Die Wahrheit ist ein zweischneidig’ Schwert!

Das Schwert der Wahrheit hat immer zwei Seiten, und beide schneiden genau gleich scharf. Und wenn wir es wagten, uns einmal auf den Standpunkt des anderen zu stellen, könnten wir entdecken, daß auch er – aus seiner Sicht – recht hat.

Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken. Vorausgesetzt, sie denken wie wir.

Mark Twain

Gantenbein glaubte, jeden Augenblick seine Geduld zu verlieren. Mit allem konnte er umgehen, aber nicht damit: Dummheit, die sich hinter dem Harnisch von Rechthaberei verschanzte. Seit einer geraumen Viertelstunde versuchte er Bohrer klarzumachen, daß sein rechtes Auge östlich von seiner Nase saß. Nein, versteifte sich der andere mit Vehemenz, nein, und zeigte mit seinem Stock just auf jenes Auge, das westlich seiner Nase in die Welt blickte. Es war zum aus der Haut fahren, wo er doch so sicher wie die Sonne aufging wuß­te, daß er im Recht war. "Welches ist meine rechte Hand?" fragte Bohrer nun mit schlecht verhohlener Schläue im Gesicht, streckte seine Rechte in Gantenbeins Visage und landete – auf dessen linkem Auge. "Siehst Du!", triumphierte er. "Hier ist rechts. Also habe doch ich Recht."

Glücklicherweise kam jetzt Schievelbruch vorbei. Er kratzte sich kurz am Hinterkopf, als er merkte, daß keiner der beiden Streithähne bereit war, einzusehen, wer allein hier recht haben konnte. Kurzerhand packte er Bohrer bei den Schultern und stellte ihn hinter Gantenbein. "So, jetzt greif' mal nach vorn, Bohrer, und berühre das rechte Auge von Gantenbein." –

"Endlich hat er es begriffen, daß ich Recht hatte!" triumphierte Gantenbein, als Bohrers Hand sich auf sein Auge östlich der Nase vortastete.

"Du irrst dich, Gantenbein", sagte Schievelbruch milde. "Du irrst. Nicht du hattest recht, sondern ihr beide wart im Recht. Die Wahrheit hat stets zwei Seiten. Oft kommt es lediglich auf den Standpunkt an, was uns als wahr und was als unwahr erscheint."

Schwert der Wahrheit

Das Schwert der Wahrheit - das Second Division Memorial in Washington D.C.

Diese Geschichte ist insofern unwahr, als sie frei erfunden ist. Sie ist insofern wahr, als ihre Kernaussage wahr ist: Das Schwert der Wahrheit hat immer zwei Seiten, und beide schneiden genau gleich scharf. Und wenn wir es wagten, uns einmal auf den Standpunkt des anderen zu stellen, könnten wir entdecken, daß auch er – aus seiner Sicht – recht hat.

Wie wir wissen, sagen Kinder und Narren die Wahrheit. Hören wir also, was der Narr in Shake­speare's ‚King Lear' zur Wahrheit bemerkt: "Wahrheit ist ein Hund, der ins Loch muß und hinausgeschickt wird, während Madame Schoßhündin am Feuer stehen und stinken darf."

Merke: Die Wahrheit ist selten bequem, dafür stinkt sie nicht. Ob die heutigen Rekordumsätze an Parfums in irgend einem Zusammenhang dazu stehen?

Die Wahrheit erscheint heute als eine höchst schillernde Dame. Jeder behauptet, sie zu kennen, jeder will intim mit ihr sein. Fast alle wissen, daß dem nicht so ist. "Karadzic ist ein Lügner, aber er lügt nicht, wie alle Politiker es tun, sondern wie ein schwerkranker Schizophrener." Urteilt der amerikanische Balkanexperte David Rieff (Stern 24/95). Wahr ist, daß die Menschen heute davon ausgehen, belogen zu werden. Tatsächlich haben all jene Bereiche, deren Geschäft die Lüge ist, Hochkonjunktur: Die Werbung zum Beispiel. Die Medien. Am besten verkaufen sich Boulevardblätter, die die Wahrheit soweit dehnen, bis sie bricht. Alle Filme und TV-Sendungen, in denen menschliche Schlechtigkeit dominieren. Die Lüge schleicht sich schon auf unsere Teller, auf die Felder und in die Waschmaschinen. Sämtliche genmanipulierten Produkte stellen eine menschlich erschaffene Lüge dar. Denn die Wahrheit ist identisch mit dem kosmischen Gesetz. Dieses ist identisch mit dem genetischen Code. Und jede Veränderung an letzterem ist eine Schöpfungslüge. Lügen haben kurze Beine. Daher ist genetisch manipulierter Same kaum lebensfähig. Atomspaltung ist eine Kern-Lüge.

