Im Süden Frankreichs entstand im Mittelalter eine christliche Ketzerbewegung, welche den Papst das Fürchten lehrte: die Katharer. Sie lebten das Ideal der Nächstenliebe und warfen gerade deshalb ein grelles Licht auf die Verfehlung der katholischen Kirche. Über hundert Jahre lang wurden die Katharer aufs Grausamste verfolgt, bis ihr Stern schliesslich erlosch.
Sie nannten sich selbst die ‘Reinen'. Ihre Religion war frei von Dogmatismus und frei von blindem Glauben an einen zürnenden Gott. Die Katharer erlebten ihre größte Blüte in einem Land, dessen ganze Seele Freiheit atmete: Okzitanien.
Wir befinden uns an der Schwelle des dreizehnten Jahrhunderts. Es ist die Epoche der Kreuzzüge. Dennoch kämpfen die christlichen Königreiche untereinander bereits um die Vorherrschaft in Europa. England okkupiert die Normandie, die Bretagne und ganz Aquitanien, den Westen des heutigen Frankreichs. Das Deutsche Reich besitzt die Provence und rivalisiert mit dem Papsttum um die Macht in Italien. Frankreich möchte sich ebenfalls ausdehnen und träumt von einem eigenen Mittelmeerzugang.
Im französischen Südwesten herrschen die freien Grafen von Toulouse, selbst mächtig wie Könige. Obwohl die reiche Grafschaft Toulouse nominell der Krone Frankreichs untersteht, ist sie de facto unabhängig. Wir befinden uns im Herzland von Okzitanien. Im Osten liegt das verbündete Languedoc mit seinen Grafschaften von Carcassonne und Foix, und das Roussillon. Oberster Lehnsherr des Languedoc ist der König von Arragon, dessen Reich südlich der Pyrenäen (im heutigen Spanien) liegt.
Die Menschen Okzitaniens und des Languedoc sind vom gleichen Schlag, freiheitsliebend und unabhängig. Mit den Katalanen Nordspaniens haben sie mehr gemein als mit den Franzosen aus dem Norden. Das äußert sich auch in ihrer mit dem Katalanischen eng verwandten Sprache, der ‘Langue d'Oc'. Weil sie für ‘Ja' das Wort ‘Oc' sagen, nennt man es eben die ‘Sprache des Oc'; im Gegensatz zur nordfranzösischen ‘Langue d'Oeil'.
Das Wesen der Okzitanier ist geprägt von einem Schmelztiegel der Kulturen. Ihre christliche Gesellschaft ist bereichert durch die starken arabischen Einflüsse, welche eine jahrhundertelange Herrschaft der Sarazenen über Spanien bis nach Südfrankreich hineingetragen hat. Und auch die Juden dürfen in Okzitanien freier atmen und sich entfalten als anderswo in Europa.
Das Land ist wunderschön, das Klima mild, der Boden fruchtbar. Den Menschen geht es gut, verglichen mit anderen Völkern. Die Weltoffenheit seiner Kultur macht Okzitanien tolerant und aufgeschlossen gegenüber allem Neuen, was noch verstärkt wird durch einen eigenen ‘Brückenkopf' im Heiligen Land. Denn es ist auch die Zeit der Kreuzzüge. So sehr sich die europäischen Fürsten miteinander schlagen, raufen sie sich dennoch immer wieder zusammen, um unter dem Kreuz in Palästina gegen die muselmanischen Heiden ins Feld zu ziehen. Das neu errichtete Pseudokönigreich Jerusalem und die christlichen Bastionen in Palästina und im Libanon ermöglichen nicht nur den Handel mit Kleinasien, sondern tragen auch arabisches Gedankengut und die Philosophien östlicher Mysterien in die Heimat. Sie beleben den Geist des unter dem Dogma der römischen Kirche erstarrenden Europas neu.
