diese, fließe das Geld in die Taschen jener Finanzinvestoren, die von manchen despektierlich, aber im Lichte der jüngsten preistreibenden Spekulationen mit globalen Grundnahrungsmitteln zutreffend als „Heuschrecken“ bezeichnet werden. Das Spiel ist einfach: Verkaufe ein kränkelndes Unternehmen für viel Geld und sahne richtig ab. Dann warte. Nach einigen Jahren kannst du das Unternehmen für wenig Geld wieder zurückhaben, weil der ausblutende Besitzer heilfroh sein wird, die finanzielle Belastung endlich wieder loszuwerden. Gesundschrumpfen nennt sich das dann.

Müssen Manager in diesem Milliardenpoker wohl oder übel mitspielen, wenn sie ihren Posten samt Privatchauffeur behalten wollen? Das Würde zumindest erklären, weshalb man sie trotz des angerichteten finanziellen Desasters mit Millionenabfindungen belohnt, während ihre Unternehmen zerstückelt werden.

„Seit Wochen schon machen einflußreiche Finanzinvestoren deshalb gewaltig Druck auf die Post. Sie fordern nicht nur einen Strategiewechsel, sondern sogar eine Zerschlagung des Konzerns“, informiert der Spiegel seine Leser. So soll das Filetstück – die auf rund fünf Milliarden Euro geschätzte Postbank – ebenso verkauft werden wie das verlustreiche US-Expreßgeschäft. Zumwinkel hatte sich „immer wieder gegen solche Schritte gesperrt. Seinem Nachfolger jedoch“, so orakelt der Spiegel, „dürfte das kaum noch gelingen.“

Klaus Zumwinkel stand den Interessen der internationalen Hochfinanz im Weg. Sein persönlicher Steuerskandal hätte da zu keinem passenderen Zeitpunkt auffliegen können.

Außerdem ließ der Herr über 460’000 Postangestellte sich nicht dazu verleiten, wie die meisten anderen Großbanken amerikanische Risikohypotheken zu kaufen. Hier zumindest hielt Zumwinkel das in der Postbank eingelagerte Volksvermögen zusammen, während die Subprime-Krise5 weltweit 603 Milliarden Euro vernichtete6 – oder wohl doch eher umverteilte? Der Großbankier James Mayer de Rothschild (1792-1868) brachte es einem ruinierten Geschäftsmann gegenüber auf den Punkt: „Ihr Geld ist nicht weg, mein Freund, es hat nur ein anderer.“7

Quellenangaben