Was aber ist die Wahrheit? Die Wahrheit über jeden Menschen, jedes Tier, jede Pflanze und jeden Teil der Schöpfung im ganzen Universum ist nur gut. Sonst wäre Gott eine Lüge. Wenn es Gott aber gibt, dann muß er eins sein mit der Wahrheit. Und Gott hat nur Gutes geschaffen. Das andere hat der Mensch hinzugefügt, unter mißverstandener Ausübung seines ‚freien Willens'. Wenn die Lüge der Schatten ist, dann ist die Wahrheit das Licht, das heute stärker denn je auf die Erde strahlt – physisch und geistig, und das die Ratten aus ihren Löcher treibt. Oder, wie es die Schweden sagen: Es kommt alles an den Tag, was unterm Schnee verborgen lag. Deftiger beschreibt man denselben Effekt in Angola: Auch ein Furz, den du unter Wasser losläßt, kommt an die Oberfläche.

Doch was unten ein stinkendes Rülpsen der Därme war, verursacht ein hübsches Blubbern an der Oberfläche.

Etwas mag uns in dieser Hoch-Zeit der Lüge trösten: Die Samen der Wahrheit, oder des Guten keimen oft im Dunkeln. Der Schatten gebiert das Licht, und wenn wir die Zustände beweinen, sollten wir nicht vergessen, immer den Samen des Guten, der in ihnen steckt, zu beachten.

Wahrheitsliebe zeigt sich darin, daß man überall das Gute zu finden und zu schätzen weiß.

Goethe

Zum Beispiel die Bedrängnis der Bauern. Sie ist die Not, die erfinderisch macht. Wenn dir das Wasser bis zum Halse steht, mußt du schwimmen lernen. Manch ein Bauer flüchtet sich jetzt in eine biologische Landwirtschaft, weil nur diese ihm noch Preise zum Überleben garantiert. Was, wenn er mit Giftwirtschaft wunderbar verdienen könnte? Und sein doppelter Lohn ist dann, daß er entdeckt, wieviel Freude das Bauernhandwerk machen kann, wenn es in Einklang mit der Erde steht. Natürlich trifft dieser Mechanismus nicht nur auf die Bauern zu.

Denken wir an den Tourismus. Ja, die vielen Flugzeuge verschmutzen die Luft. Ja, die vielen Touristen können die Bewohner eines Landes aus dem Zustand der Unschuld vertreiben. Ja, die Flugzeugladungen voller Menschen provozieren Betonkästen an schönen, einsamen Buchten. Doch wenn du bei jemandem Ferien gemacht hast, sein Speis und Trank und sein Lächeln genossen, kannst du nicht mehr auf ihn schießen. Wenn du die Hochland-Indio von Zentralamerika kennengelernt hast, ist es dir ein Bedürfnis, einen gerechten Kaffeepreis zu bezahlen. Wenn du in Afrika wunderschöne Wochen verbracht hast, kann für dich der Schwarze nicht mehr das Feindbild sein.
Wenn du viele Länder bereist hast, schätzt du die Vielfältigkeit der Menschen und hast doch erfahren, daß wir alle Brüder sind.

