Der Börsenguru George Soros gehört zu den dreißig reichsten Menschen auf dem Planeten. Er spendet Milliarden für demokratische Zwecke und wird trotzdem als Weltverschwörer und Anzettler von globalen Krisen angeprangert. Er schwärmt für Ungleichgewichte und betrachtet das vereinte Deutschland als Gefahr. Das Porträt eines Mannes, der zwar eine offene Gesellschaft fordert, sich aber nicht gern in die Karten blicken lässt.
Am 19. März 1944 begann in Budapest das Jahr, das George Soros als das „glücklichste seines Lebens“ bezeichnet. Es war das Jahr der Naziherrschaft vor dem Kriegsende. „Sie müssen sich in meine Lage versetzen: Ein vierzehn Jahre alter Junge, der solch eine einmalige Zeit miterleben durfte, unter Anleitung seines Vaters, den er bewunderte. Das war alles sehr aufregend.“ Und das, obwohl überall Jagd auf Juden gemacht wurde, und eines Tages an einem Laternenpfahl mitten in Budapest zwei tote Juden hingen mit einem handgeschriebenen Schild darüber: „Das geschieht mit einem Juden, der sich versteckt.“ Ein Spiegel-Redakteur fragte Soros, ob ihn dieses Erlebnis nicht schockiert habe? „Schon, aber wir hatten Vorkehrungen getroffen.“
Bereits als Jugendlicher war George Soros geradezu fasziniert von der Unsicherheit jener Tage, jenem später von ihm viel beschworenen „Ungleichgewicht“, das in sich die Chance für große Veränderungen berge. Die ungarische Journalistin Krisztina Koenen bemerkt in ihrem Soros-Buch dazu: „Man wird gewiss nur wenige Juden in Europa finden, die mit einem ähnlichen Enthusiasmus über diese Jahre sprechen könnten.“Dabei kannte der Soros-Junge durchaus Angst, wenn es um seine eigene Person ging. Bei deutschen Polizeikontrollen machte er jedes Mal beinahe in die Hose, obwohl er gefälschte Papiere bei sich trug, die ihn als Christ auswiesen. „Ich passte immer sehr genau auf, dass mir niemand beim Pinkeln zuschaute, schließlich war ich als jüdischer Junge beschnitten.“ Zu den Vorkehrungen, die sein Vater schon früh traf, gehörte die Namensänderung. Soros entstammt einer begüterten, nicht religiösen Familie. Seine Mutter empfand das Jüdischsein als Stigma. Auch deswegen hatte sich der Vater, ein prominenter Anwalt und Esperanto-Schriftsteller1 , schon 1936 dazu entschlossen, den Familiennamen Schwartz in das ungarisch klingende Sorosz ändern zu lassen. Tatsächlich aber ist „Sorosz“ ein dem Esperanto entlehntes Kunstwort und bedeutet „nach oben gelangen“ oder „aufsteigen“. So wurde aus dem am 12. August 1930 in Budapest geborenen György Schwartz George Soros, der sich heute als „staatenloser Staatsmanns“ aufführt und ganze Nationen auf seinen internationalistischen Kurs zwingt.
Doch davon war er 1944 noch weit entfernt. Damals lernte Soros von seinem Vater, dass man Fragen der Moral oder Schuld erfolgreich ignorieren kann. Während die Familie in elf verschiedenen Verstecken lebte, freundete sich der Vater mit einem Apotheker aus Breslau an. Als der deutsche Besatzer darüber klagte, wie sehr es ihn belaste, Juden zur Deportation aufzureihen, beruhigte ihn Soros' Vater. Das sei nun einmal seine Pflicht, und bei einer Weigerung würde er bloß vor einem Militärgericht landen. Solange er sich Mühe gebe, niemandem wehzutun, brauche er sich nicht schlecht zu fühlen. „Es war schon ziemlich ironisch, dass ein Jude im Untergrund zu dieser Zeit einen deutschen Offizier trösten musste“, sagte George Soros Jahrzehnte später dazu.
Doch dabei bleibt es nicht. „Soros gilt als der einzige bekannte Überlebende des Holocaust, dem sogar vorgeworfen wurde, als Jude mit den Nazis kollaboriert zu haben“, schreibt Andreas von Rétyi in seinem unlängst erschienenen Buch George Soros über den Börsenmilliardär. Dank väterlicher Bestechung erhielt der junge György 1944 eine Anstellung im ungarischen Landwirtschaftsministerium. Dort musste der vermeintlich christliche Knabe dem dafür zuständigen Beamten helfen, das Eigentum von Juden zu beschlagnahmen. Er schaute auch mit an, wie zahlreiche Menschen in die Todeslager abtransportiert wurden. In der US-Sendung 60 Minutes bemerkte Soros 1998 dazu, dies sei für ihn „überhaupt nicht schwierig“ gewesen. – „Keine Schuldgefühle?“ – „Nein.“ Und erläutert, weshalb: „Es macht keinen Sinn zu sagen, dass ich dort nicht sein sollte, denn das war …, nun auf komische Weise verhält sich das tatsächlich wie an den Märkten, nämlich dass, wenn ich nicht da wäre – dann würde ich es natürlich nicht tun, sondern jemand anderer würde dann … würde … würde es in irgendeiner Weise wegnehmen. Und so lief es darauf hinaus, dass – ob ich nun dort war oder nicht – ich nur ein Zuschauer war. Der Besitz wurde so oder so konfisziert. Also hatte ich auch keine Schuldgefühle.“
Auch als Börsenspekulant sollte Soros immer wieder im moralischen Vakuum operieren, und, ohne mit der Wimper zu zucken, Länder in Finanzkrisen stürzen, wenn er eine Chance auf Profit witterte. Seine Absolution vor sich selbst war damals wie heute dieselbe: Wenn ich es nicht getan hätte, dann einfach ein anderer. Natürlich weiß er, dass „Märkte mitunter die Rolle von Abrissbirnen übernehmen und ganze Volkswirtschaften zertrümmern“, worunter oftmals Millionen Menschen zu leiden haben. Aber das dürfe man seinesgleichen nicht zur Last legen, denn als anonymer Teilnehmer auf den Finanzmärkten sei man von moralischen Problemen befreit, wird Soros nicht müde zu erklären. Deswegen habe er nicht über die gesellschaftlichen Folgen seines Tuns nachdenken müssen. Im Gegenteil: Eigentlich sollte man den Hedgefonds sogar dankbar sein, weil sie durch ihr Tun Systemfehler schonungslos aufdecken, die dann behoben werden können. „Soros präsentiert das Treiben der Spekulanten wie eine Art Stiftung Warentest“, kommentiert Andreas von Rétyi ironisch. Anzufügen bleibt, dass diese Systemfehler zwar längst erkannt sind, von der Politik aber trotzdem nicht wirkungsvoll unterbunden werden.
