Mit den wärmer werdenden Tagen kommen sie regelmäßig wieder zum Vorschein, all die in die Haut geritzten „Hüftgeweihe“, „Tribals“, Tiger oder Einhörner. Sind Tattoos einfach nur harmlose Verzierungen des menschlichen Körpers? Oder sollte man zweimal überlegen, bevor man sich Tinte unter die Haut spritzen lässt?
Das erste Tattoo der Welt war vermutlich ein Unfall. Ein Steinzeitmensch fuhr sich mit der rußigen Hand über eine offene Wunde und als die Wunde verheilt war, stellt er fest, dass die Farbe in Form der Wunde noch sichtbar war. Offenbar gefiel ihm, was er sah, und so wiederholte man das Prozedere fortan mit Absicht. Darauf deuten jedenfalls Funde von Tätowierwerkzeugen hin, die rund 12'000 Jahre alt sind. Der erste physische Beweis dafür, dass sich Menschen schon sehr lange tätowieren, ist ein Promi: nämlich Ötzi, der rund 5'200 Jahre alte „Eismann“. An seinem Körper wurden 61 Tattoos gefunden, meist kleine Punkte und Kreuze. Zunächst ergab die Anordnung der Tätowierungen für die Forscher wenig Sinn, doch dann entdeckte man, dass sich die Punkte und Kreuze auf verschiedenen Meridianpunkten befanden. Daher vermutet man heute, dass die Tätowierungen von Ötzi wohl einem therapeutischen Zweck dienten.
Dass Tätowierungen früher oft im Zusammenhang mit Heilung standen oder aber Schutzcharakter hatten, darauf deuten auch Funde von ägyptischen Mumien hin, die mehr als 2'000 Jahre alt sind. Die – ausschließlich – weiblichen Mumien waren auf eine Weise an Unterleib und Oberschenkeln tätowiert, die vermuten lassen, dass die Tätowierungen quasi als in die Haut geritztes Amulett für eine gute Geburt standen. Von den nordamerikanischen Indianern weiß man, dass sie noch Mitte des 18. Jahrhunderts Tattoos als eine Art Akupunktur gegen Schmerzen, beispielsweise bei Zahnweh oder Arthritis, einsetzten. Bei den auf dem Balkan und im heutigen Südrussland beheimateten Nomadenvölkern der Skythen und Thraker sowie im alten Britannien waren Tätowierungen ein Zeichen hoher Abstammung oder eine Auszeichnung für im Kampf erworbenen Ruhm. Ganz anders bei den Griechen und Römern: Ihnen war der menschliche Körper als Wohnstatt der Seele heilig und musste unversehrt bleiben. Sie verwendeten Tattoos daher, um Sklaven, Kriminelle oder Angehörige religiöser Gruppen zu brandmarken. Mit dem Aufkommen des Christentums schließlich wurden Tätowierungen unter Kaiser Konstantin gänzlich verboten, da sie den nach Gottes Ebenbild geschaffenen Körper entstellten. (Die Kreuzritter zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert waren allerdings oft tätowiert, weil ihnen dies, sollten sie auf dem Schlachtfeld umkommen, ein christliches Begräbnis sicherte.)
In anderen Erdteilen aber, bei den nord- und südamerikanischen Indianerstämmen, in China, Japan oder Polynesien etwa, blühte das Tätowieren fort. Allerdings war es nur selten Körperschmuck, sondern hatte, wie bereits erwähnt, Heil- oder Schutzcharakter, war Ausdruck einer bestimmten Kasten-, Religions- oder Gruppenzugehörigkeit, Teil von Initiationsriten oder diente gar als eine Art Identitätskarte wie im Falle der Maori, deren aufwändige Gesichtstattoos Auskunft gaben über Herkunft, Familienzugehörigkeit, Beruf und so weiter. Das Wort Tattoo stammt übrigens vom polynesischen Wort „ta-tatau“ ab, was so viel bedeutet wie „kunstgerecht schlagen“ respektive „eine Wunde schlagen“. Es war der englische Seefahrer James Cook, der das Wort im 18. Jahrhundert von seinen Südseereisen mit nach Europa brachte. „Im Gepäck“ hatte er zudem den polynesischen Prinzen Omai, der mit seinem tätowierten Körper fortan in Europa zur Schau gestellt wurde. In der Folge wurde es in der High Society eine Weile lang zum grauslichen Trend, die tätowierten Köpfe von Maori-Kriegern zu sammeln (im Tausch gegen Waffen).
