Griechenland: Wiege der westlichen Spiritualität

Griechenland hätte das ‘Tibet des Westens’ sein sollen. Unter den Ruinen der Zeit verbirgt sich die letzte Hochkultur, in der die Menschen beinahe Hand in Hand mit ihren Göttern gingen.

Woran denken Sie beim Wort Griechenland? An Ferien, in denen Sie tagsüber vom Brennen der heißesten Sonne der Welt erhitzt wurden und in der Nacht von der Glut dunkler griechischer Augen? Oder bedeutet Griechenland Nachmittage voller Ödnis hinter milchigen Schulzimmerfenstern, betäubt von den törichten Legenden toll gewordener griechischer Götter und Heroen?

Sir Lawrence Alma-Tadema läßt in einigen seiner Bilder die Schönheit der Antike wieder aufleben. Hier zeigt er einen Ritus zu Ehren des Gottes Dionysos, auch Bacchus genannt.

Sir Lawrence Alma-Tadema läßt in einigen seiner Bilder die Schönheit der Antike wieder aufleben. Hier zeigt er einen Ritus zu Ehren des Gottes Dionysos, auch Bacchus genannt.

Ruft Griechenland sehnsüchtige Erinnerung an eine stolze blauweiße Welt hervor, meergeboren und tempelgekrönt, an den Schauer bei ‚Elektra‘ im Theater von Epidaurus und die Demut angesichts der fühlbar im Äther schwebenden Erhabenheit von Delphi?

Oder halten Sie es mehr mit Lord Byron, der in einem Brief am 3. Mai 1810 bemerkte: „Ich mag die Griechen. Sie sind nette Gauner, mit allen Lastern der Türken, aber ohne deren Mut. Einige sind freilich tapfer, und alle sind schön."

Einst war Griechenland das Tibet des Westens, und hätte es sich nicht in Kriegen aufgerieben, wäre es nicht von den Römern und Türken geschändet und profaniert worden, könnte es dies immer noch sein. Denn hinter den dummen Geschichten balzender und zänkischer Götter steckt viel mehr, als es uns die Schulweisheit weismachen will. Achtzig Prozent von dem, was in der Philologie gelehrt wird, ist Menschenkram, den Göttern auf- und übergestülpt. Ein Hut, der damals so wenig paßte wie heute. Eine Tarnkappe, die sich immer stärker über das Wahre, Große, Erhabene der griechischen Götterwelt legte und diese gänzlich hinter dem Schleier des ‚Mythos‘ verschwinden ließ.

Als ob die Griechen all diese wunderbaren Tempel gebaut hätten einzig für das Hirngespinst einiger Phantasten! Als ob die griechischen Philosophenschulen einzig aus der rein menschlichen Vorstellungskraft hätten entstehen können! Doch weil die Götterlegenden einfach zu läppisch, einfach allzu menschlich waren, begannen die Menschen den gesamten Olymp als Ausgeburt irdischer Phantasie zu betrachten – unterstützt von den eifrigen Bemühungen der sich ausbreitenden Anhänger des Christentums.

Das Licht, das von Atlantis kam

War es Zufall, daß aus dem Dunkel einer durchschnittlichen Vergangenheit auf einmal ein solches Geisteslicht in Griechenland zu strahlen begann? Natürlich nicht! Es geschah durch die Wanderung dieses Lichts, das einst in Atlantis geschienen hatte (das die Griechen durchaus kannten), und das nach dem Untergang des letzten Restes von Atlantis, der Insel Poseidonis, von den Ariern Indiens über die Chaldäer zu den Ägyptern gekommen war und von da nach Hellas. So, wie die großen Religionen von China (Taoismus, Konfuzianismus) über Indien (Hinduismus, Buddhismus) und Persien (Zoroastrismus) nach Palästina wanderten (Beginn des Christentums), also von Ost nach West, so schreitet die gesamte Geistesentwicklung in derselben Richtung um unseren Planeten. Das Zentrum der Geistigkeit des anbrechenden Zeitalters wird in Nordamerika liegen; jenes des darauffolgenden ‚Goldenen Zeitalters‘ dann in Südamerika; womit der Zyklus seinen Abschluß findet.

