Lesen Sie hier, wie es kam, dass die riesige Kornkammer Europas 2014 in die Schusslinie verdeckt operierender Mächte geriet. Wir erklären die Hintergründe eines Bürgerkrieges, der so ganz anders ist, als die Massenmedien es uns erzählen.
In den achtziger Jahren, als Tausende Menschen auf Europas Straßen gegen einen Atomkrieg demonstrierten, konnte man an manchen Häuserwänden einen Spruch lesen: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Ein Gedanke, der Mut und Trost zugleich vermittelte: Würden nur alle den Krieg verweigern, er würde als Blindgänger enden – ganz egal, wie sehr die Politiker da oben auch zündeln mochten. Heute braucht keiner vom Volk mehr hinzugehen – die Kriege finden trotzdem statt. Denn wie fast alles andere auch, das vor dreißig Jahren zumindest noch von einem Hauch Ideologie umweht war, geht es heute beim Krieg nur noch ums ganz große Geschäft. Es sind nicht mehr Linke, die gegen Rechte kämpfen, oder Arme, die sich gegen Reiche aufbäumen. Der moderne Krieg kommt wie eine Naturgewalt über ein unglückliches Volk und findet statt, obwohl kaum einer daran teilnimmt.
So geschieht es gegenwärtig auf europäischem Boden, in der Ukraine – einem Land, das zugleich sehr reich und sehr arm ist. Reich, weil seine Böden vielerlei Metalle bergen – fünf Prozent der weltweiten Eisenerzvorkommen, aber auch Bauxit, Blei, Chrom, Gold, Uran, Zink und anderes mehr. Und am Schelf des Schwarzen Meeres hat man Erdöl- und Erdgasreserven entdeckt. Pro Jahr produziert die Ukraine sechzig Millionen Tonnen Getreide; das ist Platz sieben weltweit. Kein Wunder, verfügt das Land doch über viel kostbare Schwarzerde, die fruchtbarste Bodenkrume überhaupt, die natürlicherweise nur in Steppengebieten mit warmen Sommern und kalten Wintern vorkommt. Kein anderes Land auf der Welt besitzt einen so hohen Prozentsatz an Schwarzerde – nämlich 56 Prozent der Landesfläche! Und da die Ukraine der größte ganz in Europa liegende Staat Europas ist, bedeutet dies über 323'000 Quadratkilometer besten Bodens – fast die Fläche Deutschlands. Solcher Reichtum weckt Begehrlichkeit – besonders wenn die Bodenpreise mit zirka 30 Euro Pacht pro Hektar auch noch sehr niedrig sind. „Land Grabbing“ nennt man dies in der Fachsprache. Schon 2008 erwarb Libyen 250'000 Hektar ukrainischen Boden, Russland 300'000, ein US-Investmentfonds 450'000; China begann mit 100'000 und will für weitere Pachtrechte auf fünfzig Jahre bis zu drei Millionen Hektar übernehmen.
Das Pech der Ukraine ist ihre geographische Lage, die sie zum Zankapfel zwischen den Interessen der USA und der EU auf der einen und Russlands auf der anderen Seite macht. Schon 1997 schrieb der Illuminat und Geostratege Zbigniew Brzezinski1 : „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. […] Sollte Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen, so würde Russland automatisch die Mittel erlangen, ein mächtiges, Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.“
Und das wollen die Vereinigten Staaten von Amerika um jeden Preis verhindern. Ihr erklärtes Ziel ist die „Full Spectrum Dominance“, also die Überlegenheit auf allen Ebenen: Kein anderes Land auf der Welt soll den USA gefährlich werden können, während die USA selbst sämtliche Weltmeere und das Weltall beherrschen und ihre Feinde solcherart mit Vasallenstaaten umgeben, dass diese keine Chance hätten, eine Atomrakete auf amerikanisches Territorium abzufeuern, weil sie unweigerlich von den Verteidigungseinrichtungen der Vasallenstaaten vom Himmel geholt würde. – Was Amerika also anstrebt, ist die unangetastete, unverwundbare, einzige Weltmacht zu sein.