Denken wir ans Fernsehen. Ja, es verstrahlt die gute Stube. Ja, es vervielfacht die Schwingung von Angst und Gewalt auf dem Planeten millionenfach. Ja, es hält uns davon ab, ein erbauliches Buch zu lesen, oder mit den Kindern ‚Mensch ärgere dich nicht' zu spielen. Ja, es macht Götzen zu falschen Göttern. Doch es bewirkt, daß die Menschen einander und den Planeten kennenlernen – selbst wenn es über unangenehme Bilder in der Tagesschau geschieht. Es stärkt das ‚Wir'-Gefühl und die weltweite Solidarität unter den Menschen. Es ist ein machtvolles, ungeheuer weit verbreitetes Gefäß, und es könnte jederzeit zum Guten umgepolt werden – mit weltweiten Auswirkungen. Wenn wir, die Konsumenten dies wollen. Auch hier: Die unerhörte Seichtigkeit des US-TV-Programms gibt neuen, tiefgründigen Sendern Aufwind, wie dem Dokumentarfilmkanal des Hollywood-Schauspielers Robert Redford. Füttere die Menschen lange genug mit seichter Popmusik, und sie sehnen sich nach Klassik – und schon entstehen erste private Klassiksender.

Was lehrt uns dies: Die Wahrheit befindet sich in der Mitte, und manchmal muß das Pendel erst gehörig zu beiden Extremen hin ausschlagen, bis es da zur Ruhe kommt, wo die Harmonie der Kräfte wohnt, und wo die Heimat der Wahrheit ist.

Wenn zwei sich streiten, lacht der Dritte. Er heißt Wahrheit. Und er lacht nur, wenn die Streithähne einander zuhören und sich verstehen wollen. Wenn zwei die Schwerter kreuzen, dann sollten sie sich durch den Wust der Argumente zur Wahrheit durchsäbeln, die in der Mitte wohnt und ‚Sowohl' ‚Als auch' ist. Was nicht das gleiche bedeutet wie ein fauler Kompromiß. Heute ist Polarität fast zu einem Schimpfwort verkommen. ‚Man soll nicht unnötig polarisieren', rufen die politischen Weichspüler. Warum denn nicht? Polarität ist eines der fundamentalen Naturgesetze. Ohne Polarität keine Evolution. Zeugung entsteht nur, wenn Plus (männlich) und Minus (weiblich) sich vereinen. Die Suche nach der richtigen, wahrheitlichen Lösung kann äußerst befruchtend und befriedigend sein, wenn beide Seiten wirklich ihre Wahrheit darlegen und nicht aus Selbstsucht oder Feigheit Lügen in die Runde werfen. These, Antithese, Synthese – wie es die Griechen zur Kunst der Dialektik vervollkommneten.

Ist es denn nicht Aufgabe jedes Richters, aus den Für- und Wider-Argumenten des Verteidigers, bzw. Anklägers die Wahrheit herauszufiltern? Nur durch diese Polarität, durch dieses (hoffentliche) Gleichgewicht der Kräfte entsteht Wahrheit und, wenn sie angewandt wird, Gerechtigkeit. Die Wahrheit ist niemals unhöflich, wenn wir sie in Liebe weitergeben – sosehr wir sie erfaßt haben. Tatsächlich ist Aufrichtigkeit eine Begleiterin wahrer Liebe, und das Schönreden das eitle Gewand der Feigheit. Schon La Rochefoucauld hatte erkannt, daß "schwache Menschen nicht aufrichtig sein können". Oder
in den Worten Jean Pauls:

Je mehr Schwäche, je mehr Lüge. Die Kraft geht gerade.

Robert Lynd

Die Lüge ist der Schimmel, den unsere ‚Liebe' ansetzt, wenn wir es nicht wagen, unserem Liebsten die Wahrheit zu sagen. Schon im Buch des Jakobus können wir nachlesen, daß "die Zunge die Zunge der Flamme der Wahrheit sein sollte und nicht das Werkzeug der Kritik, Verurteilung oder Verleumdung." Jemandem eine unangenehme, aber notwendige Wahrheit über ihn sagen, ist nicht dasselbe wie Kritik. Erstere ist aufbauend, wenn vielleicht auch schmerzlich, letztere zersetzend.