Daß sich die frühen griechischen Philosophen an östlichen Quellen labten, schreibt auch Helena P. Blavatsky in ihrer ‚Geheimlehre‘: „Daß Plato unleugbar ein glühender Bewunderer und Nachfolger des Pythagoras war, wird niemand bestreiten. Und ebenso unleugbar ist es, daß Plato aus denselben Quellen wie der Samische Philosoph einerseits seine Lehren geerbt und andererseits seine Weisheit geschöpft hat. Und die Lehren des Pythagoras sind orientalisch bis auf die Knochen und zwar brahmanisch! Denn dieser große Philosoph wies immer auf den Fernen Osten als auf die Quelle, aus der er sein Wissen und seine Philosophie herleitete. (...) Ferner stimmen die Ideen sowohl des Pythagoras, als auch des Plato allzu gut mit den Systemen Indiens und des Zoroastrismus überein, als daß irgendein Zweifel über ihren Ursprung für jemand möglich wäre, der einige Bekanntschaft mit diesen Systemen hat."

So erstaunt es denn auch nicht, daß Orpheus, jene mystische Figur, deren reale Spuren sich völlig in der Dämmerung der Zeit verlieren, und der als Begründer des griechischen mythologischen Systems gilt, sein Wissen aus Indien mitbrachte. Dies schrieb jedenfalls der‚ Vater der Geschichtsschreibung‘, unser guter Herodot. Und auch Manly Palmer Hall, bestimmt einer der größten Philosophen und Philosophieforscher dieses Jahrhunderts, mutmaßt: „Der Ursprung seiner Philosophie ist ungewiß. Möglicherweise erhielt er sie von den Brahminen. Es gibt auch Legenden, daß er ein Hindu war und sein Name möglicherweise von einem Wort her stammt, das ‚dunkel‘ bedeutet. Orpheus wurde in die ägyptischen Mysterien eingeweiht, aus welchen er ein immenses Wissen der Magie, Astrologie, Hexerei und Medizin gewann. Die Mysterien der Kabiri von Samothrake wurden ihm ebenfalls verliehen, und dies trug unzweifelhaft zu seinem Wissen auf dem Gebiet der Medizin und Musik bei."

Die Götter steigen hernieder

Was ist unter den ‚Kabiri‘ zu verstehen? Blavatsky gibt in ihrer Geheimlehre (Band II, ‚Anthropogenesis‘) eine längere Erklärung dazu ab. Danach sind sie identisch mit den Titanen oder den Lenkern der Sieben Strahlen, die man auch die Chohans nennt. In früherer Zeit wurden mit ihnen auch die Götter der sieben damals bekannten Planeten assoziiert. Sie waren, so Blavatsky, die Regler der Jahreszeiten und jene „wohltätigen Wesenheiten, welche, in Prometheus symbolisiert, der Welt das Licht brachten und die Menschheit mit Verstand und Vernunft begabten. (...) Diese Götter", fährt HPB fort, „wurden allgemein verehrt und ihr Ursprung ist in der Nacht der Zeiten verloren." Dennoch waren sie immer da, als (meist) unsichtbare Führer und Lenker einer kindhaften Menschheit, brachten ihr das Buchstabensystembei, unterrichteten sie in Baukunst, den verschiedenen Arten der Magie, der medizinischen Verwendung der Pflanzen und auch in der Gesetzgebung. Diese ‚Kabiren‘ brachten ebenfalls den Ackerbau auf Erden hervor, den es in ihrer Urzeit nicht gab, und die in Griechenland wohlbekannte Göttin Ceres schenkte der Menschheit den Weizen. Er ist, die Botanik bestätigt es, nicht irdischen Ursprungs, da er auf keine wild wachsende Gräserform zurückzuleiten ist. Den Priestern Ägyptens galt der Weizen als heilig, und sie gaben ihn den Mumien bei.

Manche dieser ‚Götterwesen‘ nahmen es auf sich, auf der menschlichen Ebene zu inkarnieren, um ein noch besserer Lenker und Führer der seit dem ‚Fall‘ der Menschheit umherirrenden Menschen zu sein. „Diese Wesen erscheinen zuerst als Götter und Schöpfer; dann tauchen sie in dem entstehenden Menschen unter, um schließlich als ‚göttliche Könige und Herrscher‘ aufzutauchen", bemerkt Blavatsky dazu.

Wir lesen auch bei den alten Ägyptern von ‚Gottkönigen‘ und ‚Gottmenschen‘, die sich vom Normalsterblichen unterschieden. Wenn wir wissen, daß vor dem ‚Fall‘ der Menschheit diese mit ‚Göttern‘, Engeln und Naturgeistern in Eintracht zusammenlebten, als ältere und jüngere Brüder und Schwestern auf der nimmer endenden Stufenleiter der Evolution, dann erstaunt uns nicht, daß in den frühen Tagen nach dem Sinken Lemuriens und später von Atlantis die Menschen noch mehr wußten von jenen Wesen höherer Ebenen, die einst ihre Führer und Beschützer waren, und die nunmehr, da die Menschheit immer physischer geworden war, ihrer Sicht entschwunden waren.