O mordet nicht den heil'gen Schlaf!...

„Ein guter Tag fängt mit einer guten Nacht an“, stellte einst Gerhard Uhlenbrock fest. Der deutsche Immunbiologe wusste wohl, dass schlechter oder zu wenig Schlaf unserer Gesundheit arg zusetzt. Bereits hat ein Drittel der Menschheit verlernt, richtig zu schlafen. Mit unseren elektronischen Gadgets, modernen Leuchtmitteln und indem wir den Sternenhimmel vernebeln, rauben wir uns selbst den Schlaf.

Das Leben ist viel zu kurz, um zu schlafen. Jedoch ist der Schlaf mitunter viel zu kurz, um zu leben.

Raymund Krauleidis

Hat Donald Trump eine seltene Genmutation? Nein, die Frage bezieht sich nicht auf seine Frisur. Ähnlich wie Napoleon oder Churchill kommt anscheinend auch Trump mit knapp vier Stunden Schlaf pro Nacht aus. Somit wäre er einer der wenigen Menschen – schätzungsweise eine von zehntausend Personen –, die aufgrund einer Mutation des Gens DEC2 nach nur vier bis sechs Stunden Nachtruhe komplett erholt und voll leistungsfähig sind. Bei „Normalschläfern“ wechseln sich vier- bis fünf Mal pro Nacht im Abstand von zirka neunzig Minuten sogenannt „schnelle“ mit „langsamen“ Schlafphasen ab. Beim schnellen Schlaf träumen wir, die Augen bewegen sich (weshalb diese Phase auch REM-Phase, rapid-eye-movement- Phase genannt wird), unser Gehirn zeigt schnelle Beta-Wellen, die der Gehirnaktivität im Wachzustand gleichen. Der langsame Schlaf ist durch Delta-Wellen, langsame Gehirnströme, gekennzeichnet; dies ist der Tiefschlaf, der besonders erholsam und gesund ist.

Hypnos ist der griechische Gott des Schlafes, sein Sohn Morpheus der Gott der Träume.

Hypnos ist der griechische Gott des Schlafes, sein Sohn Morpheus der Gott der Träume.

Echte Kurzschläfer fallen sehr schnell in den Tiefschlaf und verbleiben auch die meiste Zeit dort, ohne lange in die seichteren REM-Phasen aufzutauchen. Sie schlafen somit schlicht effizienter als andere Menschen. Nun rühmt sich heutzutage gerne manch ein Manager, dass er trotz geringer Schlafdauer Top-Leistungen erbringe. Mag sein, dass auch er über die schlafoptimierende Genmutation verfügt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass er entweder unter irgendeiner Form von Schlafstörung leidet, die ihn nicht so lange wie nötig schlafen lässt – damit befände sich besagter Manager in guter Gesellschaft, leiden doch zwischen 30 und 45 Prozent der Weltbevölkerung an gestörtem Schlaf. Oder er hat sich selber davon überzeugt, dass er mit wenig Schlaf auskommt. Seinen Körper vermag er jedoch nicht zu täuschen.

Die Sonne stellt die innere Uhr

Wer nicht Trump, Churchill oder Napoleon heißt, benötigt nämlich zwischen sieben und neun Stunden Schlaf pro Nacht. Diese Zahl hat sich in unzähligen Studien immer wieder bestätigt und entspricht offensichtlich unserem biologischen Programm. Schulkinder sollten übrigens zwischen zehn und dreizehn Stunden schlafen, Teenager acht bis zehn Stunden. Selbst Senioren brauchen noch sieben bis acht Stunden Schlaf.

Unser Körper ist angewiesen auf den regelmäßigen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, Aktivität und Passivität, Wachen und Schlafen. Der Taktgeber ist die Sonne. Ihr Verlauf am Himmel steuert unseren zirkadianen Rhythmus, auch innere Uhr genannt. Die Synchronisation dieser Uhr erfolgt in erster Linie über die Retina unserer Augen. Photorezeptoren auf der Netzhaut teilen dem Gehirn mit, ob momentan die vertikale oder die horizontale Körperposition gefordert ist. Die Schaltstelle in unserem Hirn sitzt im Hypothalamus und nennt sich Nucleus suprachiasmaticus. Diese „Meister- Uhr“ steuert unsere zirkadiane Uhr und weitere Körperfunktionen wie Körpertemperatur, Hormonsekretion, Herzfrequenz, Urin- produktion oder Blutdruck.

Der Schlaf ist für unsere Gesundheit ebenso bedeutend wie gesunde Ernährung, sauberes Wasser, saubere Luft und ausreichend Bewegung. Er ist keineswegs ein lästiger Zeiträuber, den es zugunsten „wichtigerer“ Tätigkeiten einzuschränken gilt. Das liegt zum einen daran, dass sich unsere feineren Körper des Nachts in höhere Sphären begeben, um sich dort weiterzuentwickeln; wir laden also während des Schlafs unsere spirituellen Batterien wieder auf.1 Zum andern nutzt unser Körper, während die Seele Ausgang hat, diese goldene Gelegenheit zum gründlichen Hausputz. Wird er dabei stets gestört oder erhält gar nicht erst die Möglichkeit, hat das weitreichende Folgen.

