Vergeben heißt Vergessen

Frieden auf Erden wird es nur, wenn keiner mehr nach Vergeltung trachtet. Zudem ist Vergeben viel schöner als Hassen – und Richten tut sich sowieso jeder selbst. Ein Plädoyer für die Friedfertigkeit.

Kennen Sie Giulietta Masina? Sie war die Frau des berühmten italienischen Filmregisseurs Federico Fellini. Er war ein etwas hochfahrender Mensch. Eines Tages hatten sie Gäste, und irgend etwas, das sie machte, paßte ihm nicht. Vor allen Gästen schrie er sie an und stellte sie bloß. Giulietta entfernte sich still. Nach einer Weile kam sie wieder, in der Hand einen Strauß Rosen, die sie im Garten geschnitten hatte. Nun ging sie zu ihrem Mann und danach zu ­allen ihren Gästen und überreichte jedem mit einer kleinen Verbeugung und einem Lächeln und ohne eine Silbe zu sagen eine Rose.

Wie oft lassen wir uns dazu hinreißen, böse Worte oder Taten mit noch böseren zu vergelten – so, wie der alttestamentarische Rächergott es fordert mit seinem ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn'? Wie sehr windet sich das kleine Kind, wenn es um Verzeihung bitten soll – und wie sehr winden wir uns innerlich, wenn unser Gewissen dasselbe von uns fordert? Es fällt uns so schwer, daß das Fernsehen sogar ein Geschäft damit machen konnte. RTL brachte in der Show ‚Verzeih' mir!' Menschen zusammen, die jahrelang kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten, weil sie nicht verzeihen konnten. Und fast jedesmal, wenn sie einander dann begegneten, und sie das ‚Verzeih mir!' mit Blumen sagten, flossen Tränen. So schön, so er­greifend war es, im Frieden wieder zueinander zu finden.

Willy Brandt's Kniefall

7.12.1970: Willy Brandts Kniefall am Mahnmal im Warschauer Ghetto. Der ‚Täter' bittet das ‚Opfer' um Vergebung für seine Verbrechen. Es ist die göttliche Pflicht des Opfers, wirklich zu vergeben – und das heißt: vergessen.

Als Willy Brandt in Polen auf die Knie ging und damit um Vergebung für den Holocaust bat, zeigte sich die ganze Welt beeindruckt. Sein Kniefall wird die Geste sein, die von ihm in Erinnerung bleibt. Zurzeit wird eine Oper über ­diesen Kniefall geschrieben, von ei-
nem Deutschen namens Rosenthal. Wie wunderschön wäre es doch, die Juden könnten eines Tages wirklich sagen – wir haben euch vergeben! Wir sehen euch nichts mehr nach. Und vergessen würden. Wie schön, wenn die Palästinenser den Juden eines Tages vergeben könnten. Die Indianer und die Schwar­zen den Weißen. Die Bosnier den Serben. Und so weiter. Wenn die Sonne uns nicht vergeben würde, wenn wir etwas tun, von dem wir uns insgeheim wünschen, sie bringe es niemals an den Tag – würde es dann überhaupt noch für irgend ­einen von uns jemals Tag werden? Wenn Gott uns so offensichtlich Tag für Tag vergibt – denn die Sonne scheint auf den Verbrecher wie auf den Gerechten, und beide atmen ihren Lebenshauch – wer sind wir dann, daß wir glauben, Vergebung sei nicht unser Geschäft? Wirklich vergeben haben wir sowieso erst dann, wenn wir vergessen. Wer also immer das Vergessen verhindern will, stellt sich der Vergebung entgegen. Wie aber soll diese Welt jemals gesunden, wenn immer noch irgendwo einer auf Rache oder auf Sühne sinnt?

Vielleicht können wir uns mit diesem unbeliebten ‚Geschäft' des Vergebens näher anfreunden, wenn wir uns einmal ganz nüchtern anschauen, was eigentlich geschieht, wenn uns ­jemand ein Unrecht antut. Dieser jemand hat ­irgendwo ein Problem. Und dieses Problem läßt er nun auf uns los wie es die Steinschleuder mit einem Stein macht. Wir sind verletzt. Lecken uns die Wunden. Sinnen auf Rache. Holen unsere Steinschleuder hervor, fügen ihm eine noch etwas größere Wunde zu. Und schon beginnt der Krieg. Warum? Weil wir sein Problem zu unserem Problem gemacht haben.

Betrachten wir es einmal ganz anders. Wenn Dir einer ein Leid antut, dann wählt er Dich ­unbewußt zu seinem Heiler.

