Wenn den Mitochondrien die Puste ausgeht

Depressionen werden langsam zu einem Volksleiden, wie es chronische Zivilisationskrankheiten längst sind. Forscher haben erkannt, dass ihnen allen ein Energiemangel zugrunde liegt, dessen Ursache in der Körperzelle zu finden ist.

Marode Zellkraftwerke: Ermattung und Depressionen als Folge geschwächter Mitochondrien.

Marode Zellkraftwerke: Ermattung und Depressionen als Folge geschwächter Mitochondrien.

Die Deutsche Depressionshilfe-Stiftung verkündete unlängst, gemäß neuer Studien würden etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann im Laufe ihres Lebens an einer Depression erkranken. Seit Jahrzehnten werden die medizinischen Hintergründe intensiv erforscht. Dennoch waren die körperlichen Ursachen bislang ungeklärt. Bisher galten fehlerhafte Ausschüttungen von Botenstoffen im Gehirn – zum Beispiel des Glückshormons Serotonin – als Auslöser für Depressionen. Häufig wird die Krankheit von medizinischen Laien und Betroffenen auch als psychologisches Problem verstanden und nicht als ein körperliches. Nun haben Forscher der Universität Ulm in einer aktuellen Studie eine völlig neue Sichtweise auf den Grund von Depressionen gefunden.1 Diese Studienergebnisse legen nahe, dass die Ursache einer Depression tief in unserem Körper verborgen ist – genauer gesagt: in den Kraftwerken unserer Zellen, den sogenannten Mitochondrien.

Stellen sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit, gleichzeitig einen Kindergarten und ein Altenheim zu beobachten. Was würde Ihnen zuerst auffallen? Wahrscheinlich der Lärm und die Aktivität, die von den Kleinen ausgehen. Ein dauerndes Durcheinander und alle paar Sekunden ein Schwarm von begeisterten Bälgern, die ein neues Objekt ihrer Aufmerksamkeit entdecken und jetzt alle zusammen in chaotische Aktivität ausbrechen. Im Altenheim hingegen geht es sehr ruhig zu (sofern der Fernseher auf leise gestellt ist). Die meisten Aktivitäten gehen vom Pflegepersonal aus.

Was ist der Grund für diesen Unterschied? Sind es eventuelle Gelenkschmerzen oder Behinderungen bei den Alten? Oder liegt der Hauptunterschied nicht vielmehr in der überschießend zur Verfügung stehenden Energie bei den Kleinen und in einem totalen Energiemangel bei den Alten?

Die Energie, von der ich hier spreche, ist klar definiert. Es handelt sich um einen Stoff mit dem Namen Adenosintriphosphat oder kurz ATP. Wir setzen täglich ca. 60 Kilo von diesem Stoff um.2 Das Allermeiste davon produzieren wir in unseren Zellkraftwerken, den Mitochondrien. Je älter wir aber werden, desto weniger ATP wird hergestellt. Wir werden ruhiger. Aber nicht nur das: Wir altern. Das Altern ist nichts anderes als eine Ansammlung von "Schäden" und Schlacken, welche nicht beseitigt werden können, weil die Energie (ATP) dazu fehlt!

Energiemangel und Depressionen

Die Forscher der Universität Ulm untersuchten nun 22 Menschen mit schweren Depressionen und verglichen diese mit gesunden Probanden. Dabei fanden sie heraus, dass die Mitochondrien von depressiven Menschen "weniger leistungsfähig" sind als die gesunder Menschen.3

Daraus resultiere ein von den Zellen ausgehender Energiemangel, der sich in körperlichen Symptomen – wie zum Beispiel Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, körperlicher Ermattung, Desinteresse, Niedergeschlagenheit bis hin zu großer Traurigkeit – äußert. Generell zeigte sich: Je geringer die Leistung der Mitochondrien, desto schwerer ausgeprägt war die depressive Verstimmung!

Die Forscher untersuchten nämlich nur die Aktivität der Mitochondrien in den Blutzellen. Wenn die Aktivität sehr niedrig war; das heißt, wenn nur wenig Energie produziert wurde, dann waren depressive Symptome am schlimmsten. Das allein ist schon eine medizinische Sensation, weil es bis anhin sehr schwierig war, Depressionen als ein auch körperliches Leiden zu belegen. Doch welche Rückschlüsse lassen sich für uns persönlich daraus ziehen?