Okzitaniens verlängerter Arm im Heiligen Land ist die Stadt Tripolis. So müssen wir uns nicht wundern, wenn neben dem materiellen Reichtum auch neue geistige Impulse aus Kleinasien nach Südfrankreich gelangen, wo sie auf besonders fruchtbaren Boden fallen.
Die heranreifende Frucht sind die Katharer. Sie predigen Gewaltlosigkeit und Genügsamkeit und sind trotzdem die Ursache für einen schrecklichen Bürgerkrieg. Sie nennen sich Christen und werden dennoch zur größten Gefahr, mit der sich die katholische Kirche je konfrontiert sah.
Rom – einst Zentrum und Herzschlag des größten Imperiums der Antike. Allein die Schlagkraft seiner Legionen hielt das Riesenreich zusammen.
Rom– Zentrum der Christenheit und Sitz des Stellvertreters Christi. Wieder ist die Stadt am Tiber zum Brennpunkt einer Weltmacht geworden. Diesmal der kirchlichen. Sie unterdrückt den Geist der Menschen mit ihrer Forderung nach blindem Glauben und bedingungsloser Unterwerfung. So verkündet Papst Innozenz III., man müsse dem Papst selbst dann gehorchen, wenn er von den Menschen Böses verlange, da kein Sterblicher die Beweggründe eines Papstes erfassen könne.
Die Ecclesia Catholica – die allein seligmachende Kirche – beansprucht das Monopol auf die Freiheit des Geistes und heizt den Gläubigen ein mit der Angst vor dem Fegefeuer. Deshalb steht im Mittelalter auf den Besitz der Bibel ja auch die Todesstrafe. Und die Heilige Schrift muß ausschließlich in Lateinisch gelesen und in den Kirchen gepredigt werden, weil das einfache Volk diese Sprache nicht versteht.
In jenen Jahren legt der Oberste Hirte der Christenheit seinen Hirtenstab häufig beiseite und greift statt dessen zu Schwert und Peitsche. Schäfchen, die sich zu weit von der Herde entfernen, werden rücksichtslos zurückgeprügelt oder kaltblütig als Schlachtopfer dargebracht – zur väterlichen Ermahnung an die übrige Herde. Dem Erlöser soll schließlich kein einziges Schaf verloren gehen.
Nein, die katholische Kirche trägt den menschlichen Geist wahrlich nicht in himmlische Gefilde empor. Sie fesselt die Seele an Dogmatismus und Angst. Mit handfesten Mitteln weiß sie ihre maßlosen weltlichen Ansprüche durchzusetzen. Der Reichtum und zur Schau gestellte Pomp der Kirche und der Sittenzerfall unter ihren Priestern sprechen der christlichen Lehre Hohn.
Im freiheitsliebenden Okzitanien entfacht die Verderbtheit und Ruchlosigkeit der Kirche ein besonders mächtiges Feuer des Widerspruchs. Dies erkennen auch die Päpste und wettern zu Recht, das Lotterleben des Klerus sei einer der Hauptgründe für das Abfallen der einfachen Menschen von der Kirche.
Die Lage wird ernst. Überall in Europa sagen sich Gläubige von Rom los. An manchen Orten treten sogar ganze Bistümer samt Klerus geschlossen zur Lehre der Ketzer über! Nirgends jedoch verbreitet sich die katharische Bewegung schneller als in Okzitanien und im Languedoc. Die Katharer gewinnen immer mehr Anhänger, machen der katholischen Kirche sogar die geistige Herrschaft streitig. Und die okzitanischen Adligen sind auch keine Hilfe, im Gegenteil. Viele von ihnen hängen selber dieser von Rom verfluchten Ketzerei an.