Er gibt Dir seine ‚Krankheit' – und Du sollst nun ein ‚Heilmittel' für ihn finden. Natürlich ist das nicht, was das niedere Ego eines Menschen will, wenn es Dich angreift, verletzt oder verleumdet. Von einer höheren Ebene betrachtet, sucht jedoch das Göttliche in jenem Menschen, nachdem jener willentlich die falsche Handlung begangen hat – nach jener Medizin (sprich Lektion) – die den Betreffenden etwas lernen läßt.

Eine Arbeit aus dem Plakatwettbewerb, den Polen zum dreißigsten Jahrestag des Kriegsendes ausschrieb: Das alte Prinzip von ‚Haß – Vergeltung' muß in das höhere Gesetz ‚Haß – Liebe' gewandelt werden (Hamelmann).

Ah, dann dürfen wir dem, der mit Steinen auf uns geworfen hat, es also doch heimzahlen? Nein. Im Augenblick, wo ich meine Steinschleuder hervorhole, begebe ich mich in den Kriegszustand. Oder, anders gesagt, ich lasse mich von der Krankheit des anderen infizieren. Das Immunsystem meiner Herzensliebe ist geschwächt. Dem anderen, der mich zu verletzen suchte, kann es nicht gutgehen, während er dies tut. Schließ­lich ist er in seiner Schwingung eins mit der Handlung, die er ausführt. Soll ich, nun da ich erkannt habe, daß das ganze sein Problem ist, es auch noch zu meinem machen, indem ich mich auf dieselbe tiefe Schwingungsebene begebe und mich zur gleichen niederträchtigen Handlungsweisen hinreißen lasse? Gemäß dem Motto – Auge um Auge…?

Ein Vogel, der hoch fliegt, ist für eine Steinschleuder unerreichbar. Ein Mensch, dessen Herz hoch fliegt, ist es auch. Statt getroffen und verletzt zu werden, erkennt er aus seiner hohen Warte die Unvollkommenheit, unter der sein ‚Gegner' leidet. Und was anderes als Mitgefühl könnte ein hohes, weites Herz empfinden, wenn es irgendwo Leiden entdeckt? So, wie eine Mutter ihr kleines Kind ans Herz drückt, das tobt und in sei­ner hilflosen Verzweiflung vielleicht sogar noch nach ihr schlägt, so nimmt das mitfühlende Herz die Qual des anderen auf und gibt sie weiter – an Gott. Damit betrifft das ‚Problem' des anderen, das auf ihn projiziert wurde, ihn ganz und gar nicht mehr. Sein Mitgefühl und seine Bereitschaft, zu vergeben, machen ihn vollkommen frei.

Wenn ich Haß mit Haß beantworte, dann bestätige und bestärke ich den anderen in seiner haßerfüllten Handlungsweise. Nun macht er erst recht weiter. Antworte ich mit Liebe und Vergebung auf seine versuchte Verletzung, dann befreie ich mich von seinem Angriff. Und ich mache es möglich, daß er sich selber richtet. Denn es ist nicht Gott, der richtet – jeder Mensch ist sein eigener Richter (und seine Fähigkeiten sind seine Geschworenen, wie es Saint Germain einmal so treffend ausdrückte).

Im Buch ‚Leben und Lehren der Meister im Fernen Osten' von Baird Spalding äußert sich ­Jesus dazu sehr eingehend. Wenn es die Fähigkeit Ihres Annehmens übersteigt, daß Jesus zusammen mit anderen Meistern im letzten Jahrhundert im Fernen Osten einige Menschen aus dem Westen unterwies, dann vergessen Sie es einfach wieder. Die Essenz dessen, was er sagte, ist dennoch vollkommen wahr. Im übrigen: Auch Toleranz ist eine göttliche Tugend!

Jesus also äußerte sich darüber, daß ein Mensch, der in Übereinstimmung mit seiner göttlichen ICH BIN-Gegenwart ist, zu einem Generator wird, durch den dieses "große, strahlende, schöpferische Prinzip hindurchströmt. Seht dieses Prinzip als den Ausfluß aller Macht, wißt daß es das Prinzip aller Macht ist; dann wird euer Körper gleich einem elektrischen Generator diese Energie auffangen und sie verstärken, und ihr werdet sie aussenden wie einen Strom reinen, weißen Lichts, dem nichts widerstehen kann; dann kann auch nichts, was gegen euch gerichtet ist, euch schaden.

