Übermäßiger Zuckerkonsum macht nicht nur dick, sondern auch dröge und depressiv. Und er ist das Lieblingsfutter von Krebszellen. Wer glaubt, gar nicht viel Industriezucker zu konsumieren, wird hier eines Besseren belehrt: Zucker ist heute in Lebensmitteln allgegenwärtig und wird so zu einer der größten Gesundheitsgefahren. Industrie und Politik verhindern seit Langem die notwendige Aufklärung.
Er wollte wissen, welche Auswirkungen der tägliche Konsum von sogenannten „versteckten Zuckern” auf seine Gesundheit hat: Sechzig Tage lang testete der australische Schauspieler Damon Gameau1 eine Ernährung, die das Äquivalent von täglich vierzig Teelöffeln Zucker – das entspricht etwa 160 Gramm – enthielt. Dies ist erschreckenderweise die Menge, die viele Australier jeden Tag konsumieren. Dieses Maß an Zucker nahm er jedoch ausschließlich in Form von vermeintlich gesunden Lebensmitteln zu sich – Nahrungsmittel, die nach landläufiger Auffassung wenig oder keinen Zucker enthalten. Konkret: magere Joghurts, Frühstücksflocken, Müsliriegel und Obstsäfte. Auf bekanntermaßen zuckerreiche Genussmittel wie Softdrinks, Schokolade, Eiscreme oder Süßgebäck verzichtete Gameau hingegen konsequent.
Zu den weiteren Regeln bei diesem Experiment gehörte, dass die Kalorienzufuhr nicht höher liegen durfte als zuvor (ca. 2'300 Kalorien), der Schauspieler sein gewohntes Sportprogramm (zweimal wöchentlich Jogging und Krafttraining) beibehalten und stets fettarme Lebensmittel wählen musste. Bei dem konsumierten Zucker musste es sich um Saccharose (Kristallzucker) und Fruktose (Fruchtzucker) handeln, egal ob hinzugefügt oder natürlich vorhanden. Kohlenhydrate, die im Körper zu Zucker verarbeitet werden, zählten nicht dazu.
Das Ergebnis: Gameau nahm in sechzig Tagen fast neun Kilogramm zu, innerhalb weniger Wochen zeigte er erste Anzeichen einer Fettleber und war auf dem besten Weg zu Fettleibigkeit, Diabetes und einem Herzleiden. Wie nun soll es bitte möglich sein, dass man beim Konsum ausschließlich fettarmer Produkte und einer angemessenen täglichen Kalorienmenge dermaßen zunehmen kann? Der New Yorker Kinderarzt und Adipositas-Experte Robert Lustig kennt die Antwort. Er hat jahrzehntelang adipöse Kinder behandelt und ist der „Epidemie Übergewicht” auf den Grund gegangen. In seinem Buch Die bittere Wahrheit über Zucker räumt er auf mit der Theorie der großen Gesundheitsorganisationen, dass Fettleibigkeit die Folge eines Energie-Ungleichgewichts sei, also einer zu hohen Kalorienzufuhr bei zu wenig körperlicher Bewegung. Lustig hat erkannt, dass eine Kalorie eben nicht eine Kalorie ist! Warum? Bei der Verbrennung von einem Pfund Fett werden etwa 2'800 Kalorien freigesetzt. Deshalb nahm man immer an, dass man ein Pfund abnehmen kann, wenn man 2'800 Kalorien weniger isst oder dieselbe Kalorienzahl durch Bewegung verbraucht. Doch eine neuere wissenschaftliche Studie entlarvt die Erwartung, ein höherer Energieverbrauch fördere den Gewichtsverlust, als Irrtum. Sobald Menschen abnahmen, mussten sie ihre Energiezufuhr noch weiter reduzieren respektive noch mehr Sport treiben, um weiterhin abzunehmen. Durchschnittlich mussten fettleibige Menschen dann 3'418 Kalorien einsparen, um ein Pfund Fett abzubauen. Allein durch Bewegung ist es also äußerst schwierig, Gewicht zu verlieren, wenn nicht gar unmöglich. Ein zweiter Grund dafür, dass Bewegung nicht zu Gewichtsverlust führt: Wenn Sie sich bewegen, bauen Sie Muskeln auf. Das ist gut für die Gesundheit, reduziert aber nicht Ihr Gewicht. Wenn Sie die Nahrungsaufnahme also konstant halten und dann mit intensiver Aktivität beginnen, werden Sie zwar etwas Gewicht verlieren, aber nicht viel.