Ermahnungen, Aufrufe und Drohungen des Papstes verlaufen im Sand. Seine Heiligkeit befindet es an der Zeit, den Hirtenstab beiseite zu legen. Im Jahre 1181 zieht der päpstliche Legat Henri d'Albano zum ersten Mal mit einer mächtigen Armee gegen die Katharer ins Feld und versucht, die Häresie (=Ketzerei) im Süden Frankreichs einzudämmen. Ohne Erfolg. Je grausamer der Legat gegen die Menschen vorgeht, desto stärker setzt sich der ketzerische Glaube in ihren Herzen fest.
Noch halten sich die weltlichen Könige aus dieser Menschenjagd heraus. Es ist eine Armee des Papstes, welche Gottes Kinder zum rechten Glauben zurückführen soll. Doch die Brutalität des Feldzuges wird so abscheulich, daß sich Frankreich genötigt sieht, den päpstlichen Gesandten d'Albano über einen Mittler zur Mäßigung aufzufordern. Schließlich will der König das reiche Land seiner Vasallen nicht völlig in Trümmern liegen sehen.
Hoffte die Kirche, mit ihrem Feldzug die okzitanischen Adligen auf ihre Seite bringen und die Ketzer isolieren zu können, so schlug ihr Ansinnen gründlich fehl. Viele Feudalherren solidarisierten sich nun erst recht mit den Katharern. Die Gefahr für die unangefochtene geistige Dominanz Roms war im Languedoc noch lange nicht gebannt. Indirekt zollte die katholische Kirche ihren geistigen Herausforderern durchaus Respekt – leitet sich unser Wort ‘Ketzerei' doch von den Katharern ab, welche so zum Sinnbild der Häresie schlechthin wurden. Sie müssen die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert haben.
Der Begriff ‘Katharer' selbst stammt vom griechischen Wort ‘catharoi'– ‘die Reinen'. Und Reinheit war die Quintessenz ihrer Religion. Die Katharer wollten hren Körper und Geist reinigen, weil sie die göttliche Vollkommenheit anstrebten. Den Körper hielten sie rein durch häufiges Fasten und den Verzicht auf Fleischgenuß. Sie verurteilten jegliche Form des Tötens – auch von Tieren–weil sie wie die Urchristen und frühen Gnostiker an die Seelenwanderung (Wiedergeburt) glaubten (siehe ZS 9, Seite 45: Reinkarnation: Die größte Lüge der Kirche)
Die Klarheit und Reinheit ihres Geistes bewahrten die Katharer, indem sie allen Dogmatismus und allen blinden Glauben als größtes Hindernis auf dem Wege zur echten Einweihung ablehnten. Deshalb wollten sie das Christentum von allem weltlichen Pomp Roms säubern. Als ob nicht schon allein ihr asketisches Auftreten eine Provokation für die katholische Kirche darstellte, predigten die Katharer öffentlich gegen den Papst und seine Mönche – und das sehr erfolgreich. Wir müssen uns nämlich bewußt sein, daß der römische Dogmatismus ursprünglich bloß eine von drei großen, sich gegenseitig rivalisierenden, geistigen Strömungen im Christentum war. Die drei Richtungen waren:
In den ersten Jahrhunderten nach Christus triumphierten die Bischöfe Roms endgültig über das mystische Urchristentum, die sogenannte Gnostik. Damit wurde der dogmatische blinde Glaube an die Stelle einer echten Spiritualität gesetzt. Die weltlichen Machtansprüche von kirchlichen Würdenträgern, die ausschließlich Männer waren, verdrängten das feminine, geistige Prinzip des Christentums.
Mit den Katharern lebte hingegen das gnostische Christentum wieder neu auf. Wie alle Gnostiker vor ihnen fühlten auch sie sich mit Johannes verbunden, dem Repräsentanten eines esoterischen, weiblichen Christentums. Die Katharer verabscheuten zudem alles, was hebräisch war; nicht nur das Alte Testament, sondern auch die jüdischen Evangelien. Die Gewalt eines Mose war ihnen ebenso zuwider wie der donnernde Zorn Jehovas.
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