Robotik: Frankensteins schöne neue Welt

Eine Revolution ist im Gange, die das Leben der Menschen so nachhaltig verändern könnte wie noch keine Revolution je zuvor. Genannt wird sie die vierte industrielle Revolution, gemeint ist damit das Zeitalter der Robotik und der künstlichen Intelligenz. Doch es wird alles andere als jene goldene Ära sein, die uns versprochen wird.

Wer in Sasebo, im Südwesten Japans, im Henn-Na Hotel eincheckt, hat keinen Grund, sich über die langen Fingernägel und spitzen Zähne des Empfangspersonals zu wundern, immerhin sind diese bei Dinosauriern gang und gäbe. Dinosaurier an der Hotel-Rezeption? Nun, wem das Lächeln der beiden Velociraptoren am Empfang des ersten Roboterhotels der Welt doch ein wenig zu zahnig ist, kann sich für das Check-In-Prozedere auch bei der adrett gekleideten Roboterdame am mittleren Schalter anstellen. Weitere Roboter – allerdings weder in menschlicher noch in urzeitlicher Gestalt – nehmen das Gepäck in Empfang, geleiten Gast und Koffer auf das Zimmer (dessen Türe sich dank Gesichtserkennungssoftware wie durch Zauberhand öffnet), wo der Reisende von Churi-chan begrüßt wird, einem pink-grünen Mini-Roboter, der auch das Licht steuert, über das Wetter informiert und am Morgen den Aufweck-Dienst übernimmt.

Was Wissenschaftler und milliardenschwere Konzerne hinter verschlossenen Türen entwickeln, soll den modernen Menschen ersetzen.

Was Wissenschaftler und milliardenschwere Konzerne hinter verschlossenen Türen entwickeln, soll den modernen Menschen ersetzen.

Auch Relay, der Serviceroboter im Residence Inn in Los Angeles, stört sich nicht daran, wenn Sie ihm morgens um halb zwei Uhr in Unterhosen die Tür öffnen, um die bestellte Zahnpastatube und ein Mineralwasser entgegenzunehmen. Und die sportliche Gita schafft locker 35 Stundenkilometer, kein Wunder, denn ihr Hersteller ist der italienische Fahrzeugkonzern Piaggio. Gita führt Ihren Hund spazieren oder geht selbstständig für Sie einkaufen; Bordsteinkanten und Gegenverkehr stellen für sie kein Hindernis dar.

Andere Roboter fischen unseren Müll aus dem Ozean, unterstützen Chirurgen bei schwierigen Operationen, putzen und kochen für uns, pflegen alte und kranke Menschen. Intelligente Maschinen sind allgegenwärtig: Sie leiten uns durch den Verkehr (Navigationssystem, Parkleitsysteme), sie übernehmen den Kundendienst („bei Fragen zu Ihrer Rechnung drücken Sie bitte die Taste 3“), sie händigen uns Bargeld aus – oder eben auch nicht (Geldautomat), sie buchen unsere Ferien und steuern die Heizung. Und die Maschinen werden immer intelligenter. Waren sie früher vor allem Zudiener und machten Computer nur, wofür sie programmiert wurden, sind wir heute viel weiter. Künstliche Intelligenz (KI) bedeutet, dass Maschinen lernfähig sind und selbstständig Entscheidungen treffen können. Computer können dazulernen, ohne ausdrücklich dafür programmiert zu werden (maschinelles Lernen), oder sie trainieren ihrerseits wieder andere Computer, und dank Deep Learning lernen Maschinen, menschliche Fähigkeiten nachzuahmen, indem mit künstlichen neuronalen Netzen das menschliche Gehirn simuliert wird. Anstatt den Maschinen genau zu sagen, was sie tun sollen, zeigt man ihnen Beispiele, anhand derer sie lernen. Aufgrund ihrer Verknüpfungsleistungen, Speicherkapazität, Genauigkeit und Schnelligkeit sind Computer den Menschen mittlerweile in vielen Bereichen überlegen. Als Meilenstein gilt ein Ereignis im März 2016. Damals trat der Supercomputer AlphaGo im hochkomplizierten, rund 3'000 Jahre alten Brettspiel Go gegen den damaligen menschlichen Großmeister des Spiels an – und gewann klar. Das ist insofern eine Sensation, als das Spiel nicht nur Logik und Taktik erfordert (wie beispielsweise das Schachspiel, dort war der Computer dem Menschen bereits 1997 überlegen), sondern vor allem auch Intuition. AlphaGo hatte sich, nachdem er (respektive sie, dieser Computer gilt als weiblich) mit den Grundregeln des Spiels programmiert worden war, in wenigen Wochen selbst so stark weiterentwickelt, dass er das Spiel gewinnen konnte. Und natürlich wird der Computer mit jedem Spiel besser, da er sich jeden Spielzug merken kann, eine Fähigkeit, die dem menschlichen Spieler verwehrt bleibt.