Eine besonders heimtückische Form der Lüge ist das Verschweigen. Wer verschweigt, statt redet, wenn es nötig wäre, wäscht seine Hände in Unschuld – und lädt doch Schuld auf sich. Etwas sehen, das verkehrt ist, und wissen, daß es verkehrt ist, und dennoch nichts sagen – das kann schwerer wiegen als ein aktiver Fehltritt. ‚Unterlassungssünden' wiegen oft schwerer als andere – auch wenn sie heute zum Kavaliersdelikt geadelt worden sind. Das Böse triumphiert nur, wenn der Gute nichts tut – oder schweigt. Wie anders sähe die Welt aus, wenn aus der ‚schweigenden Mehrheit' eine sprechende, tätige, verantwortungsbewußte würde! Solange wir jedoch vorwiegend aus einer ‚schweigenden' Mehrheit bestehen, haben Lüge und Unrecht ein leichtes Leben.

Willst du Weisheit dir erjagen, lerne erst die Wahrheit sagen!

sagt ein Sprichwort. Ohne Wahrheit keine Weisheit. Beide haben dieselbe Verwandtschaft: Die Erfahrung. So, wie das Wissen zuerst durch die Schule der Erfahrung muß, um zur Weisheit zu werden, so kann Glaube nur durch Erfahrung zur Gewißheit – zur Wahrheit werden. Morgenstern sagte einmal – ‚die zur Wahrheit wandern, wandern allein'. Die Wahrheit wartet am Ende des Pfades, den jeder von uns selbst begehen muß. Kein anderer kann es für uns tun. Und wenn doch, dann ist es für uns nicht wirkliche Wahrheit, sondern bloßer Glaube – oder Überzeugung. Und da das Wandern des Pfades gleich Wachsen ist, wächst auch unsere Erkenntnis der Wahrheit. Auf dem Gipfel ist unsere Fernsicht schließlich besser, als unten im Tal, wo es aussah, als würde die Welt an den Berghängen aufhören. Je höher wir steigen, desto umfassender wird unsere Sicht – und mit ihr verändert sich, Schritt für Schritt, unsere Wahrnehmung der Wahrheit.

Davor fürchten sich manche Menschen. Einzugestehen, daß das, was sie früher als Wahrheit betrachteten, sich als Irrtum erwiesen hat. Doch Toleranz und Verständnis, die Kusinen der Wahrheit, bewahren uns vor Spott. Denn jeder, der in der Wahrheit lebt und weitergeht, hat das schon erlebt: Daß das, woran er inbrünstig glaubte und was er als Wahrheit sah, zur Fata Morgana wurde, als er es endlich erreicht hatte. Nicht die Wahrheit ist endlich, aber unsere Wahrnehmung davon. Unsere Erfahrung ist der Schlüssel, der uns größere, umfassendere Wahrheit erschließt. Was könnte schlecht daran sein, lernen zu wollen – und Altes als verbraucht zu erkennen?

Und nach einem langen, steilen, oftmals mühseligen Weg des Lernens erreichen wir auf einmal die sanfte, fruchtbare Hochebene der Weisheit, die durchzogen ist von den frischen Wassern der Wahrheit. Wir haben sie nur erreicht, weil wir lernen wollten. Weil wir das, was wir erkannten, im Leben prüften.

Es ist leichter, eine Lüge zu glauben, die man hundert Mal gehört hat, als eine Wahrheit, die man noch nie gehört hat.

Robert Lynd

Jeder, der auf dem Weg der Wahrheit pilgert, hat es schon erlebt – jenes Erdbeben, wenn jemand daherkommt und das, was wir mit Inbrunst glaubten, zur Lüge erklärt und die Wahrheit ganz neu deklariert. Das sind die Gletscherspalten, die sich plötzlich auftun, und in die wir stürzen. Und alles, was uns bleibt, ist das Kletterseil unseres (Gott)-Vertrauens – und sonst gar nichts. Kein altvertrauter Boden mehr unter den Füßen, der uns trägt. Rundherum Dunkelheit und da oben dieser kleine Spalt von Licht, nur mit Mut und Zuversicht erreichbar. Was tun? Sich in den sanften Todesschlaf sinken lassen, weil was nicht sein darf, nicht sein kann? Oder hochklettern, und den Kompaß neu ausrichten?

