Apokalypse: Sehnsucht nach Armageddon

Obwohl wir das Zieljahr vieler Prophezeiungen, das Jahr 2000, unbeschadet überstanden haben, finden die Endzeiterwartungen kein Ende. In Amerika sehnen nämlich siebzig Millionen Menschen Armageddon herbei! Ein Irrglaube, der bereits unheilvollen Einfluß auf die globale Politik gewonnen hat.

Man fragt sich, was erstaunlicher ist: Daß es dieses Massenphänomen überhaupt gibt - oder, daß es von der Presse totgeschwiegen wird. Denn was sich im amerikanischen Süden, dem sogenannten ‚Bible Belt' (Bibelgürtel) abspielt, wäre eigentlich ein Fressen für die linken, atheistischen, zynischen Medien: Rund siebzig Millionen Amerikaner glauben, daß der ‚Jüngste Tag' uns kurz bevorsteht. Daß es nur eine Frage von Wochen bis wenigen Jahren sein kann, bis Jesus Christus auf einer Wolke herniederschweben und all jene, die ‚gerettet' sind, aus ihren Autos, Wohnungen und Gräbern zu sich hinaufziehen wird.

Schön und gut, mögen Sie sagen, lassen wir diesen Menschen doch ihren kindlichen Glauben. Doch die Sache ist nicht ganz so einfach. Die ‚fundamentalistischen Christen', wie sie auch genannt werden, stellen mittlerweile nämlich eine richtungsweisende politische Kraft dar. So ließen sie dem gegenwärtigen Präsidenten Bush am 30. Juli 2001 mitteilen, wenn er künftig nicht ihre politischen Ziele unterstütze und eine Politik betreibe, die klar für den Staat Israel und gegen die Palästinenser sei, dann würden sie seine Präsidentschaft ebenso zerstören, wie sie die seines Vaters zerstört hätten - der bekanntlich nach vier Jahren nicht wiedergewählt wurde.

Sehnsucht nach Armageddon

Katholizismus und Televangelismus - so fern und doch so nah. Das Verlangen nach Erlösung haben beide.

Die fundamentalistischen Christen richteten diese Drohung nicht allein gegen Bush. Mit ihnen im Bunde waren die US-Zionisten. Denn obwohl sie vollkommen entgegengesetzte Ziele haben und einander bei Erreichung derselben aufs Blut bekämpfen würden, bilden die evangelischen Christen mittlerweile die stärkste Kraft zur bedingungslosen Unterstützung Israels - womit sie sich die nicht ganz so bedingungslose Unterstützung der Zionisten verschafft haben.

Es ist eine Geschichte, so krude, abstrus und bigott, daß man sich fragt, wie Millionen Bürger des angeblich fortschrittlichsten Landes der Erde sie in unseren aufgeklärten Zeiten allen Ernstes glauben können. Dennoch wird diese Geschichte in keinem amerikanischen Medium angeprangert oder auch nur schon berichtet. Wir wissen jetzt weshalb: Weil die Interessen Israels dadurch geschädigt würden.

Armageddon - ein Tal in Nordisrael

Das Paradoxe an der Geschichte ist, daß die fundamentalistischen Christen alles für Israel tun, um zu ermöglichen, daß es dereinst (also in naher Zukunft) zerstört werden möge. "Endlich", ruft Clyde mit gefühlsschwangerer Stimme. "Endlich sehe ich den Ort der letzten großen Schlacht!" Clyde ist ein pensionierter Geschäftsmann aus Minneapolis/USA, der im Jahr 1983 an einer von Prediger Jerry Falwell organisierten Reise nach Israel teilnimmt. Dort trifft er Grace Halsell, eine renommierte US-Journalistin, Berichterstatterin des Korea- und des Vietnam-Krieges, mehrfache Buchautorin und in den Sechziger Jahren Redenschreiberin für Präsident Lyndon B. Johnson.