Wir leben längst in einer Diktatur der Finanzmärkte, beklagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken in Deutschland, Gregor Gysi, letztes Jahr öffentlich. Weil Hedgefonds alle noch bestehenden Dämme niederreißen und sämtliche Tabus brechen, sehen wir uns mit einer Krise der Demokratie konfrontiert, so Gysi. Auch Soros betrachtet die Finanzmärkte als sozialdarwinistisches Schlachtfeld, wo das rücksichtslose Recht des Stärkeren herrscht. Er formuliert das so: Wer sich in diesem ehrgeizigen Wettbewerb Beschränkungen auferlege, werde unweigerlich in die Rolle des Verlierers abgedrängt. Und weil die reale Welt ohnehin nichts von etwaigen moralischen Skrupeln seinerseits gehabt hätte, so Soros, sei auch er ausschließlich von einem Motor getrieben worden: der Gewinnmaximierung.
Nicht grundlos schwärmt George Soros bis heute von jenem Jugendjahr unter Naziherrschaft, von jener „sehr persönlichen Erfahrung des Bösen“. Damals formten sich Charakterzüge, die mitverantwortlich waren für seinen späteren Erfolg als Börsenspekulant2 : „Für einen 14-Jährigen war es das aufregendste Abenteuer, das man sich nur wünschen konnte. Diese Erfahrung hat mich nachhaltig geprägt, weil ich die Kunst des Überlebens von einem großen Meister gelernt habe. Das war auch für meine Karriere als Finanzmanager von Bedeutung.“ Im Gespräch mit der ungarischen Journalistin Koenen kokettiert er: „Ich bin zwar ein ausgemachter Egoist, aber die Verfolgung ausschließlich eigener Interessen erschien mir als eine zu schmale Basis für mein ausgeprägtes Ego.“
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lösten in Ungarn sowjetische Panzer die deutschen ab. Zeit für den 17-jährigen György Sorosz, nach England zu gehen, wo er sich fortan George Soros nannte. Als mittelloser Gelegenheitsarbeiter ergatterte er einen Studienplatz an der renommierten London School of Economics, wo er auch seinen Doktor machte – allerdings nicht in Wirtschaftswissenschaften, sondern in Philosophie. Besonders angetan war er vom kritischen Rationalismus seines Mentors und Professors Karl Popper. Der 1946 nach England emigrierte österreichische Philosoph stammte wie Soros aus einer jüdischen Familie, die aber dem Judaismus nichts mehr abgewinnen konnte, weshalb er zum Agnostiker wurde. In Poppers Philosophie spielt Religion keine Rolle – im Gegenteil, sie steht der friedlichen menschlichen Koexistenz oft nur im Weg. Popper erklärt nämlich den Anspruch auf eine absolute Wahrheit für irrig, weil unerreichbar. Jeder Anspruch auf die absolute Wahrheit müsse deshalb unweigerlich zu Konflikten und im Extremfall zu Krieg führen. Deshalb setzte sich Popper zeitlebens vehement für eine „offene Gesellschaft“ ein, welche unterschiedliche Meinungen toleriert, weil alle um die Fehlbarkeit des Menschlichen wissen.
Poppers Ruf nach einem friedlichen Miteinander klingt gerade in unseren gesellschaftspolitisch aufgeheizten Tagen vernünftig. Sein philosophischer Ansatz ist allerdings mangelhaft: Agnostiker und Atheisten (sie verneinen die Existenz des Göttlichen) mögen sich damit zufrieden geben, weil sie keine höhere Instanz als das menschliche Bewusstsein anerkennen. Doch nur schon ein Blick in die Natur zeigt, dass es durchaus unabänderliche Gesetze des Lebens gibt, die tatsächlich eine absolute Wahrheit repräsentieren, ob wir diese nun erkennen oder nicht. Das Problem der Religionsfehden ist nicht das angebliche Fehlen dieser höchsten Wahrheit, sondern die unterschiedliche und mangelhafte Wahrnehmung davon: Würden drei Blinde den Rüssel, Schwanz oder Fuß eines Elefanten tastend beschreiben, würden sie niemals erkennen, dass es sich dabei um dasselbe Tier handelt.
Fühlt man sich jedoch keiner höheren Macht gegenüber verantwortlich, glaubt man, rücksichtslos tun zu können, was einem beliebt. Soros bezeichnet sich als Atheisten. Allerdings erzählt er immer wieder, von Kindheit an ziemlich machtvolle „messianische Fantasien“ entwickelt und sich eingebildet zu haben, „eine Art Gott zu sein oder ein Wirtschaftsreformer wie Keynes oder, sogar noch besser, ein Wissenschaftler wie Einstein“.
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