Wenn jemand uns etwas ganz Neues als Wahrheit verkauft, dann handeln wir am besten so, als wenn wir ein neues Auto kaufen würden: Wir machen eine Probefahrt. Funktioniert die Bremse? Wie ist das Schleuderverhalten? Fährt das Auto so schnell, wie der Tacho vorgibt? Hat das Auto die Prüfung zu unser voller Zufriedenheit bestanden, kaufen wir es. Sonst nicht. Hat die ‚neue Wahrheit' ihre Tauglichkeit im Leben bewiesen; hat die Ursache, die wir schufen, die verheißene Wirkung hervorgebracht, dann ‚kaufen' wir sie. Sonst nicht. Oder würden Sie etwa ein Auto kaufen, ohne darin Probe zu fahren? Noch dazu, wenn es vielleicht eine Okkasion ist? Die Wahrheit ist sehr alt! Und der Verkäufer, der uns das Blaue vom Himmel herunterredete und uns verböte, zu fahren, und der da sagte – glaube mir blind – den würden wir gleich als Scharlatan entlarven. Kein wahrer ‚Guru' verlangt, daß wir eine Katze im Sack kaufen, oder eine Okkasion ohne TüV.

Die Wahrheit hat zwei Schwestern: Gerechtigkeit und Freiheit. Gerechtigkeit ist im Leben angewandte Wahrheit. Freiheit ist der Zustand, den wir erlangen, wenn wir in der Wahrheit leben. Wo nur die kleinste Lüge wohnt, kann nicht völlige Freiheit existieren. Eine Regierung, die lügt, schenkt uns keine Freiheit. Und wo die Wahrheit unterdrückt wird, werden auch die Menschen unterdrückt. Wann immer ein Mensch uns die ‚Wahrheit' aufoktroyiert, dann ist dieser Mensch nicht im Besitz der Wahrheit, da er die Freiheit nicht respektiert. Wo immer blinder Gehorsam gefordert wird, herrscht der Einäugige.

Vom Wahrsagen läßt sich's wohl leben in der Welt, aber nicht vom Wahrheitsagen.

Georg Christoph Lichtenberg

Kommen wir zu einer Lüge, die sich so gut maskiert, daß keiner sie erkennt: Die Entschuldigung. Jede Entschuldigung ist eine Unwahrheit. Wenn wir darüber philosophieren und etwas rechtfertigen, was wir falsch gemacht haben, lügen wir uns nur selber an. Starker Tabak? Entweder, wir wußten, daß das, was wir taten, falsch war. Dann ist es ganz offensichtlich eine Selbstbelügung, wenn wir nun das Make up der Entschuldigung darauf legen. Oder wir wussten nicht, daß wir einen Fehler begingen – und dann brauchen wir uns auch nicht zu entschuldigen dafür. Schließlich taten wir das, was nach unserem Wissen richtig war. Also haben wir keine ‚Schuld' auf uns geladen. Was also wollen wir dann entschuldigen? Wir können nur um Vergebung bitten. Die Ent-Schuldigung, die Entledigung unserer Schuld, liegt nicht an uns, sondern am anderen. "Ich entschuldige mich" ist – eine Lüge! Daher der schale Nachgeschmack, der bleibt, wenn irgend ein Politiker sich öffentlich entschuldigt!

Mit jedem Körnchen Wahrheit, das wir finden, wächst unsere Verantwortung. Im Nichtwissen einen Fehler zu begehen, wiegt leicht. Im Hätte-Wissen-Müssen dasselbe tun, schon schwerer. Und im Besserwissen das Falsche tun – oder das Richtige nicht tun – versetzt uns ein wenig zurück auf dem Pfad ‚nach Hause'. Wer die Wahrheit scheut, hat kein Recht, einen verantwortungsvollen Posten einzunehmen. All die potemkinschen Lügendörfer der Politik und Wirtschaft krachen geräuschvoll zusammen, und dahinter stehen die Bosse, nackt und entblößt wie einst der Kaiser in seinen neuen Kleidern. Diesmal aber zeigt das Volk mit Fingern auf sie: Schande über euch! Weg mit euch! An den Pranger der Unfähigkeit! Es ist leichtsinnig und dumm, in dieser Zeit, da die Schwingung der Erde erhöht wird, und das Licht (der Wahrheit) täglich stärker, sich mit der Lüge, diesem Schattengewächs, einzulassen.