Clyde meint offensichtlich ‚Armageddon', wenn er von ‚der letzten großen Schlacht' spricht. Halsell fragt ihn, woher er denn wisse, daß Armageddon ausgerechnet hier, in Nordisrael stattfinden werde. "Nehmen Sie den Namen - Megiddo - und fügen Sie das hebräische Wort ‚har' hinzu, das ‚Berg' meint - dann erhalten sie einen Ausdruck, der ‚die Berge von Megiddo' bedeutet, oder eben ‚Har-Megiddo'. Dies läßt sich in den Namen ‚Armageddon' übersetzen."

Grace Halsell, die im Jahre 2000 verstarb, schildert die Begegnung in ihrem Buch ‚Forcing God's Hand', in dem sie dem verschwiegenen, gefährlichen Massenphänomen nachgeht, dem wir auch in diesem Artikel nachspüren.

Selbst in einer fundamentalistisch-christlichen Familie aufgewachsen, befaßte Halsell sich erst relativ spät im Leben mit den Hintergründen von Armageddon und seinen Auswirkungen auf die amerikanische und israelische Politik. Es brachte ihr keine Lorbeeren ein. War sie früher, als sie sich für andere Minderheiten - amerikanische Indianer, Schwarze, etc. - publizistisch eingesetzt hatte, ein willkommener Gast gerade auch bei liberal-jüdischen Ostküstenfamilien der Upper Class gewesen, änderte sich dies schlagartig, als sie über die Diskriminierung der Palästinenser zu schreiben begann. Sie erhielt keine Einladungen mehr ins Wochenendhaus von Iphigene Sulzberger, Tochter des New York Times-Gründers Aldolph S. Ochs. Sie verlor zahlreiche jüdische Freunde, die ihre Kritik am Staate Israel zum Anlaß nahmen, sie nicht mehr zu kennen. Und als sie ihre Erlebnisse in Palästina in einem Buch veröffentlichen wollte, wurde erst der verantwortliche Lektor bei der MacMillan Publishing Company (ein ehemaliger römisch-katholischer Priester) gefeuert, dann das Buch ohne ihr Wissen der israelischen Botschaft zum Korrekturlesen gegeben, die dann prompt erklärte, es dürfe nicht gedruckt werden, weil es anti-israelisch sei.

Als Grace Halsell sich nun neben Clyde auf dem angeblich künftigen Schlachtfeld von Armageddon umblickt, sieht sie nirgendwo einen Berg - höchstens eine leichte Anhöhe - und ein wirklich kleines Tal - so klein, schreibt sie, daß es wunderbar Platz fände in einer Farm in Nebraska und völlig untergehen würde im Land einer Farm in Texas. Clyde sieht das anders. "Oh, nein - es ist nicht zu klein! Man bringt hier eine ganze Anzahl Panzer rein!"

"Panzer und alle Armeen der Erde?" fragt Halsell nochmals nach. "Ganz genau. Bedenken Sie, daß hier die größte jemals gefochtene Schlacht stattfinden wird. Mehrere Millionen werden genau hier sterben." Clyde weiß auch, wer hier den Erstschlag führen wird: Jesus Christus. Mutig und unerschrocken wie ein Fünf-Sterne-General. Und er kennt die Waffe des Erlösers: Eine Art Neutronenbombe.

Die Bekehrung Bushs

"Wir mögen die Generation sein, die Armageddon sehen wird." Diesmal spricht nicht Clyde aus Minneapolis, sondern Ronald Reagan aus dem Weißen Haus im Jahr 1980 zu einem Evangelisten namens Jim Bakker. Ähnliche Gedanken heg(t)en auch die Präsidenten Jimmy Carter und George Bush senior. Die Politik seines Sohnes geht in eine Richtung, die sehr dafür spricht, daß auch er wähnt, der Präsident der ‚letzten Tage der Menschheit' zu sein.

eorg Leiendecker: Apokalypse

Die Apokalypse nach einem Gemälde von Hans Georg Leiendecker: Viele Glauben, daß danach eine neue Welt erschaffen wird.

Das Bizarre ist, daß die Anhänger der Armageddon-Theorie diese grauenvollste aller Schlachten, bei der das Blut bis zum Zaumzeug der Rosse stehen, und jede Stadt der Erde zerstört werden wird (so Prediger Hal Lindsey) nicht fürchten, sondern herbeisehnen. Denn sie alle werden errettet werden, da sie sich zu Jesus Christus bekannt haben. Ex-Colonel Oliver North, Hauptangeklagter im Iran-Contra-Skandal glaubt dies, Kenneth Starr, Sonderermittler im Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton glaubt dies ebenfalls, genauso wie der Gründer des Hustler Pornomagazins, Larry Flynt.

