Liebe muss keine Fremdsprache sein

Stellen Sie sich vor, Sie leben mit jemandem zusammen, dessen Sprache Sie weder sprechen noch verstehen. Es würde Sie nicht verwundern, wenn daraus Konflikte und Frust entstünden. Tatsächlich ist aber genau das in vielen Partnerschaften landauf, landab der Fall: Man ist taub für die Liebessprache des Gegenübers.

Wenn wir die Liebessprache unseres Partners sprechen, so steht einer Beziehung voller inniger Liebe nichts im Wege.

Sarah und Robert finden sich nach dreißig Ehejahren plötzlich auf der Couch des amerikanischen Paartherapeuten Gary Chapman wieder. Sarah sagt, sie sei seit mehreren Jahren in ihrer Ehe unglücklich, fühle sich nicht mehr geliebt von ihrem Mann – eigentlich würden sie nur noch nebeneinander her leben. Robert kann die Aussage seiner Frau nicht nachvollziehen und ist davon völlig überfordert; hat er doch immer alles in seiner Macht Stehende getan, Sarah seine Liebe zu zeigen: Da er oft früher von der Arbeit heimkommt als seine Frau, kocht er das Abendessen. Danach räumt er alles weg und macht den Abwasch. Am Donnerstag saugt er im ganzen Haus Staub und am Samstag mäht er den Rasen, putzt das Auto und hilft Sarah bei der Wäsche. Und das ist nur ein Auszug einer fast nicht enden wollenden Aufzählung. Nun ist man versucht zu denken, dass Robert ja eigentlich alle Klischees erfüllt, die einen Traummann ausmachen. Doch Sarah sieht das alles ganz anders. Trotz aller Unterstützung von Robert fühlt sie sich partout nicht geliebt. Denn immer, wenn sie Zeit mit Robert verbringen und mit ihm plaudern möchte, ist er am Aufräumen, Kochen, Staubsaugen oder im Garten beschäftigt.

Für Eheberater Chapman war schnell klar, was in dieser Beziehung schiefläuft: Das Paar spricht einfach nicht die gleiche Liebessprache. Es kommt übrigens in vielen Beziehungen vor, dass die Beteiligten sprachtechnisch (noch) nicht kompatibel sind – doch besteht kein Anlass zur Sorge, denn Fremdsprachen kann man ja bekanntlich lernen! Aber dazu später mehr.

Gestärkt aus der Krise

Lockdown, Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, häuslicher Unterricht – die hinter uns liegenden Monate haben die Leben vieler Familien und Paare auf den Kopf gestellt. Eingespielte Abläufe und bewährte Rollenverteilungen haben plötzlich keine Gültigkeit mehr. Dafür ist man nun viel häufiger mit seinem Partner zusammen, als das vorher der Fall war. Und plötzlich fallen einem Macken am Gegenüber auf, die vorher noch nie ein Thema waren. Manche Stimmen unken daher, dass sich die Corona-Situation auch in steigenden Trennungs- und Scheidungsraten bemerkbar machen werde. Dabei stützen sie sich bei ihren Prognosen vor allem auf China. Dort mussten einige Städte volle zwei Monate in den harten Lockdown. Kaum lockerten die Behörden die Beschränkungen, wurden die zuständigen Ämter von so vielen scheidungswilligen Paaren wie nie zuvor überrannt. In den ersten drei Monaten von 2020 ließen sich über eine Million chinesische Paare scheiden! Doch anders als bei uns, wo Paare vor ihrer Scheidung je nach Land zwischen sechs und 24 Monaten getrennt leben müssen, konnten die Chinesen ihre Scheidungspapiere bisher ohne Frist einreichen. Auf den eskalierten Streit am Morgen konnte am Nachmittag problemlos schon der Antrag auf Scheidung folgen. Aus diesem Grund trat nun auch per 1. Januar 2021 ein Gesetz in Kraft, das den trennungswilligen Ehepaaren Chinas eine 30-tätige Bedenkzeit vorschreibt. Und siehe da, die Scheidungsrate sank im ersten Quartal 2021 um 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wer solche Zahlen liest, vergisst gerne, dass es nicht die Corona-Regeln sind, die eine Trennung verursachen, sondern es sind die Menschen, die sich zu solch einem Schritt entscheiden. In jeder Partnerschaft, egal wie gut sie funktioniert, gibt es immer noch Luft nach oben, denn Beziehungen sind etwas Dynamisches. Jeden Tag können sie sich in die eine oder andere Richtung bewegen. Es liegt an jedem Einzelnen, den Kurs für die Beziehung zu bestimmen. Einschneidende Situationen wie die Corona-Krise zeigen nur auf, wo der Hund begraben liegt.

Sollte man sich doch an einem schwierigen Punkt in der Partnerschaft befinden, so ist selbst dann noch nicht aller Tage Abend. Der erste Schritt zur Heilung einer angeschlagenen Beziehung ist eine positive Grundhaltung, die sich in Glaubenssätzen wie „Wir gehen durch eine schwierige Zeit, aber wir schaffen das gemeinsam“ oder „Die aktuelle Situation können wir nutzen, um an unserer Beziehung zu arbeiten und sie zu pflegen“ äußert. Solche Gedankenmuster sind viel aufbauender als ihre destruktiven Pendants („Unsere Ehe wird niemals besser“, „Menschen ändern sich nicht“ oder „Das hat doch alles keinen Sinn mehr“).

Chapman rät in seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe – Für Zeiten der Krise“1 betroffenen Paaren zu einem verbalen Waffenstillstand. Im Streit gesprochene Worte können tiefe Wunden schlagen, die den vorhandenen Graben nur noch tiefer werden lassen. Statt unserem Ärger durch harsche Kritik Luft zu machen, sollten wir vielmehr einfühlsam kommunizieren. Ein rabiater Gefühlsausbruch über eine falsch eingeräumte Spülmaschine hat noch keine Ehe verbessert. Doch Worte wie „Liebling, ich schätze es sehr, dass du das dreckige Geschirr immer wegräumst. Machst du das gerne oder soll ich das übernehmen? Hilft es dir, wenn ich das erledige?“ haben einen heilsamen Effekt. Nun könnte man einwenden, dass doch niemand so spricht, wenn er verärgert ist. Tatsächlich wäre es naheliegend, den Partner in solch einer Situation verbal zu attackieren. Doch immer nur das Naheliegende zu tun hat noch keine Partnerschaft verbessert. Für eine intakte Beziehung ist es wichtig, die negativen Gefühle zu kontrollieren und sich nicht von ihnen leiten zu lassen. Denn diese beruhen oftmals auf einer verzerrten Wahrnehmung unsererseits. Der Partner oder die Partnerin hat nicht wirklich schlecht gehandelt. Er oder sie hat vielleicht einfach nicht getan, womit wir gerechnet haben. Oder sie hat es anders gemacht, als wir erwartet haben.

Quellenangaben

  • 1 erschienen im Francke Verlag; ISBN: 978-3963621833