Auch könnt ihr mit diesen Lichtstrahlen solch intensive Impulse elektrischer Energie aussenden, daß der Körper dessen, der euch zu schaden versucht, zerstört wird. Jeder Widerstand gegen diese Energie verstärkt augenblicklich ihr Volumen und infolgedessen ihre Schnelligkeit. Wer Widerstand gegen sie leistet oder den eigenen Willen dagegen zu stemmen versucht, schadet sich bloß selber. Wer diesem Licht keinen Widerstand entgegensetzt, wird es in sich wie heilenden Balsam einfluten spüren, so, wie ihr es jetzt spürt."

Jesus ruft nicht dazu auf, einen ‚Feind' willentlich zu zerstören. Sobald wir uns an einem, der uns verletzt, rächen wollen, begeben wir uns selbst in den Strudel der Disharmonie. Dann schaffen auch wir unvollkommene Energie, die als Karma eines Tages von uns erlöst werden will. Daher betonen die östlichen Religionen wie der Buddhismus sosehr die Gelassenheit. Als Buddha auf die Erde kam, lehrte er die Menschen, die Täuschungen dieses materiellen Lebens zu erkennen. Er wies darauf hin, wie wichtig überlegtes Handeln ist – damit wir uns nicht ständig durch übereilte, unüberlegte Worte und Taten neues Karma schaffen. Noch heute gehört es zum Tag eines Buddhisten, sich am Abend hinzusetzen und in ruhiger Meditation seine Handlungen zu überdenken – auch die falschen. Indem so ein Buddhist ruhig und unvoreingenommen schaut, was er tagsüber Unvollkommenes gedacht, gefühlt, gesagt und getan hat, erkennt er seine Fehler an. Oft bittet er unverzüglich um Vergebung dieser Fehler. Oder er geht zu jenem hin, dem er Unrecht getan hat und bittet ihn um Verzeihung. Ist das nicht eine wunderbare Tradition? Wie oft rauben uns falsche Worte und Taten den Schlaf? Dabei ist es so leicht, einander zu vergeben. Wer ohne Fehler, werfe den ersten Stein.

Wieviele Ehen werden geschieden, weil der eine Partner dem anderen den Seitensprung nicht vergeben will? Und wie sieht es danach aus? Langzeit-Studien zeigten, daß Unglück und (see­lische) Not nach einer Scheidung für alle Beteiligten viel, viel größer sind, als man jemals angenommen hätte. Vor allem Kinder tragen oft das ganze Leben am Trennungstrauma, das sie in der Jugend erlebten. Ist es in Ordnung, daß ich aus verletztem Stolz die ganze Familie ins Unheil reiße, weil ich nicht bereit bin, zu vergeben? Stolz ist eine karge, einsame Insel. Und manch einer, der Schiffbruch erlitt und sich auf sie flüchtete, wünscht sich spä­ter nichts sehnlicher, als zurückschwimmen zu können ins freundliche Land seiner Vergangenheit. Doch die rauhe Insel des Stolzes hat unsichtbare Gefängnismauern – in die sich auch jeder einkerkert, der glaubt, sich selber nicht vergeben zu können.

Im Grunde ist das nur eine verkleidete Form der Wichtigtuerei. Kein Mensch ist so bedeutend, daß er sich die Fehler nicht vergeben könnte, die er begangen hat. Und Menschen, die meinen, sie müßten ein Leben lang im Büßerhemd herumgehen, weil sie eine ‚schlimme' Tat begingen, die setzen sich auf das Podest eines völlig übersteigerten Vollkommenheitsanspruchs. Wir sind Menschen, wir machen Fehler. Und dann? Bitten wir um Vergebung und waschen unsere Schuld ab. Einsicht und Reue sind wunderbar, wenn sie irgendwann aufhören und dem Leben wieder Platz machen. Im Grunde ist jeder Tag wie ein kleines Leben. Jeden Morgen werden wir neu geboren, jeden Tag sterben wir in die Nacht hinein. Warum also sich jeden Tag mit einer ­neuen ‚Erbsünde' belasten, wo wir doch um Vergebung bitten könnten in der Nacht – und rein davon in den neuen Tag gehen?

Natürlich, es gibt Vergehen, die wir nicht so einfach ‚abwaschen' können. Es gibt in der Tat Vergehen, die so schwerwiegend sind, daß wir sie sühnen müssen. Doch selbst dann ist die Chance, sie einmal wirklich wieder zu erlösen, viel größer, wenn wir uns selbst vergeben. Denn sonst sind wir nicht fähig zur Liebe. Zudem: ­Unsere Fehler sind auch die Samen unserer wachsenden Weisheit. Unsere Fehler lassen uns Erfahrungen machen, durch die wir wachsen können. Warum also hassen wir sie dann?