Nach dem Fall des Kommunismus Anfang der neunziger Jahre hätte der Kalte Krieg beendet werden können. Tatsächlich löste sich 1991 der Warschauer Pakt, das Militärbündnis der Sowjetunion und der Ostblockstaaten auf, nachdem zweiunddreißig europäische Länder im November 1990 die Charta von Paris unterzeichnet hatten, die die Spaltung Europas für beendet erklärte und eine neue, friedliche Ordnung in Europa postulierte. Eigentlich gab es nun auch keinen Grund mehr für die Weiterexistenz der NATO. Doch statt sich ebenfalls aufzulösen, will sich diese die einstigen Warschauer-Pakt-Staaten nach und nach einverleiben. Den Startschuss dazu gab US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1994. Clinton, wissen wir heute, hat nicht nur die amerikanische Börsenregulation aufgehoben, was dem so gefährlichen Finanzmonopoly großen Stils Tür und Tor öffnete, er war auch der willige Lakai der mächtigen amerikanischen Rüstungskonzerne, die nur Gewinne machen, wenn Kriegsmaterial nachgefragt wird. Und eine NATO-Ost-erweiterung ließ deren Verkäufe von Panzern, Bombern und so weiter in die Höhe schießen. Seit dem Ende des Warschauer Pakts sind nicht weniger als zwölf ehemals kommunistische Länder zur NATO gestoßen (nämlich 1999 Polen, Tschechien und Ungarn; 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien,und schließlich 2009 Albanien und Kroatien).
Betrachten wir die Karte, fällt auf, dass Russland immer enger vom einstigen (und wieder) feindlichen Militärbündnis eingekreist wird, für das es laut der Pariser Charta gar keinen Grund mehr gibt. Die noch fehlenden Staaten sind Weißrussland und die Ukraine. Letztere stand 2013 vor der Entscheidung, ob sie mit der Europäischen Union ein Assoziierungsabkommen unterzeichnen solle (was ein Schritt hin zur NATO gewesen wäre) oder aber der Eurasischen Zollunion unter Führung Russlands beitreten. „Nach einer Periode des Wankens und einem definitiven wirtschaftlichen Angebot Russlands – inklusive eines Preisnachlasses für das von der Ukraine benötigte russische Gas um ein Drittel und des russischen Ankaufs ukrainischer Staatsanleihen in Höhe von 15 Milliarden Dollar, um die akute Finanzkrise in Kiew zu lindern –, eröffnete Janukowitsch den EU-Ministern im November 2013, die Ukraine werde die Verhandlungen um ein EU-Assoziierungsabkommen verschieben und sich der Eurasischen Zollunion anschließen. Unter den damaligen Umständen war dies das bei Weitem attraktivere Angebot für die Ukraine“, fasst William Engdahl in seinem Buch Krieg in der Ukraine zusammen.2
Danach ging es Schlag auf Schlag. Nur Minuten nach Bekanntmachung kam es zur „zweiten Farbenrevolution“ der Ukraine. Die Proteste begannen am Abend des 21. November 2013, eingeleitet vom Fraktionsführer der Oppositionspartei Batkiwschtschyna, Arsenij Jazenjuk, der vom US-amerikanischen Außenministerium als zukünftiger Ministerpräsident auserkoren worden war. Über Twitter rief Jazenjuk zu Protesten auf dem Majdan-Platz auf, vor dem Hauptgebäude der Regierung. „Was dann in der Ukraine geschah“, schreibt Engdahl, „ist im Westen bis zum heutigen Tag fast völlig unbekannt. Der Grund dafür ist ein totaler Medien-Blackout, angeführt von CNN, BBC, der New York Times und der Washington Post. De facto war es eine von der NATO verhängte Pressezensur, ausgehend von den höchsten Führungsebenen in Washington. Jene Zensur hat die einst kritischen Medien Deutschlands, anderer EU-Staaten und der USA zu Verteidigern der illegitimen Amtseinführung einer Bande nicht gewählter Krimineller und selbsternannter Neonazis gemacht. So wurde der undemokratische Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung gerechtfertigt, zynischerweise alles im Namen der Demokratie.“
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