Die Einsatzmöglichkeiten für Computer und intelligente Maschinen kennen keine Grenzen. Ob nun Drohnen im Weinberg Pestizide versprühen oder die Post austragen (beides Projekte, die etwa in der Schweiz zur Zeit geprüft werden), ob vernetzte Straßenlaternen nebst dem, dass sie für ‘smarte’ Beleuchtung sorgen, auch noch Daten über Vogelgezwitscher (für eine genauere Wettervorhersage), Geruchs- oder Rauchentwicklung (Chemieunfall? Feuer?) oder Informationen über vorbeigehende Passanten (der Herzschrittmacher meldet Probleme, der Arzt wird sofort verständigt) sammeln, ob Roboter Sportler trainieren und irgendwann eine Robotermannschaft im Fußball gegen eine menschliche Mannschaft antritt – je mehr Sensoren, Kameras und Mikrofone, je mehr gesammelte Daten, desto besser lernen die Computer, desto schneller und intelligenter werden sie, desto mehr Einsatzgebiete tun sich auf. An der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wird an der Schwarmintelligenz für Roboter gearbeitet. Ganze Roboterschwärme sollen ohne jede menschliche Steuerung oder Anleitung nur durch den Austausch von Informationen eine Art ‘kollektive Weisheit’ entwickeln. Wie Vögel oder Fische im Schwarm sollen sie autonom handeln, sich blitzschnell den jeweiligen Umständen anpassen und eigenständig Entscheidungen treffen. Solche Roboterschwärme möchte man dann beispielsweise bei Naturkatastrophen oder Flugzeugabstürzen einsetzen. Das tönt zum größten Teil alles ganz prima. Warum menschliches Leben gefährden, wenn man Maschinen hat, die diese Aufgabe erfüllen können? Warum sich mit eintönigen, gefährlichen oder anstrengenden Arbeiten abmühen, wenn dafür intelligente maschinelle Diener zur Verfügung stehen? „Das Leben wird billiger, einfacher und gerechter, wir sparen Ressourcen und schonen die Umwelt“, jubeln die Technikenthusiasten. „Habt ihr euch auch Gedanken gemacht über die Konsequenzen und Risiken?“, fragen die Skeptiker zurück.

Rechte für Roboter?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Kehrseite der Medaille bei hochgelobten fortschrittlichen Entwicklungen und Ideen oftmals geprägt ist von Krankheit, Tod und sozialer Ungerechtigkeit. Versprach man sich von der Kernkraft zu Beginn noch Wohlstand und ein leichteres Leben, zeigte sich mit der Atombombe und den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima die hässliche Fratze der Atomenergie. Hielt man Pestizide und Gentechnik für die Lösung gegen den Hunger der Welt, weiß man mittlerweile, dass sie die Armen noch ärmer werden lassen und zu Krankheit und Umweltschäden führen. Galt wirtschaftliches Wachstum als durchwegs positiv und das BIP als Maßstab aller guten Dinge, gibt es doch zu denken, dass auch Bomben und Gewehre das Bruttoinlandprodukt wachsen lassen und somit etwas Gutes sein sollen. Auch moderne ökonomische Konzepte wie beispielsweise AirBnB und Uber, deren Grundgedanke es war, Dienstleistungen zu demokratisieren und zu verbilligen, stellten sich schon bald als problematisch heraus. Durch Uber verlieren rund um die Welt die Taxichauffeure ihre Arbeit (und die wenigsten haben einen Abschluss in der Tasche, der es ihnen erlauben würde, einfach so schnell mal auf eine andere Arbeit umzusatteln); AirBnB wiederum treibt in den als Reisezielen begehrten Metropolen die Mietpreise in astronomische Höhen, da sich für die meisten Wohnungsbesitzer Kurzzeitvermietungen an zahlungswillige Urlauber finanziell besser auszahlen, als die Wohnung auf Dauer an Einheimische zu vergeben. Tatsächlich verstärken die meisten ans Internet gekoppelten Geschäftsideen die negativen sozialen Auswirkungen der Gesellschaft.

Mit der Robotik und künstlichen Intelligenz spitzen sich diese Entwicklungen noch zu. Zum einen passieren die Dinge unheimlich schnell. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar war (noch vor zwei Jahren glaubte keiner, dass ein Computer beim Go-Spiel gewinnen könnte), ist heute schon Wirklichkeit. Diesem Tempo sind vor allem Politik und Justiz überhaupt nicht gewachsen. Die Technologie, mit der Leben gerettet werden kann und mit der sich Krieg führen und töten lässt, ist ein und dieselbe. Schon heute setzen Generäle im Krieg lieber Drohnen als Soldaten ein. Während der Angreifer sich relativ emotionslos an Joystick und Bildschirm betätigt, ist das Sterben auf Seiten der Getroffenen so schrecklich und blutig wie eh und je. Und was, wenn ein Kampfroboter außer Kontrolle gerät, sei es durch eine Fehlfunktion oder aber, weil er gehackt wurde? Was, wenn Roboter Kriegsverbrechen begehen? Waffenexperten, Juristen oder auch Organisationen wie Human Rights Watch halten dies nicht nur für plausibel, sondern rechnen damit, dass dies in Zukunft vermehrt geschehen wird. Wer wird bestraft? Der Entwickler? Der Programmierer? Der Truppenbefehlshaber? Doch ist einer von ihnen schuldig, wenn sich Roboter, wie geplant, autonom verhalten und ohne ausdrücklichen menschlichen Befehl oder eine entsprechende Programmierung agieren? Niemand kann einem Roboter eine Absicht unterstellen, Roboter haben kein Gewissen, Roboter hinterfragen ihr Tun nicht. Und da Roboter keine natürlichen Personen sind, können sie auch nicht juristisch belangt werden.