Das ist auch der Grund, weshalb Diätmedikamente, die den Appetit unterdrücken, keinen Erfolg bringen: Sie funktionieren nur für eine kurze Zeit, und dann kommt es beim Abnehmen zu einem Stillstand. Denn der Körper ist klüger als der Verstand! Er reduziert einfach den Energieverbrauch, um sich an die niedrigere Kalorienzufuhr anzupassen. Unsere Körper sind äußerst intelligente Wesen, und da die Energiebilanz für unser Überleben so wichtig ist, gibt es gleich mehrere Regulationsmechanismen, um dafür zu sorgen, dass der Organismus nicht stirbt – für den Fall, dass einer fehlschlägt. Also entspricht eine Kalorie nicht wirklich einer Kalorie, weil der Kalorienverbrauch einerseits vom Körper kontrolliert wird und andererseits von der Menge und auch der Qualität der aufgenommenen Kalorien abhängt.
Wenn eine Kalorie tatsächlich eine Kalorie wäre, dann wären alle Fette gleich, da sie beim Verbrennen jeweils neun Kalorien pro Gramm freisetzen. Doch das sind sie nicht. Es gibt gute Fette (mit wertvollen Eigenschaften, die beispielsweise entzündungshemmend wirken) und schlechte Fette (die Herzerkrankungen und eine Fettleber verursachen können). Ebenso sollten auch alle Eiweiße und Aminosäuren austauschbar sein, da sie beim Verbrennen 4,1 Kalorien pro Gramm freisetzen. Doch auch hier gibt es qualitativ hochwertiges Eiweiß (wie etwa Hühnereiweiß), das den Appetit reduzieren kann, sowie minderwertige Eiweiße (Hamburgerfleisch) voller verzweigtkettiger Aminosäuren, die mit Insulinresistenz und dem metabolischen Syndrom2 in Verbindung gebracht werden. Schließlich sollten auch alle Kohlen2 der entscheidende Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten hydrate gleich sein, da sie beim Verbrennen ebenfalls 4,1 Kalorien pro Gramm liefern. Natürlich stimmt auch das nicht. Es gibt zwei Arten von Kohlenhydraten – Stärke und Zucker. Stärke besteht ausschließlich aus Glukose (Traubenzucker), die nicht sehr süß ist und von jeder Körperzelle als Energielieferant genutzt werden kann. Auch wenn es noch mehrere Arten von Zucker gibt (siehe auch Kasten auf Seite 55), sprechen wir im Folgenden von Saccharose, dem weißen Haushaltszucker, der entweder aus Zuckerrübe oder Zuckerrohr gewonnen wird. Saccharose ist ein Disaccharid (Zweifachzucker) und besteht aus der Verbindung eines Moleküls Glukose mit einem Molekül Fruktose (Fruchtzucker).
Saccharose ist nicht nur ein Kohlenhydrat, sondern in Wirklichkeit sowohl ein Fett – denn so wird Fruktose in der Leber verstoffwechselt – als auch ein Kohlenhydrat – denn so wird Glukose verstoffwechselt. Und nun nähern wir uns langsam dem Grund dafür, weshalb eine Ernährungsweise, die reich an Zucker, aber arm an Fetten ist, zu Übergewicht führen kann.
