Ukrainisches Blut für amerikanische Pläne

Wer sprengte die Nordstream-Gaspipeline? Und welchen Interessen dient die EU? Ein Blick auf die Katastrophe in Europa, der nicht durch Propaganda verstellt ist.

Nordstream-Sabotage: Wer hat die Unterwasserpipelines gesprengt?

In der Nacht vom 26. September 2022 verzeichnen Messstationen ein leichtes Seebeben in der Ostsee. Die friedliche Stille wird nacheinander von mehreren Detonationen zerrissen. Es ist eine Sabotage an drei von vier Nordstream-Pipelines. Sie durchtrennt die Schlagader, welche die Europäer mit günstigem Gas aus Russland versorgt. Das ist schlecht für Europa, vor allem für die Wirtschaftsmacht Deutschland. Und es ist schlecht für Russland, dem in Kriegszeiten ein wichtiges Devisengeschäft wegbricht.

Gut hingegen ist es für die Rohstoffspekulanten, weil die Explosionen auf dem Grund der Ostsee die Explosion der Gaspreise noch weiter anheizt. Das ist gut für Norwegen, weil Europa jetzt viel mehr norwegisches Erdgas statt russisches kaufen muss. Zufall oder perfektes Timing, dass der Sabotageakt nur einen Tag vor Inbetriebnahme der neuen Baltic Pipe erfolgt? Diese Pipeline bringt norwegisches Gas aus der Nordsee über Dänemark bis nach Polen.

Vor allem aber ist es gut für die USA. Deren unprofitable und umweltschädigende Fracking-Industrie würde jetzt nämlich bildlich gesprochen mit dem Bauch nach oben im Wasser treiben wie die Fische nach den Detonationen in der Ostsee, wenn sich die verfügbare Menge an Erdgas aus Russland mit Nordstream 2 verdoppelt hätte. Schon im Februar 2016 hatte der ehemalige US-Diplomat Richard Morningstar in seiner Eigenschaft als Direktor des Atlantic Council’s Global Energy Centre die Politiker in Brüssel gewarnt: „Falls ihr unsere Flüssigerdgas-Strategie killen wollt, dann macht nur weiter mit Nordstream.“1 Stattdessen machen wir nun weiter mit überteuertem LNG-Flüssigerdgas, das Riesentanker aus Amerika über den Atlantik schippern.

Offiziell hatte man fast ein halbes Jahr keine Ahnung, wer hinter dem Anschlag auf Nordstream steckt. Klar, die westlichen Medien beschuldigten stereotyp den Kreml, obwohl US-Präsident Biden drei Wochen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Kanzler Scholz gedroht hatte: „Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nordstream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

Dann erfolgte Anfang März 2023 der Paukenschlag: Nur einen Tag nach dem überraschenden Blitzbesuch von Olaf Scholz in Washington verkündet die New York Times zusammen mit einem „Recherchebund“ deutscher Staatsmedien, was westliche Geheimdienste über die Nordstream-Sabotage herausgefunden hätten. Die saloppe Kurzversion: Sechs Aktivisten, vereint in ihrem Unterstützungseifer für die Ukraine, beladen in Rostock ein Segelboot mit 1,5 Tonnen Plastiksprengstoff zum Schwarzmarktpreis von gegen 25 Millionen Euro und tuckern in die von der Nato streng überwachte Ostsee hinaus, ohne dass dies dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis aufgefallen wäre. Dann sprengen sie in fast 80 Metern Tiefe Löcher in die von den Russen ebenfalls mit modernster Technik überwachten Pipelines, fahren unbehelligt zurück und sind nach getanem Nachtwerk zu müde (oder zu faul), um den restlichen Sprengstoff vom Schiff zu entfernen. Darüber hinaus lassen sie auch noch ihre gefälschten Pässe liegen. – Das ist gut für die westlichen Geheimdienste, die wohl sonst noch immer im Dunkeln tappen würden.