Warum hassen wir irgend etwas, und sei es noch so entsetzlich? Haß ist eine sehr unangenehme Gefühlsform. Wer darin freiwillig verharrt, ist ein Masochist. Solange Bosnier Serben hassen und radikale Muslims gemäßigte, solange Sikhs Hindus hassen und Russen Tschetschenen – solange führen sie Krieg gegen Gott. Wenn der andere etwas höchst Schreckliches tut, ist es doch nicht unsere Aufgabe, zu rächen oder zu richten. Im Buch von Baird Spalding weist Jesus darauf hin, daß jeder Mensch ein Teil Gottes ist, und daß wir, wenn wir rein und harmlos sind, das göttliche Licht ungehindert durch uns fließen lassen können. "Nun macht diesen weißen Strahl lebendig, den Gottesstrahl, durch den ihr Gotteskräfte ausschickt; erfüllt ihn mit der in Gotteskraft umgewandelten Energie, die zehntausend- oder zehnmillionenmal größer ist als diejenige, welche euch zugesandt wurde und die ihr zurücksendet, je nach eurem Willen; laßt sie zurückkeh­ren auf demselben Pfade, den die Schwingungen auf ihrem Wege zu euch genommen haben. Wenn der Betreffende diesen Strahl aufnimmt und ihn als von Gott kommend empfängt, dann ist aller Schaden, den er euch zufügen wollte, ausge­löscht, verziehen, vergessen, und weder euch noch dem Aussender des schlimmen Gedankens geschieht ein Leid. Beide steht ihr Aug in Auge eins mit Gott. An Stelle von Disharmonie ist völlige Harmonie getreten, ihr seid aufs neue EINS.

Nimmt der Aussender eines bösen Gedankens den weißen Strahl nicht auf, den ihr in all seiner Macht ausgeschickt habt, so wird sein Körper zerstört. Dieser reine, weiße Strahl löscht jede schädliche oder Uneinigkeit verursachende Schwingung aus, wenn ihm erlaubt wird, sein vollkommenes Werk zu tun. Wo ihm widerstanden wird, gibt es für den, der einen entschiedenen Widerstand leistet, nichts anderes als absolute Vernichtung. Sein Widerstand fordert GEGEN sich das ganze schöpferische Prinzip heraus, im Quadrat zur Widerstandskraft, die er entge­gen­­setzt. Im Quadrat bedeutet also, den Widerstand vervier­fachen.

Ihr seht somit, daß das Gute wie das Böse, das ihr aussendet, in vierfachem Maße zu euch zurückkehrt.

So steht ihr da, als Herr, als Gesetz und gebt Gutes oder Göttliches für Böses, doch seid auch in dieser Einstellung wahrhaft demütig. RICHTET NICHT. Teilt jeden Funken von Liebe, der in euch ist, diesem reinen, weißen Strahl mit und gebt gut acht, daß es reine Got­tesliebe ist, die ihr hervorbringt und aussendet. Wenn ihr dies tut, stehen Legionen zu eurer Verfügung. Doch seid bescheiden und demütig, folgt willig dem Lichte nach. Ihr folgt dem reinen Gotteslichte, das Leben, Liebe, Reinheit und Schönheit ist, ewig und tief.

Es sind in euerm Körper sieben Zentren, die als Reflektoren benutzt werden können. Ihr könnt veranlassen, daß diese Zentralpunkte in einem weit stärkeren Maße erglühen als irgendein künstliches Licht, und wenn ihr dieses Licht aussenden wollt, scheint es heller und reicht weiter, als irgendein elektrischer Strahl projiziert werden kann.

(…) Darum sendet Liebe denen, die euch Leid zufügen möchten, dann wird die von ihnen ausgelöste Energie auf sie zurückfallen. Das Bild der Bosheit, das sie aussandten, spiegelt den niederen Menschen in ihnen wider, der bekämpft, was er als seinen Feind betrachtet; in Wirklichkeit aber bekämpfen sie das Bild ihres eigenen niederen Selbstes. Diese Bilder verwandeln für sie die liebsten Freunde in Feinde und stellen Bruder gegen Bruder."

Vergeben heisst Vergessen

Erst vollständige Vergebung läßt die dunklen Schatten der Vergangenheit weichen und öffnet die Tore zu dauerhaftem Frieden. Auch dieses Plakat ist eine Arbeit aus dem polnischen Wettbewerb.