Die Kläranlage im Gehirn

Zum Beispiel werden wir dick. Denn bei Schlafmangel reduziert der Körper die Produktion von Leptin, demjenigen Hormon, das dem Gehirn mitteilt, dass man satt ist. Gleichzeitig steigt die Menge des hungerauslösenden Hormons Ghrelin. Der ebenfalls beeinträchtigte Blutzucker-Metabolismus führt zu einem erhöhten Risiko für Diabetes. Zu wenig Schlaf hat auf unseren Organismus den gleichen Effekt wie Stress und geht einher mit einer erhöhten Anzahl weißer Blutkörperchen – normalerweise ein Zeichen von Krankheit. Tatsächlich hat man herausgefunden, dass jemand, der regelmäßig weniger als sechs Stunden pro Nacht schläft, sich viermal wahrscheinlicher eine Erkältung einfängt. Als Stressantwort nehmen auch die Corticosteron-Werte im Körper zu, was wiederum die Herzfrequenz und den Blutdruck ansteigen lässt. Unsere innere Uhr ist so sensibel, dass schon allein die Umstellung der Uhren auf Sommerzeit zur Folge hat, dass am Montag darauf deutlich mehr Menschen an Herzinfarkt sterben und Verkehrs- sowie Arbeitsunfälle viel häufiger passieren!

Letzteres mag damit zusammenhängen, dass ein Organ besonders empfindlich auf Schlafentzug reagiert, nämlich unser Gehirn. Wie bereits erwähnt, nutzt der Körper die Nachtruhe, um aufzuräumen. Einen Großteil der Abfallentsorgung übernimmt das Lymphsystem. Dessen Reinigungsprozesse betreffen jedoch nicht das Gehirn, da dieses ein durch die Blut-Hirn-Schranke abgeschlossenes System ist. Doch auch im Gehirn entstehen Abfallprodukte, die abtransportiert werden müssen, beispielsweise Eiweißschlacken, die mit der Entstehung von Alzheimer in Zusammenhang stehen.2 Aber wie funktioniert das? Im Jahr 2012 haben Forscher entdeckt, dass das Gehirn über ein eigenes „Abwassersystem“ verfügt, um giftige Stoffe auszuscheiden. In Anlehnung an das lymphatische System wird das gehirneigene Röhrennetz als glymphatisches System bezeichnet, wobei das „G“ für die Gliazellen steht, diejenigen Hirnzellen, die die hirneigene „Kanalisation“ managen. Das glymphatische System ist hydraulisch organisiert, indem Rückenmarkflüssigkeit durch das Gehirngewebe gepumpt wird, wodurch Abfallprodukte aus dem Gehirn in den Kreislauf gespült werden. So erreichen sie schließlich die Leber, wo sie verarbeitet werden. Dieses ausgeklügelte System arbeitet vor allem, währendem wir ruhen: Während wir in Morpheus' Armen liegen, ist das glymphatische System zehn Mal so aktiv, als wenn wir wach sind. Wir müssen also schlafen, damit das Gehirn entgiften kann.

Aber nicht nur das. Schlaf ist auch essenziell für die Neurogenese, das heißt für die Neubildung von Gehirnzellen. Bei Schlafmangel wird die Neurogenese gebremst und es sterben sogar Neuronen. Bei Versuchen mit Mäusen, die am Schlafen gehindert wurden, starben bis zu 25 Prozent der Gehirnzellen, die an der Steuerung der Orientierung und der Aufmerksamkeit beteiligt sind – und zwar unwiederbringlich. Die Leistung unseres Gehirns wird durch zu wenig Schlaf massiv beeinträchtigt, wobei insbesondere das Gedächtnis, die Problemlösungs- sowie unsere Leistungsfähigkeit bei einfachen physischen oder mentalen Aufgaben betroffen sind. Chronischer Schlafmangel vergrößert das Demenzrisiko massiv, weil der Hippocampus, ein von Alzheimer besonders stark betroffenes Hirnareal, nur während des Schlafs die Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis verschieben kann. Er dient als eine Art Zwischenspeicher. Kann er nicht mehr optimal arbeiten, verlieren wir unsere Erinnerung.3

Wer seit 24 Stunden wach ist, ist in seiner Leistung ähnlich eingeschränkt wie jemand mit einem Promille Alkohol im Blut. Gerade im Krankenhaus, wo das Personal oft übermüdet ist, hat das schwere Folgen. Bei Ärzten, die unter Schlafentzug leiden, steigt das Risiko, eine Fehldiagnose zu stellen, um 454 Prozent. Zahlen aus den USA sprechen von über hunderttausend Todesfällen pro Jahr, die auf das Konto solcher medizinischen Fehler gehen. Auch das Risiko von Verkehrsunfällen steigt, wenn Menschen zu wenig schlafen. So ist in Deutschland jeder vierte Unfalltod auf der Autobahn auf müdigkeitsbedingten Sekundenschlaf zurückzuführen.