Muss man erst die Diagnose "Depression" erhalten, um an Antriebsschwäche, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen zu leiden? Nein – das kennen wir doch alle. Wenn uns nur die Untersuchungsmethoden der Ulmer Forscher zu Verfügung stünden, dann könnten wir sehen, dass auch bei uns häufig zu wenig Energie in den Mitochondrien produziert wird. Es ist wie bei einem Dimmer, der die Helligkeit unserer Wohnzimmerlampe regelt. Voll aufgedreht ist es hell und wir besitzen verschwenderisch viel Energie wie die Kleinen im Kindergarten. Doch mit einem ganz heruntergedrehten Dimmer sitzen wir bloß herum wie die Alten. Sind wir mit "gedimmtem Licht" aber noch nicht alt genug fürs Heim, dann stellen sich frühzeitig Symptome wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen ein und wir suchen medizinische Behandlung.

Ärzte verschreiben gegen Depressionen in der Regel Medikamente. Diese erhöhen im Gehirn z.B. den Spiegel des Glückshormons Serotonin und wir fühlen uns wie frisch verliebt. Das Hochgefühl hat jedoch einen Preis. Wir stecken die neu gewonnene Lebenskraft nämlich in unseren normalen Alltag, durch dessen Routinen wir aber erst in den Zustand des Energiemangels geraten sind. Gleichzeitig werden die Serotonin-Rezeptoren im Gehirn wegen des dauernd erhöhten Serotoninspiegels abgestumpft. Die Konsequenz: Nach einer gewissen Zeit funktionieren die Medikamente oft nicht mehr wie zu Beginn und unser Energiemangel ist währenddessen meist noch schlimmer geworden.

Weshalb Mitochondrien schwächeln

Die Energiegewinnung in unseren Zellkraftwerken ist kein ungefährliches Geschäft. Dabei werden energetische Elektronen entlang der inneren Mitochondrienmembran in der sogenannten Elektronen-Transport-Kette weitergereicht. Das Ziel ist die Gewinnung von ATP. Wenn jedoch einzelne Elektronen verloren gehen, dann entstehen daraus sogenannte freie Radikale. Sie richten große Schäden an den Strukturen der Mitochondrien an. Zudem geben stark geschädigte Mitochondrien ganze Wolken von freien Radikalen ab. Dies führt im Normalfall zum Abbau der defekten Mitochondrien. Wenn der Prozess der Schädigung jedoch langsam abläuft und der Körper keine hohen Ansprüche an den Energiebedarf stellt, dann leben diese angeschlagenen Mitochondrien weiter und vermehren sich. Häufig sind dann 70 oder 80 Prozent der Mitochondrien einer Zelle so geschwächt, dass sie nicht mehr ausreichend Energie produzieren können. Diese Zellen – egal ob Nervenzelle, Muskelzelle oder Drüsenzelle – werden dann nicht mehr normal funktionieren. Entweder sterben sie ab oder noch schlimmer, sie existieren als sogenannte seneszente Zellen weiter und schwächen somit Organe und Systeme (z.B. die Immunabwehr).

Damit dies möglichst verhindert wird, hat die Natur vorgesorgt. In früheren Zeiten litt der Mensch regelmäßig unter Hunger, Kälte und körperlicher Erschöpfung. Diese physischen Stresssituationen lösen immer wieder eine Überprüfung der Zellkraftwerke aus und führen dazu, dass schwache Mitochondrien durch neue und leistungsfähige ersetzt werden. Doch unsere ganze Zivilisation ist darauf ausgerichtet, Hunger, Erschöpfung und Frieren zu vermeiden. Damit verhindern wir allerdings auch, dass sich die Mitochondrien ständig erneuern. Wie kann man heute diese eingebauten Programme zur Verjüngung unserer Zellkraftwerke nutzen, ohne auf die zivilisatorischen Errungenschaften zu verzichten?

Fitte Mitochondrien, aber wie?

Wenn Sie die Anzahl Ihrer Mitochondrien erhöhen möchten, müssen Sie einen Reiz bereitstellen, um Ihrem Körper einen Grund zu geben, mehr leistungsfähige Mitochondrien herzustellen. Der wichtigste Reiz zur Bildung neuer und besserer Mitochondrien heißt PGC1alpha. Hinter dieser kryptischen Bezeichnung verbirgt sich ein Vorgang im Körper, den wir uns jedes Mal unbewusst zu Nutze machen, wenn wir Sport treiben. Dann nämlich entsteht im Gewebe Laktat, z.B. in der Muskulatur. Sobald der Laktatspiegel ansteigt, wird ein Faktor freigesetzt, der die enzymatische Umwandlung von Laktat in den Mitochondrien-Treibstoff Pyruvat ankurbelt. Dieser Faktor regt zudem die Aktivität und Neubildung von Mitochondrien an. Deshalb wäre "Mitochondrien-Aktivator" ein weit besserer Name für diesen Stoff als das unverständliche PCG1alpha.