Ein wesentlicher Bestandteil von Gameaus Ernährung während des Experiments waren Fruchtsäfte, die natürlicherweise reich an Fruktose sind. In seinem Buch über das Experiment erklärt er, dass Obst und Fruchtsaft zwei grundverschiedene Dinge sind. Während Früchte in ihrer von Mutter Natur sorgsam gestalteten Verpackung eine ausgewogene Menge an Ballaststoffen, Nährstoffen und Zucker enthalten und so von unserem Körper als Ganzes in der angemessenen Zeit verstoffwechselt werden kann, so gilt dies nicht länger für die zu Saft gepresste Variante. Denn diese enthält fast nur noch Zucker – und Wasser. Professor Jean-Marc Schwarz von der Touro University in Kalifornien beschreibt unseren Konsum an Säften und gesüßten Getränken als „Fruktose-Tsunami, der unsere Leber überschwemmt. Es ist eine riesige Zuckerwelle, die schreckliche Auswirkungen hat.” Und Professor Barry Popkin von der Universität North Carolina, ein Spezialist auf diesem Gebiet und ein weltweit aktiver Verfechter gesunder Ernährung, warnt, dass achtundneunzig Prozent der heutigen Saftgetränke eine Mischung aus Fruchtsaftkonzentrat, Wasser und Aromastoffen sind. Er hält sie für ebenso gesundheitsschädlich wie Softdrinks.
Gameau fiel während seines Experiments auf, dass er sich durch die zuckerreiche Ernährung auch aufgrund der Fruchtsäfte nie satt fühlte, weil Fett und Ballaststoffe auf seinem Speisezettel weitgehend fehlten. Keine Mahlzeit stillte seinen Hunger – musste er sich doch auf die genannte Kalorienzahl beschränken. Und dies fiel ihm zunehmend schwer. So lernte er, wie wichtig Ballaststoffe sind, weil sie den Stoffwechsel verlangsamen und unsere Verdauung im Gleichgewicht halten.
Kinderarzt Lustig behandelte unter vielen anderen übergewichtigen Kindern den sechs Jahre alten Latino-Jungen Juan. Er war mit seinen fünfundvierzig Kilogramm fast schon breiter als groß. Zu seiner Mutter sagte Dr. Lustig: „Es ist mir egal, was Ihr Junge isst – sagen Sie mir, was er trinkt.” Die Antwort: keine Limonade und keine Softdrinks, aber knapp vier Liter Orangensaft, jeden Tag. Rein kalorienmäßig reicht das bereits für fünfzig Kilogramm Körperfett pro Jahr. Natürlich wird einiges davon verbrannt, und der Saftkonsum mag auch eine Auswirkung auf die Nahrungszufuhr haben. Der Arzt erklärte der Mutter, der Junge solle das Obst essen, statt den Saft zu trinken.
Für den Adipositasexperten ist Fruktose der wichtigste (wenn auch nicht der einzige) Bösewicht, der „Darth Vader”3 , der die Menschen in der Geschichte der Adipositaspandemie – die heute nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa und in allen Ländern, die die westliche Ernährungsweise angenommen haben, grassiert – auf die dunkle Seite zieht. Zwar hört sich das Wort „Fruchtzucker” im ersten Moment gut an. Doch es gibt immer mehr Menschen, die keinen Fruchtzucker mehr vertragen. Der Grund: Unsere Nahrung wird verstärkt mit industriellem Fruchtzucker angereichert, weil er im Vergleich zum üblichen Kristallzucker eine doppelt so hohe Süßkraft besitzt. Dieser Zucker ist in den letzten Jahren fast explosionsartig in vielen Lebensmitteln aufgetaucht. Softdrinks, Fertiggerichte, Kindernahrungsmittel, Brot, Suppen, Konserven, aber auch Bioprodukte enthalten oft Fruktose. „Mit der natürlichen Süße aus Früchten”, heißt es dann in der Werbung.
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