Im großen Gefüge des Lebens zählt jedes einzelne Element. Und winzigste Veränderungen können immense Auswirkungen haben. Zeit also, uns nicht länger bedeutungslos und klein zu fühlen!
Papst Gregor IX. mochte keine Katzen. Vielleicht war es aus diesem Grund, vielleicht aber auch aus Überzeugung, dass er im Jahr 1233 in seiner Bulle1 „Vox in Rama“ erklärte, Katzen, insbesondere schwarze Katzen, seien Diener des Teufels und müssten daher vernichtet werden. Sein Dekret hatte zur Folge, dass in Europa unzählige Katzen getötet wurden. Doch der Beschluss des Papstes hatte einen unbeabsichtigten und tragischen Zusatzeffekt. Katzen waren zu jener Zeit nämlich unverzichtbar, um Mäuse und Ratten in Schach zu halten. Durch die massenhafte Dezimierung der Jäger auf Samtpfoten explodierte die Rattenpopulation. Die Forschung geht heute davon aus, dass diese Ereignisse der Verbreitung der Pest Vorschub leisteten. Dem „Schwarzen Tod“ fielen in Europa rund fünfzig Millionen Menschen zum Opfer. Ein Welleneffekt, weil ein mächtiger Mann Katzen nicht leiden konnte? Sehen wir uns ein weiteres Beispiel an.
1928 machte der britische Arzt und Wissenschaftler Alexander Fleming ein paar Tage Urlaub. Als er am 3. September in sein Labor zurückkehrte, stellte er fest, dass sich in einigen nicht gereinigten Petrischalen mit Bakterienkulturen ein Schimmelpilz gebildet hatte. Anstatt die „Schlamperei“ zu beseitigen und die Schale vom Pilz zu reinigen, entschloss sich Fleming, die Sache etwas näher zu untersuchen. Er erkennt, dass der Schimmelpilz für viele Bakterienstämme tödlich wirkt. Weil es ein Pilz aus der Gattung der Pinselschimmel, auf Lateinisch: Penicillium, ist, nennt Fleming seine Entdeckung Penicillin. Dass er das wohl bekannteste Antibiotikum der Welt gefunden hat, ahnt Fleming noch nicht, und es dauert noch ein paar Jahrzehnte, bis Penicillin erfolgreich als Medikament bei bakteriellen Infektionen eingesetzt wird. Fleming betonte übrigens zeitlebens, dass er seine „Entdeckung“ einem glücklichen Zufall verdankte. Als Entdecker oder gar Erfinder wollte er sich nicht feiern lassen, und so sagte er mit typisch britischem Humor, als man ihm 1945 den Nobelpreis verlieh, man habe ihn „bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben. Erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor undenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht.“
In beiden Beispielen haben wir nun also jeweils einen Mann, der eine Entscheidung trifft. In beiden Fällen hat diese eine Entscheidung eines einzelnen Menschen weitreichende Folgen für Millionen von Menschen – einmal verheerende, einmal segensreiche. Es sind Paradebeispiele für das, was man den „Schmetterlingseffekt“ nennt. Und die Geschichte dazu beginnt 1961 mit einem amerikanischen Meteorologen, der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitet und dessen Computer an einem Wintertag ein wenig langsam ist. Edward Lorenz füttert dem Großrechner einen Datenhappen, der eine bessere Wettervorhersage ermöglichen soll. Damals ist die Wissenschaftsgemeinde überzeugt, dass alle künftigen Entwicklungen – nicht nur beim Wetter – vorhersagbar sind, wenn die Anfangsbedingungen bekannt sind und genügend Rechenkapazität zur Verfügung steht. Weil die Computer damals noch ziemlich lange für eine Berechnung brauchen, rundet Lorenz die Zahl 0,506127 auf 0,506, eine winzige Abweichung. Doch der Rechner spuckt ein gänzlich anderes Resultat aus als beim ersten Durchlauf mit der ungerundeten Zahl. Lorenz glaubt zunächst an einen Computerfehler. Als er aber auch nach mehreren Versuchen immer dasselbe Resultat erhält, ist er sich sicher, einer Gesetzmäßigkeit auf die Spur gekommen zu sein. Lorenz präsentiert 1963 seine Hypothese der New York Academy of Science: Bewegt ein Schmetterling in Brasilien seine Flügel und setzt damit Luftmoleküle in Bewegung, die wiederum andere Luftmoleküle anstoßen, welche noch weitere Luftmoleküle in Schwingung versetzen, kann dies dazu führen, dass in Texas ein Orkan losbricht.
Natürlich ist es nicht der Schmetterling, der direkt den Orkan auslöst. Diese Beschreibung ist eine Metapher dafür, dass ein winziges Ereignis eine Kaskade weiterer Ereignisse auslösen und letztlich ein kolossales, oft unvorhersehbares Ereignis nach sich ziehen kann. Und wie Lorenz herausfand, kann das Endergebnis schon durch kleinste Veränderungen der Anfangsbedingungen komplett anders ausfallen. Der Schmetterling als Beispiel soll Lorenz in den Sinn gekommen sein, als er eine Computergrafik sah, die seine Berechnungen dreidimensional darstellte. Diese zeigte eine chaotische Bewegung auf einer Schleifenlinie im dreidimensionalen Raum, die sich niemals trifft und aussieht wie die zwei Flügel eines Schmetterlings.
Die Reaktion der Wissenschaftsgemeinde war so, wie sie es oft ist bei ungewöhnlichen neuen Erkenntnissen. Lorenz wurde zunächst ignoriert, dann lächerlich gemacht, doch schließlich wurde der sogenannte Schmetterlingseffekt nicht nur bestätigt, sondern zu einem naturwissenschaftlichen Gesetz mit der wenig einprägsamen Bezeichnung „Das Gesetz der empfindlichen Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen“2 erklärt. Das naturwissenschaftliche Weltbild von einem exakt vorhersagbaren, wie ein mechanisches Uhrwerk funktionierenden Universum wurde durch die Entdeckung des Schmetterlingseffekts gründlich durchgerüttelt, war nun doch klar geworden, dass es unmöglich war, zukünftige Ereignisse präzise vorherzusagen. Edward Lorenz, dessen Name oft in einem Atemzug mit Max Planck und Albert Einstein genannt wird, wurde durch seine Entdeckung zu einem der Wegbereiter der Chaostheorie, die übrigens keine Theorie über das Chaos ist, sondern sich vielmehr für Strukturen und Ordnung interessiert.
Abgesehen von seiner (natur-)wissenschaftlichen Tragweite und der Tatsache, dass wir nun wissen, dass wir uns den Gang zur Wahrsagerin sparen können, lehrt uns das Phänomen des Schmetterlingseffekts vor allem, dass jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Gefühl von jedem Einzelnen zählt. Papst Gregor IX. hätte seine Abneigung Katzen gegenüber nicht zum Gesetz erheben müssen und Alexander Fleming hätte den Schimmelpilz schlicht als lästige Verunreinigung beseitigen können. Doch sie haben sich anders entschieden.
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