Bevor Armageddon einsetzt, der letzte, die Endzerstörung bringende Atomkrieg (so der Glauben der christlichen Fundamentalisten), wird der Herr auf der Wolke erscheinen und Oliver North, Kenneth Starr, Larry Flynt und siebzig Millionen ‚wiedergeborene Christen' in den Himmel hinaufheben, wo sie von einem Logenplatz aus zusehen können, wie Jesus allen Ungläubigen zeigt, daß er eben doch der Sohn Gottes und daher unbesiegbar ist. (Nein, dies ist keine Persiflage!).

Auch der gegenwärtige Präsident Bush hatte ein sogenanntes ‚Wiedergeburtserlebnis'. Nach der Geburt seiner Zwillingstöchter beschritt Bush endlich seinen "langen gewundenen Weg zur Reife", der mit der Drosselung seines extensiven Alkoholkonsums begann und regelmäßigem Jogging. Eines Tages fragte Billy Graham, berühmter amerikanischer Prediger und langjähriger Freund der Familie ihn, "hast du den Frieden und das Einverständnis mit Gott, das nur durch unseren Herrn Jesus Christus kommen kann?" Bush junior gestand, er sei in den Gottesdiensten "nicht immer mit dem Herzen dabei gewesen", und er habe ein nagendes Gefühl, irgend etwas in seinem Leben fehle. Bush gestand ihm auch, sich als Versager zu fühlen, und statt sich an Gott um Hilfe gewendet, sich mit Alkohol betäubt zu haben.

"In diesem Leben ohne Gott sein, heißt, furchtbar einsam sein", entgegnete Graham. Er beschwörte Bush, Gott in sein Leben zu lassen. Dazu müsse er aber diesen ‚letzten Dämon', den Alkohol aufgeben. Gott werde ihm dabei helfen.

Bush sagt, von da an habe er begonnen sich zu verändern. Kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag hatte er dann sein religiöses Schlüsselerlebnis. Bush war mit einigen Freunden im Broadmoor Hotel in Colorado Springs zusammengekommen, um eine Party für den 40. Geburtstag eines Freundes zu feiern. Mehrere Flaschen sechzig Dollar teuren Silver Oak Cabernets wurden geleert - nichts besonders Wüstes; aber am Tag darauf fühlte keiner der Anwesenden sich gut.

"Allein im Bad des Hotels, starrte (Bush) Junior in den Spiegel und sah einen Mann mit wirrem Haar, verkrustetem Erbrochenem am Kinn und blutunterlaufenen Augen, die sich mit Tränen füllten. Er fiel auf die Knie, brach in hemmungsloses Schluchzen aus und bat Gott, ihn zu retten, bevor er sich zu Tode trank.

In diesem Augenblick schwor er sich, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu sich zu nehmen. Daran hielt er sich, und er hat später das Gespräch mit Graham und den Morgen, an dem er zu trinken aufhörte, als ‚die wichtigsten Augenblicke' seines Lebens bezeichnet. ‚Christus hat mein Leben einschneidend verändert", erzählte Bush Jahre später einer Kirchengemeinde in Austin, Texas. "Ich glaube fest an die Kraft des fürsprechenden Gebets." So beschreibt es der verstorbene James H. Hatfield in seiner anfänglich unterdrückten Biographie Das Bush-Imperium.

Bush selbst räumte ein, daß sein fester methodistischer Glaube seine politische Philosophie stark geprägt habe. Freunde sagen, er lese die Bibel ein- bis zweimal im Jahr ganz durch. Er selbst bezeichnete sie denn auch schon mal als "recht gutes politisches Handbuch", und einer der Gründe für seine Kandidatur sei die biblische Unterweisung gewesen. "Er spürt, daß Gott zu ihm spricht", beteuerte Reverend Tony Evans, ein Geistlicher aus Dallas und Bushs Vertrauter.