Wer lügt, stößt Gott einen Dolch ins Herz.

Walther Rathenau

Wer ist Gott? Auch jener, den du belügst, und du selbst. Ein Gott in Embryo. Deine Lüge ist der Dolch, der den Frieden des anderen zerschneidet, und dessen Klinge irgendwann einmal dich selbst hart treffen wird. Eine besonders heuchlerische Form der Lüge ist Klatsch und dessen niederträchtige Schwester die Verleumdung. Beide verunglimpfen immer Dritte. Beide sind wie Steine, die wir in das Glashaus anderer werfen: Die Fenster gehen zu Bruch, und die Pflanzen frieren darin. In Wahrheit sind sie aber nicht Steine, sondern Bumerangs. Und nachdem sie beim ‚Beklatschten', Verleumdeten ihr Unheil angerichtet haben, kehren sie zu uns zurück – als Karma. Wer ohne Fehler, werfe den ersten Stein.

Was immer wir sagen, und damit das Bewußtsein anderer verschmutzen, ist eine ‚Sünde'. Hängt damit zusammen, daß die Journalisten außer den Schlächtern die kürzeste Lebenserwartung haben, und daß viele von ihnen im fortgeschrittenen Alter Alkoholiker sind? Sie verbreiten das Böse dieser Welt – das eine Lüge ist – millionenfach. Was geschieht mit dem Bewußtsein eines Nachrichtensprechers, der jeden Abend die Schrecken dieser Welt ins Wohnzimmer von Millionen übermittelt – wie Werner Veigel, wie Hanns Joachim Friedrichs? Beide wurden nicht alt. Einer starb kurz nach der Pensionierung an Krebs, der andere noch davor an einem Tumor im Gehirn. Könnte dies etwas mit der Arbeit zu tun haben, die sie jahrzehntelang taten?

Berühmt sein hat sowieso seine Tücken. Zielscheibe der Wünsche, Begierden, des Neides und Klatsches von Millionen Menschen zu werden ist ein äußerst zweifelhaftes Privileg. Kein Wunder, daß die Mega-Berühmten dieser Welt wie etwa Elvis Presley, Marilyn Monroe, Michael Jackson Mühe bekunde(te)n, in eine stabile Seelenlage zu kommen. Wann immer das Geschoß des Klatsches unser Ohr trifft, sagen wir uns einfach: Es ist nicht wahr. Es ist mit Sicherheit nicht wahr! Denn alles, was weniger ist als göttliche Vollkommenheit, ist eine vorübergehende Erscheinung auf diesem Planeten und entspricht nicht der göttlichen Wahrheit, die das Erbe und die Zukunft des Menschen ist. Wahrheit ist eine ehrfurchtgebietende Kraft. Einer, der lügt, kann dir nicht in die Augen schauen. Er kann der Wahrheit deines Wesens mit seiner Lüge nicht standhalten. Man könnte mit der Wahrheit, die man sich angeeignet hat, all das niederreißen, was der schöpferischen Vollkommenheit entgegensteht. Für sich allein ist die Wahrheit jedoch kraftlos. Sie erhält ihre volle Kraft erst dadurch, daß sie in den Herzen und dem Geist von Menschen wohnt. Und daß diese Menschen die erkannte Wahrheit leben. Damit sie ein leuchtendes Beispiel für andere sind – statt nur dozierende Pharisäer, deren Phrasen sich schneller verflüchtigen als eine Alkoholfahne.

Die Wahrheit ist das Fundament allen Wissens und der Zement aller Gesellschaften. Ohne Wahrheit hält nur Unterdrückung Völker beisammen. Ohne Wahrheit also keine Freiheit. Ohne Freiheit keine Gerechtigkeit. Ohne Gerechtigkeit keine Wahrheit. Die Begriffe lassen sich beliebig mischen, die Aussage stimmt immer – denn die Wahrheit ist das Gesetz. Wie sagen es die Mauren? "Lügen summen wie Fliegen und Mücken, die Wahrheit aber strahlt prächtig wie die Sonne."