Zu jener Zeit gingen räuberische Banden in der Gegend um. Am Tage nach dieser Unterweisung meldeten die Wachposten, daß eine große, berittene Räuberhorde auf das Dorf zustürme. Während im Dorf gewaltige Panik herrschte und viele sich zu verstecken suchten, beobachteten die Begleiter Jesu, daß dieser ganz weit auf einen Felsvorsprung hinaus trat und einen Augenblick in wundervoller Ruhe dastand. Sanft begann er ein Gebet zu sprechen. Als er es beendet hatte, ging aus dem Solarplexus seines Körpers ein Strahl blendend weißen, reinen Lichts hervor. Er dehnte sich aus bis in felsige Tal hinunter, dahin, wo die Vorhut des Räubertrupps heranpreschte.

Seltsames geschah: Wo der Lichtstrahl aufhörte, schien sich plötzlich ein großer Wall zu erheben, ähnlich einer Felsmauer, und aus diesem Hindernis schossen Strahlen hervor, die flammenden Pfeilen glichen.

Die vorwärtsstürmenden Pferde hielten so rasch inne in ihrem tollen Lauf, daß eine ganze Anzahl Reiter vom Pferde fiel. Ein ungezügeltes Tohuwabohu begann – sich aufbäumende, wild gewordene Pferde, die in die Nachhut hinein­rasten, und vor Entsetzen laut zu schreien an­fingen. Männer, die wie toll geworden ihre Schwerter zückten und in alle Richtungen drauflos hieben. Die Räuber schlachteten einander buchstäblich ab, und kurze Zeit später lang das Tal übersät mit großen Haufen von toten und verwundeten Männern und Tieren.

Was war geschehen? Indem Jesus die destruktive Energie, die die Räuber aussandten, aufgenommen, und in göttlich reines Licht umgewandelt hatte, strömte dieses potenziert auf die Räuber zurück. Da sie sich immer noch ganz in der Negativität befanden, entfachte die Reinheit des göttlichen Lichts diese zu einer Art Feuersbrunst von Gewalt – Gewalt, die die Räuber als Energie mit sich herumtrugen, und die sie nun selbst zerfleischte.

Die Männer, die mit Jesus waren, holten zusammen mit einigen Dorfbewohnern all jene Männer und Tiere, die nicht den Tod gefunden hatten, und pflegten sie gesund. Der Räuberhauptmann, den man den ‚schwarzen Banditen' nannte, wurde der Obhut der Gastgeberin übergeben. Während sie seine Wunden versorgte, bat er sie, sie möge ihm zeigen, wie er es anstellen müsse, damit er werde, wie sie sei. Auch wollte er wissen, wie man bete.

Sie fragte ihn, ob er wieder ganz gesund und heil werden wolle. "Ja", antwortete er, "gerade so, wie Sie sind." Da sagte sie: "Da du gebeten hast, heil und gesund zu werden, ist dein Gebet erhört. Du bist jetzt vollkommen geheilt."

Der Mann fiel in einen tiefen Schlummer. Um Mitternacht hatten sich seine Wunden vollständig geschlossen. Nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben. Am anderen Tag bat der ‚schwarze Bandit' darum, beim Rettungswerk mithelfen zu dürfen.

Später bildete er mit allen Verwundeten, die sich ihm anschließen wollten, eine Schutztruppe gegen weitere Überfälle. Niemals mehr machten sie einen Versuch, jemanden zu überfallen. Jahre später passierten zwei Expeditionen das Territorium auf ihrem Weg zur Wüste Gobi. Der ‚Bandit' und seine Gefährten begleiteten die Teilnehmer vierhundert Meilen weit durch ihren eigenen Distrikt und die umliegenden Gegenden. Weder er noch seine Genossen nahmen auch nur die geringste Belohnung für ihren Dienst an. Spalding: "Man hat uns oft versichert, daß er im ganzen Umkreis zu einer großen Macht des Guten geworden sei, und daß er sich ganz und ohne Belohnung seinem Volke zur Verfügung stelle."

So wurde aus einem Mann, dessen einziger Lebenszweck es war, andere zu berauben und zu morden, einer, der sich selbstlos völlig in den Dienst am Nächsten stellte.
Dadurch, daß ihm völlig vergeben wurde, wurde er geheilt. Dadurch, daß göttliches Licht statt Rache ihn traf, erhielt er die Möglichkeit, zu lernen – und ganz und gar heil zu werden. Solcherart ist die Kraft der Vergebung, die aus einem reinen Herzen strömt.
Gibt es noch irgend einen Grund auf der Welt, nicht zu vergeben, und nicht zu vergessen?