Die Anregung der Mitochondrien führt zu vermehrter ATP-Produktion und damit steht mehr Energie z.B. für die Muskelarbeit zur Verfügung. Die Anzahl der vorhandenen Mitochondrien wird durch regelmäßige Anschwemmung von Laktat und der damit verbundenen Anregung von PCG1alpha bis zu verdoppelt! Damit ist dieser Mechanismus einer der wichtigsten Anpassungsprozesse unseres Körpers.4 Mehr dazu im Kasten "Der Laktat-Shuttle" (siehe Artikelende).

Dieser "Mitochondrien-Aktivator" hat indes noch andere Wirkungen auf unseren Körper. So senkt PCG1alpha Entzündungen, regelt den Schlaf-wach-Rhythmus, baut freie Radikale ab, kurbelt die Verwertung unserer Fettdepots an und verbessert den Zuckerstoffwechsel. Dieser Stoff ist also für so viele positive Effekte verantwortlich, dass man ihn getrost einen Verjüngungs- und Regenerationsfaktor nennen könnte.

Mit Kälte und Hunger nicht übertreiben

Andere Reize, welche PCG1alpha anregen, sind die bereits erwähnten Kälte und Hunger. Doch wie bei so vielen Dingen ist auch hier mehr nicht gleich besser. Je älter wir werden, desto leichter frieren wir. Der Grund ist die verringerte Energieproduktion in unseren Zellkraftwerken. Diese Wärmeproduktion in den Mitochondrien ist aber eine Fähigkeit, die nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung steht. Mitochondrien haben ihre eigene DNA und zeigen im Gegensatz zum Erbgut unserer Zellkerne eine regionale Variabilität, die sich darauf auswirkt, wofür die über die Nahrung aufgenommene Energie eingesetzt wird.5 Diese regionalen Variationen in den Genen der Mitochondrien erlaubten den Menschen, sich an verschiedene Umweltfaktoren wie große Höhenlagen und Kälte anzupassen. Je nach Anpassung wird so die Energie aus der Nahrung mehr für die Herstellung von ATP oder die Wärmeproduktion verwendet.

Die Fähigkeit zur Wärmeproduktion entstand durch das Auswandern einzelner Menschengruppen aus der Urheimat Afrika in kältere Zonen. Wissenschaftler nennen die Fähigkeit „Entkoppelung" und wir Europäer haben alle einen gewissen Grad dieser Anpassung von unseren (weiblichen) Vorfahren erhalten.6 Afrikaner aus den subäquatorialen Zonen („Schwarzafrikaner") haben diese Anpassung nicht. Sie stellen aus der Nahrung nur ATP her und frieren bei uns deswegen auch im Sommer. Dafür schlagen sie uns Europäer in Sportarten, bei denen die volle ATP-Ausbeute benötigt wird und eine Wärmeproduktion auf Dauer stört (z.B. Marathonlauf bei warmen Temperaturen).

Für Europäer ist es andererseits besonders wichtig, die Mitochondrien durch Kältereize zu aktivieren. Dabei sollten wir uns allerdings nicht unterkühlen! Es ist genug, morgens nach der eigentlichen Dusche kalt nachzuduschen. Dabei kann man erst mit lauwarmem Wasser Arme und Beine duschen und langsam die Temperatur senken und die Körperoberfläche erhöhen.

Ähnlich ist es mit dem Hunger. Lange Phasen von Unterernährung und Hunger schaden dem Körper und zehren uns aus. Eine Fastenwoche wirkt andererseits oft Wunder. So werden schwache Mitochondrien abgebaut und die vitalen Mitochondrien vermehren sich! Alternativ können Sie aber auch beginnen, das nächtliche Fasten zu verlängern. Das Weglassen von Frühstück oder besser Abendessen ergibt eine 16-stündige „Fastenzeit", welche sich bereits positiv auf die Energieproduktion in den Zellen auswirkt.

Warum wir altern

In den letzten zehn Jahren haben wir eine Flut neuer Erkenntnisse über die Rolle der Mitochondrien bei der Entstehung verschiedenster chronischer Erkrankungen und auch als Ursache des Alterungsprozesses im Allgemeinen erhalten.7 Leiden, die auf eine Störung der Mitochondrienfunktion zurückgehen, sind unter anderem: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, Krebs, Diabetes Typ 2, chronische Entzündungen und degenerative Erkrankungen des Nervensystems wie Alzheimer und Parkinson.