Verdeckte US-Militäroperation

Auch für Seymour Hersh (86) sind „pro-ukrainische Kräfte“ für den Anschlag auf die russischen Pipelines verantwortlich: namentlich die US-Regierung von Joe Biden. Bereits einen Monat vor der „spektakulären“ Enthüllung der New York Times hatte der weltbekannte amerikanische Journalist einen sehr detaillierten Bericht publiziert,2 worin er beschreibt, welch große technische und planerische Hürden zu überwinden waren, um eine solch schwierige Geheimoperation erfolgreich durchzuführen. Da wäre nur schon die Kleinigkeit, dass Sporttaucher maximal bis zu 30 Metern abtauchen können. Wer aber Sprengsätze an Röhren anbringen will, die mehr als doppelt so tief unter Wasser sind, benötigt dafür eine militärische Spezialausbildung. Hierfür kommen nur die Besten der Besten infrage. Zum Beispiel die Absolventen des Tauch- und Bergungszentrums der US-Marine. Diese hochqualifizierten Tiefseetaucher wurden laut Hershs Whistleblower denn auch für den Job rekrutiert.

Seymour Hershs Protokoll, was sich tatsächlich abgespielt haben soll, leuchtet ein: Im Dezember 2021 – zwei Monate, bevor die ersten russischen Panzer auf ukrainischen Boden rollen – beruft der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan Leute vom US-Auslandsgeheimdienst, dem Außen- und Finanzministerium sowie Mitarbeiter der Stabschefs zu einer geheimen Arbeitsgruppe ein: Joe Biden will einen Plan zur Zerstörung der Nordstream-Pipelines. Die CIA glaubt, ein verdeckter Tiefseeangriff in internationalen Gewässern biete die beste Erfolgschance auf Sprengung der Röhren.

Dazu braucht man die Hilfe Norwegens, einem Nato-Urgestein, das vom Pentagon Hunderte Millionen Dollar für den Bau und die Modernisierung von US-Militärbasen erhalten hat. Zudem war Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zuvor norwegischer Ministerpräsident gewesen. Er ist seit dem Vietnamkrieg eng mit den US-Geheimdiensten verbunden – ein „Handschuh, der auf die amerikanische Hand passt“, wie es Hershs Quelle formuliert. Die Aussicht auf größere Absatzmärkte für das eigene Erdgas dürfte die norwegische Hilfsbereitschaft zusätzlich befeuert haben.

Das Nato-Manöver „Baltic Operations 22“ vom Juni 2022 beübt in der Ostsee vor allem das Verlegen und Aufspüren von Unterwasserminen. Es ist die ideale Tarnung, damit Tiefseetaucher zur gleichen Zeit mit Spezialzündern versehene Sprengsätze an den Nordstream-Röhren anbringen können. Das größte Problem besteht jedoch darin, dass die Minen von den Russen aufgespürt werden, zu früh explodieren oder sich zum gewünschten Zeitpunkt nicht auslösen lassen könnten, wie Hersh ausführlich erklärt. Das konnte alles verhindert werden. Und so wirft ein P8-Überwachungsflugzeug der norwegischen Marine am 26. September 2022 bei einem scheinbaren Routineflug über der Ostsee eine Sonarboje ab, deren Signal sich unter Wasser ausbreitet. Wenige Stunden später werden drei der vier Unterwasserpipelines von Detonationen erschüttert und die Meeresoberfläche brodelt von ausströmendem Methangas.

„Der Westen provozierte den Krieg“

„Ich kenne Seymour Hersh recht gut. Er ist integer, ein erstklassiger Journalist. Seine Story ist schlüssig.“ Dies sagt John J. Mearsheimer (76), einer der anerkanntesten Politikwissenschaftler unserer Zeit. Der Professor von der Universität Chicago wird von den Massenmedien im eigenen Land angefeindet, weil er den Westen für den Krieg in der Ukraine verantwortlich macht: Die Biden-Regierung habe den russischen Angriff bewusst provoziert. Solche Worte kommen gar nicht gut an. „Wir sind unfähig, offen über die Ursachen, das Verhalten und die Folgen dieses Kriegs zu diskutieren“, beklagte Mearsheimer Ende Februar 2023 im Gespräch mit Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel. „Es ist bemerkenswert, wie sehr die Mainstream-Medien im Westen zum Propaganda-Arm der westlichen und ukrainischen Regierungen geworden sind. Jeder, der diese Erzählung infrage stellt, wird angegriffen und ausgegrenzt.“

Quellenangaben