EU kippt Kennzeichnungspflicht für neue Gentechnik
Die EU steht kurz vor einer Einigung bei den Trilog-Verhandlungen über neue Gentechnik-Pflanzen (NGT), welche eine massive Deregulierung vorsieht. Demnach sollen sogenannte NGT-1-Pflanzen, die das Gros der künftigen Züchtungen ausmachen, von der Kennzeichnungspflicht und strengen Sicherheitsanforderungen ausgenommen werden.
NGT steht für Neue Genomtechniken (New Genomic Techniques), zu denen Werkzeuge wie die Genschere CRISPR/Cas zählen. NGT-1-Pflanzen sind jene, die nur wenige und gezielte Genomveränderungen aufweisen. Sie werden von den EU-Entscheidern formal so eingestuft, als wären sie auch durch konventionelle Züchtung entstanden. Diese Äquivalenz-Annahme ist der Kern der Deregulierung. Praktisch bedeutet die Befreiung von der Kennzeichnung: Konsumenten können künftig im Supermarkt nicht mehr erkennen, ob ihr Brot, ihre Pasta oder ihr Gemüse aus dieser Technik hergestellt wurde. Beispiele aus der Forschung sind etwa weizenresistente Getreidesorten oder Tomaten mit verändertem Nährwert. Die NGT-1-Pflanzen sollen somit unbemerkt in die gesamte Lebensmittelkette gelangen.
Die EU ist auf dem Weg zu einem Technologie-Libertarismus.
Wie Testbiotech1 warnt, haben sich die EU-Vertreter darauf geeinigt, fast alle Pflanzen aus Neuer Gentechnik von den bisher geltenden strengen Sicherheitsanforderungen und der Kennzeichnungspflicht auszunehmen. Diese Deregulierung betrifft insbesondere die sogenannten NGT-1-Pflanzen, die als gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen eingestuft werden.
Testbiotech, ein Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, sieht darin eine „Täuschung der Öffentlichkeit“. Die Organisation betont, dass die Entscheidung, NGT-Pflanzen weitgehend von der Regulierung zu befreien, ohne eine wissenschaftlich fundierte Risikobewertung getroffen werde.
„Die EU ist auf dem Weg zu einem Technologie-Libertarismus“, kritisiert Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech. „Wer die Deregulierung dieser Produkte zulässt, gefährdet den Schutz der biologischen Vielfalt und die Wahlfreiheit der Verbraucher.“
Das Institut verweist auf eigene Studien, die fundamentale Unterschiede zwischen Neuer Gentechnik (wie CRISPR/Cas) und herkömmlicher Züchtung belegen. Die fehlende Risikoprüfung von NGT-Pflanzen gefährde nicht nur die Umwelt, sondern schränke auch das Recht der Bürger und Bürgerinnen auf gentechnikfreie Lebensmittel ein, da eine Kennzeichnung entfalle.
Forderung: Schutz der Artenvielfalt und Wahlfreiheit
Testbiotech fordert die EU-Entscheidungsträger dazu auf, die Verhandlungen zu stoppen und die geplanten Deregulierungen zu revidieren. Nur durch einen ausreichenden Schutz der biologischen Vielfalt und der Lebensmittelproduktion könne die Neue Gentechnik einen nachhaltigen Nutzen bringen. Die Organisation verlangt insbesondere:
- Eine verpflichtende, wissenschaftlich fundierte Risikoprüfung für alle NGT-Pflanzen.
- Die Beibehaltung der Kennzeichnungspflicht für NGT-Lebensmittel und -Futtermittel, um die Wahlfreiheit zu gewährleisten.
- Keine Patentierung der neuen Züchtungen, um die Vielfalt der Züchter zu sichern.
Auch wenn die Einigung im Trilog als weitgehend final gilt, ist der politische Prozess formal noch nicht abgeschlossen. Die Befürworter von strengen Sicherheitsstandards appellieren weiterhin an die nationalen Regierungen und die Abgeordneten des EU-Parlaments, die Endabstimmung zu nutzen, um die Deregulierungspläne zu blockieren und sicherzustellen, dass die Wahlfreiheit für Verbraucher und der Schutz der Umwelt Priorität behalten.
Quelle: TestBiotech.org
Diese ZeitenSchrift-Inhalte
könnten Sie auch interessieren
- "Kulturfleisch" aus dem Bioreaktor? – Prost Mahlzeit!
- Die Nahrung von morgen: Fake Food aus Roboterhand?
- „Neue Gentechnik“: Gefährlich und umstritten
- Gentechnik: Ein stiller Killer der Gesundheit
- Mit Gentechnik "sicher" in die Krankheit
- Nahrungsmonopol durch Patente: Der totale Griff nach dem Leben
- Auf den Spuren unserer Lebensmittel
- Die Tücken des Novel Food
- Saat des Todes