Aber auch alle „Zipperlein", die wir gemeinhin mit fortschreitendem Alter assoziieren, sind in Wahrheit die Folge einer geringeren Aktivität unserer Zellkraftwerke. Dazu gehören hartnäckiges Übergewicht, Osteoporose, Immunschwäche, Hormonmangel, trockene Haut und dünne Haare, Kälteempfindlichkeit, Konzentrationsstörungen, Lustlosigkeit, Gelenkschmerzen und -Entzündungen, erhöhte Cholesterin- und Blutdruckwerte, Sehschwäche, Muskelverhärtungen, das Nachlassen von Gedächtnis und Merkfähigkeit, allgemeine Schwäche und Müdigkeit.

Wir sehen: Die Mitochondrien sind der eigentliche Jungbrunnen in unseren Zellen. Und weil die Eizelle als Keim eines neuen Menschen das höchste Potenzial an Lebenskraft benötigt, enthält jedes Ei im Eierstock der Frau die unvorstellbare Zahl von 300'000 Mitochondrien pro Zelle! Das ist hundert Mal mehr als bei einer Gehirnzelle, die immerhin noch auf 3'000 Mitochondrien kommt, denn wie alle Nervenzellen verbrauchen auch die Neuronen besonders viel Energie. (So laufen bereits erste Untersuchungen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Hyperaktivität und ADHS letztlich ebenfalls nichts anderes als ein Energiemangel im Gehirn sind, weil die Mitochondrien nicht mehr optimal funktionieren.) Eine Herzmuskelzelle benötigt 2'000 Zellkraftwerke, während normale Muskelzellen je nach Art zwischen 100 und 1'000 Mitochondrien aufweisen.

Superfood Laktat

Ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie haben Laktat zum Fressen gern, weil es die Kraftnahrung der Mitochondrien ist, wie in diesem Artikel dargelegt. Ist Laktat in den Zellen vorhanden, werden über 600 Gene angeschaltet! Kein Wunder also, dass nicht nur Nervenzellen Laktat „futtern", sondern auch die Milchsäurebakterien im Darm – dem anderen Gehirn des Körpers8 – aus Pflanzenfasern Natrium- und Magnesiumlaktat produzieren. Auch deshalb ist eine gesunde Darmflora so wichtig.

Zusammenfassend rate ich Ihnen also zu fünf einfachen Schritten, um die Kraftwerke in Ihren Zellen wieder auf Trab zu bringen:

  1. Meiden Sie Brot, Mehlprodukte und raffinierten Zucker (Ihre Darmbakterien danken es Ihnen – mehr dazu im Artikel PQQ: Gesund älter werden dank "Sternenstaub").
  2. Ersetzen Sie gelegentlich das Abendessen durch eine klare Brühe oder lassen es ganz ausfallen (Minifasten).
  3. Duschen Sie jeden Tag kalt nach (langsam auf 5 Minuten steigern).9
  4. Bewegen Sie sich möglichst viel (mindestens 30 Minuten spazieren gehen).
  5. Trinken Sie „Sport aus der Flasche“ und versorgen Sie damit Ihre Zellen mit zusätzlichem Laktat.

Sie haben richtig gelesen: Ein Sportmuffel wie ich kann zwar nicht die gleiche Fitness erlangen wie jemand, der tatsächlich Sport treibt – aber man kann zumindest den so wichtigen Gesundheitseffekt, den Sport auslöst, auf die Mitochondrien nachahmen: Den Körperzellen ist es nämlich vollkommen wurscht, ob sie das Laktat durch sportliche Betätigung selbst produzieren müssen – gleichsam im Schweiß ihres Angesichts – oder ob wir Laktat von außen zuführen, indem wir es beispielsweise trinken. Sobald die Zellen Laktat wahrnehmen, beginnen die in diesem Artikel beschriebenen biochemischen Prozesse abzulaufen, welche letztlich zu einer Stärkung der Mitochondrien führen.

Deshalb habe ich basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Sport aus der Flasche entwickelt, um all jenen eine Möglichkeit zur Regeneration ihrer Zellkraftwerke zu geben, die nicht Sport treiben können oder wollen. Professor George Brooks, der Entdecker des sogenannten Laktat-Shuttles, betont, man könne die Masse der Mitochondrien verdoppeln, wenn unsere Zellen häufig genug mit Laktat in Berührung kommen. Die Erfahrungsberichte vieler Leute, die bereits „Sport aus der Flasche“ trinken, scheinen den Forscher zu bestätigen.

 

Der Laktat-Shuttle

Muskel ist nicht gleich Muskel. Wir haben nämlich zwei verschiedene Typen von Muskelfasern. Früher unterschied man in weiße „schnelle“ und rote „langsame“ Muskelfasern. Heute spricht man hingegen von „glykolytischen“ und „oxidativen“ Muskelfasern. Das verweist auf ihre unterschiedliche Art der Energiegewinnung.

