Nach langen Zeiten relativ ruhiger Wasser geht die See seit einigen Monaten wieder hoch, und wir sind in kaum gekanntem Maße mit neuen Situationen konfrontiert. Lesen Sie hier, was der Reutlinger Autor Karl Otto Schmidt (1904–1977) in seinen „Lebensschule“-Büchern für solche Situationen empfohlen hat!
Unsere Zeit und unsre Leben fordern immer Größeres von uns. Das bedeutet für uns: alle bisherige Leerlaufarbeit zu beenden. Es gilt nicht nur, mit der Zeit besser hauszuhalten, sondern auch mit unserer Kraft und stets den besten Gebrauch von ihr zu machen.
Die meisten Menschen leben von einem Bruchteil ihrer Kraft, und von diesem Bruchteil vergeuden sie noch das meiste. Wie sie über die Hälfte ihrer Zeit gewinnlos verbringen, so verschwenden sie vier Fünftel ihrer Kraft. Wie uns bei der Verbrennung der Kohlen im Ofen nur ein kleiner Teil ihrer Wärmeenergie zustattenkommt, so auch bei der Betätigung unserer Kraft. So gilt der energetische Imperativ vor allem für uns selbst: „Vergeude keine Energie! Verwerte sie!“
Die wenigsten sind sich bewusst, wie viel Kräfte sie von früh bis spät an Lappalien verschwenden. Sie wundern sich nur zu Zeiten, warum sie eigentlich für größte Mühen so Geringes eintauschen. Sie hören nicht die Stimme des Schicksals: Wer seine Kraft an Nichtigkeiten setzt, zeigt, dass er für große Dinge nicht reif ist. Wer sich ob der Nadelstiche des Alltags entrüstet, ist ungerüstet, wenn große Aufgaben zum Kampfe rufen. Wer nicht mit seinen Kräften haushält, wird vom Strom des Lebens bald an den Strand gespült und vom Leben vergessen.
Milliardenwerte werden von der Menschheit Tag für Tag nutzlos vertan. Die Hemmnisse, die die Lässigen überall ins Leben rufen, ballen sich im Laufe der Zeit zu Widerständen, denen die Unachtsamen erliegen. So machen sich die Menschen das Leben zehnmal schwerer, als nottut.
Bei den meisten ist der Kraftaufwand weit größer als der Erfolg. Der Lebensschüler dagegen strebt, bei abnehmendem Aufwand zunehmend Erfolge zu erzielen, in allem Tun dem Grundsatz sorgsamster Kräftewirtschaft zu folgen, seine Energien nicht zu zerstreuen, sondern seine Kräfte zu sammeln, zu veredeln und richtig auszuwerten und zugleich neue Kraftquellen in seinem Innern zu erschließen.
Damit kommen wir zur Energie-Kontroll-Übung: Von morgen früh bis morgen Abend beobachten Sie ihr ganzes Tun im Hinblick auf Ihren Kraftverbrauch. Sie prüfen bei jeder Handlung, ob sie notwendig ist, zweckmäßig erfolgt, einfacher verrichtet, also Kraft und Zeit gespart werden kann.
Sie richten gewissermaßen eine Lebenskraft-Kontrollstelle in Ihrem Bewusstsein ein, die darüber wacht und dafür sorgt, dass Sie immer weniger unnütze Arbeit leisten, keine Energie mehr vergeuden, immer mehr und Besseres schaffen.
Sie werden schon an diesem einen Tage Dutzende von Dingen feststellen, die entweder gar nicht getan werden müssen oder zweckmäßiger erledigt werden können.
Wenn Sie diese Gepflogenheiten der Kraftkontrolle längere Zeit fortsetzen, erreichen Sie eine zunehmende Steigerung Ihres Erfolgsvermögens. Dinge werden leicht, die bisher schwer schienen; Ihr Kraftbewusstsein erwacht, welches auch der „Mittelpunkt des Willens“ genannt wird. Sodann aber gilt es, aus den durch solche Energie-Kontrolle gewonnenen Erkenntnissen die nötigen Konsequenzen zu ziehen, also:
Eine praktische Erfahrung besagt: Je weiser wir unsere Kräfte anwenden, desto mehr Kraft strömt uns von innen her zu. Diesen Zustrom neuer Kraft können wir dadurch steigern, dass wir bewusst alles, was kommt, als Mittel zur Kräfte-Weckung und -Mehrung werten und begrüßen, die Steigerung unserer Kraft durch jede Betätigung derselben freudig bejahen.
Je mehr wir das üben, desto lustbetonter wird unser Schaffen und desto größer unsere Macht über die Umstände. Wir erleben dann mehr und mehr, dass die Kraft in uns unerschöpflich ist, dass sie aber nur dann stark fließt, wenn wir sie recht betätigen. Unser Leben ist umso sinnvoller, unser Herz umso glücklicher, je Besseres wir leisten, gleichwie ein Baum umso froher ist, je mehr Frucht er trägt. Hier ist unsere Aufgabe: fruchtbar zu sein, durch unser Denken und Tun das Glück der Welt zu mehren.
Die größten Verlustquellen haben wir noch nicht bezwungen: die Energievergeuder und Erfolgshinderer Furcht und Sorge. Sie sind unsere heimlichen Feinde; die einzigen, die uns wirklich schaden können. Wir mögen die glänzendsten Geistesgaben haben, die besten Beziehungen, die treuesten Freunde; wenn die Furcht unser Herz umkrallt, ist alles Mühen vergeblich.
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