Gleichzeitig fand das Tätowieren auf diesem Weg wieder zurück in die europäische Gesellschaft; im 19. Jahrhundert gehörte es für die Angehörigen der verschiedenen Fürsten- und Königshäuser schon fast zum guten Ton, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Seeleute und Minenarbeiter wiederum trugen Tätowierungen oft als Schutzzeichen; später waren Tattoos auch immer wieder Zeichen der Rebellion und Gegenbewegung, sei es bei den Hippies oder den Punks. In den 90er-Jahren waren es schließlich Popstars und Sportler, die den Tattoos zum großen Durchbruch verhalfen, selbst Barbie trug 1999 Tattoos! Heute haben in den USA bereits 25 Prozent der Bevölkerung eine oder mehrere Tätowierungen, in Deutschland und der Schweiz sind es zwischen zehn und fünfzehn Prozent. Allerdings ist der Anteil unter den Jüngeren bedeutend höher, in der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen sind dreißig bis vierzig Prozent tätowiert, wobei siebzig Prozent mehr als eine Tätowierung haben und Frauen häufiger als Männer tätowiert sind.
Neun von zehn Tätowierten sind überzeugt, dass ihr Körperschmuck gesundheitlich unbedenklich sei. Kaum jemand ist sich dessen bewusst, dass weder die Tätowiermittel selbst noch deren Auswirkungen im Körper wirklich erforscht sind. Beim Tätowieren – „Körperverletzung mit Einwilligung“, wie es ein Tätowierer nannte – wird mit einer Nadel oder einem Nadelbündel bis zu 3'000 Mal pro Minute in die Haut gestochen. Die Tinte wird dabei in die zweite Hautschicht, die sogenannte Lederhaut, gespritzt. Wenn wir unseren Körper als Leinwand benutzen, überziehen wir diesen mit unzähligen Mikroverletzungen und setzen de facto unsere Hautbarriere, die den Körper vor dem Eindringen von Fremd- und Giftstoffen schützt, außer Kraft. Diese Verletzungen führen dazu, dass tätowierte Haut nur halb so viel schwitzt wie gesunde Haut, gleichzeitig aber eine fast doppelt so hohe Natriumkonzentration aufweist, wie eine 2017 in den USA publizierte Studie beweist. Warum das so ist, ist noch ungeklärt. Die Berliner Hautärztin Dr. Yael Adler vermutet, dass beim Tätowieren die Schweißdrüsen, die in der Lederhaut sitzen, unwiederbringlich beschädigt werden. Die Entzündung der Drüsen oder in der Tinte enthaltene Giftstoffe könnten dafür verantwortlich sein, dass die Schweißdrüsen überdies so in ihrer Funktion gestört werden, dass sie das Natrium (Salz) nicht wiederaufnehmen können und es daher vermehrt über die Haut absondern müssen. So oder so entsteht in der Haut eine ungesunde Disbalance.
Abgesehen von den mechanischen Verletzungen, die der Körper wieder heilen muss, ist die Tatsache, dass wir uns Tinte unter die Haut spritzen lassen, keineswegs unbedenklich. Mark Blainley, Wissenschaftler bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA nennt es gar die schlimmste Art, sich einem Stoff auszusetzen. Für Tätowierfarben gibt es keine einheitliche Regelung, sie sind auch nicht geprüft, wie viele Menschen glauben, sondern der Unschädlichkeitsnachweis liegt beim Hersteller. Nun wird aber der größte Teil der Farben im Ausland hergestellt und unterliegt daher keineswegs den strengeren europäischen Vorschriften. Und selbst dort gelten meist dieselben Regeln wie für Kosmetika, allerdings beziehen sich diese auf Stoffe, die auf die Haut aufgebracht und nicht in sie hineingespritzt werden, und genügen daher nicht. Überdies zeigen Studien immer wieder, dass in Tätowierfarben eine Unmenge giftiger und oft auch verbotener Stoffe enthalten ist. Möglicherweise sind die Rezepturen heute zwar nicht mehr ganz so abstoßend wie in früheren Zeiten, als sie beispielsweise Kiefernrinde, korrodierte Bronze, Essig, Insekteneier und Vitriol enthielten, wie einem Farbrezept des römischen Arztes Aetius zu entnehmen ist. Allerdings sollte man sich auch heute nicht in einer falschen Sicherheit wiegen.
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