Die schnellen weißen, glykolytischen Muskelfasern besitzen vermehrt Enzyme, welche die Glykolyse, also den Abbau von Zucker zu Laktat, ermöglichen. Dieser Prozess benötigt keinen Sauerstoff und zeichnet sich durch eine große Robustheit und Geschwindigkeit aus. Der Brennstoff für die schnellen Muskelfasern ist der in der Muskulatur vorhandene „Speicherzucker“ (das Glycogen). Weil die Verwendung von Zucker oder Kohlehydraten aus der Nahrung nicht direkt möglich ist, baut unser Verdauungssystem die verzehrten Kohlehydrate (Nudeln, Kartoffeln, Brot, etc.) erst zu Glukose ab. Die Glukose wird dann über das Blut zu den Zellen transportiert und dort mithilfe des Hormons Insulin aufgenommen.10

Aus Glukose stellen die schnellen weißen Muskelfasern Laktat her (das Salz der Milchsäure) und nicht, wie bisher gedacht, die Milchsäure selbst. Die Laktat-Produktion läuft bereits ab, wenn wir ruhen. Unter körperlicher Belastung nimmt sie jedoch enorm zu. Über die Glykolyse produzieren wir pro Molekül Glukose gerade mal zwei ATP-Moleküle. Dieser Prozess läuft jedoch mit großer Geschwindigkeit ab. Das Laktat als Endprodukt dieser Glykolyse wird von den schnellen Muskelzellen in benachbarte langsame rote Muskelzellen transportiert. Diese oxidativen Muskelzellen sind darauf spezialisiert, dieses Laktat über die Energiegewinnung in den Mitochondrien ebenfalls in den Energieträger ATP zu verwandeln. Dieser Prozess läuft langsamer ab und benötigt zudem Sauerstoff (deshalb nennt man ihn „oxidativ“).

Man könnte also sagen, dass wir eigentlich nur für unsere Mitochondrien atmen. Deshalb sind Atemübungen so gesund. In der Ulmer Studie konnten die Depressions-Patienten rein an ihrer schlechteren Sauerstoff-Verwertung erkannt werden – je geringer der Sauerstoff-Umsatz, desto größer die Depression. Versorgen wir aber unsere Mitochondrien mit ausreichend Sauerstoff, stellen sie unserem Körper enorme Energiemengen zur Verfügung: Aus einem Molekül Laktat produzieren die Mitochondrien 36 ATP-Energieträger!

Das Interessante ist dabei, dass die schnellen Muskelfasern durch die Produktion von Laktat nicht übersäuern, sondern sich sogar entsäuern! Dies geschieht so: Wenn wir beispielsweise schnell laufen oder schwer heben, bildet sich in den weißen Muskelfasern vermehrt Laktat aus der vorhandenen Glukose. Bei dieser enzymatischen Aufspaltung entsteht aber kein Säure-Ion. Durch die Arbeit, die in den schnellen weißen Muskelfasern geleistet werden muss, werden jede Menge Energieträger (ATP) verbraucht. Dabei entstehen ADP, Phosphat und ein Säure-Ion (H+).11

Die schnellen Muskelfasern besitzen jede Menge Türen, welche das Laktat nur hinaustransportieren (MCT4-Transporter). Beim Hinaustransport nimmt nun jedes Laktat-Molekül ein Säure-Ion mit. So wird eine Übersäuerung der schnellen Muskelfasern verhindert und wir bleiben länger leistungsfähig. Erst wenn die ATP Produktion nicht mehr mitkommt, ermüdet der Muskel.

Die langsamen roten Muskelfasern haben sehr viele Mitochondrien und viele Türen, die das Laktat nur hereinlassen (MCT1-Transporter). Deshalb wird in den roten Muskelfasern aus Laktat sehr viel ATP produziert, welches dann auch wieder in die schnellen Muskelfasern zurückgelangt. Je mehr Sport wir treiben oder je öfter unsere Muskelzellen mit Laktat in Kontakt kommen, desto mehr Mitochondrien entstehen in den langsamen Muskelfasern und desto mehr Türen für das Laktat werden gebildet. Professor George Brooks, der diesen „Laktat-Shuttle“ vor einigen Jahren entdeckt hatte, sagt: „Auf diese Weise kann sich die Mitochondrienmasse verdoppeln und die Zahl der MCT1-Transporter verzehnfachen!“12

 

Quellenangaben

Wissenschaftlicher Aufsatz in Englisch, der die Laktatwirkung zusammenfasst:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5192418/