Vergiftete Gewässer, rasantes Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten, Zivilisationskrankheiten…Wir haben uns eine Hypothek aufgeladen, die wir wohl bald nicht mehr tragen können. Obwohl Nachhaltigkeit und Recycling in aller Munde sind, kommen wir irgendwie nicht vom Fleck. Ein Konzept, das Hoffnung macht, ist Cradle to Cradle. Es propagiert die Freude am Produzieren, Konsumieren und Entsorgen. Es steht für Schönheit, Überfluss und Leben, dadurch dass wir uns die Natur zum Vorbild nehmen.
Wann „sie“ begonnen hat und wo, lässt sich ziemlich genau sagen: ungefähr Mitte des 18. Jahrhunderts in England. Einmal angestoßen gab es kein Halten mehr, mittlerweile ist sie in beinahe jedem Winkel der Erde angekommen. Wer? – Ach so, darf ich vorstellen: Die Industrielle Revolution. Der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Der Beginn von Take – Make – Waste („Nimm – mach – verschwende“). Der Fortschritt, der breiten Gesellschaftsschichten zu relativem Wohlstand verholfen hat. Die durch menschlichen Erfindergeist hervorgerufene Bewegung, die dafür gesorgt hat, dass Sie am Morgen nicht mit dem Ochsengespann zur Arbeit fahren, sondern mit dem Auto. Der Industriellen Revolution verdanken wir beinahe alles, was uns das tägliche Leben an Annehmlichkeiten zu bieten hat: Eisenbahn und Elektrizität, Supermarkt und Shopping Mall, Urlaub per Flugzeug (Urlaub überhaupt!) und vieles, vieles, vieles mehr.
Begeistert davon, dass der Mensch in der Lage sein sollte, die Natur zu bezwingen, beflügelt vom Wunsch nach mehr – höher, weiter, schneller –, hat man sich keine Gedanken gemacht über die Folgen. Und dann, so etwa nach hundert Jahren haben wir plötzlich festgestellt, dass die süße Pille auch Nebenwirkungen hat. Seveso, Tschernobyl, Schweizerhalle, Exxon Valdez – diese Umweltkatastrophen haben die Menschen aufgerüttelt. Hinzu kommen nun auch noch das Ozonloch, die Klimaerwärmung, Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren usw. – sieht ganz so aus, als schlage die „bezwungene“ Natur zurück.
Da beschleicht uns doch langsam das schlechte Gewissen, also recyceln wir Kaffeerahmdeckel und PET-Flaschen, führen unsere sorgsam gebündelten Zeitungen der Papiersammlung zu und die Ferienreise nach Thailand wird schon beim Buchen CO2-kompensiert. Ganz Unbelehrbare machen sich derweil Gedanken darüber, wie sie am besten auf den Mars umziehen könnten, nachdem sie die Erde „genommen, verbraucht und weggeworfen“ haben…
Dass unser primär auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtetes Industriesystem viel Schaden anrichtet, hat man aber sehr schnell gemerkt. Europäische Städte waren im 19. Jahrhundert zum Teil so dreckig, dass die Leute am Abend die Kragen von Hemden und Manschetten wechseln mussten – eine Situation, die sich nun an Orten wie Peking oder Manila wiederholt. Also hat man versucht, die Industrie weniger schädlich zu machen. Und daran arbeiten wir immer noch. Heutzutage nennt sich das Öko-Effizienz. Unser viel zu großer ökologischer Fußabdruck soll auf Größe „Null“ schrumpfen. Öko-Effizienz bedeutet, mehr mit weniger zu erreichen. Der Weg dorthin führt über die berühmten drei V’s: Vermindern, (wieder-)Verwenden, Verwerten (im Englischen die drei R’s: reduce, reuse, recycle). Doch was bedeutet das? Und ist es wirklich eine (gute) Lösung?
Beginnen wir mit dem Grundsatz „Vermindern“. Vermindert werden sollen beispielsweise Emissionen, Abfälle oder auch die Menge an benötigten Rohstoffen. Das ist an sich zweifellos erstrebenswert. Bloß: Durch Verminderung werden weder der Raubbau an Rohstoffen noch die Zerstörung der Umwelt gestoppt – diese Prozesse werden einzig verlangsamt.
Beim (Wieder-)Verwenden geht es vor allem darum, die Abfallberge schrumpfen zu lassen, also sucht man nach Möglichkeiten zur Wiederverwertung. Damit wird das Problem jedoch meist nur an einen anderen Ort verlagert. Wenn zum Beispiel Klärschlamm als Kunstdünger verwendet wird, gelangen die eventuell darin enthaltenen Giftstoffe aufs Feld und in die Nahrungskette. Dasselbe kann passieren, wenn sogenannt biologische Abfälle kompostiert werden. Wenn Materialien nicht ausdrücklich so konzipiert wurden, dass sie gefahrlos zur Nahrung für die Natur werden können, dann sind solche Verfahren nicht sicher.
Und was ist mit dem Recyceln? Daran sind wir unterdessen schon so gewöhnt, dass es doch etwas Gutes sein muss, oder? Nun, die Wenigsten sind sich bewusst, dass es sich beim Recycling in der Regel um ein Downcycling handelt, eine Verminderung der Qualität des Materials. Zum Beispiel wird der für den Autobau verwendete hochwertige Stahl recycelt, indem man ihn zusammen mit anderen Autoteilen sowie dem Kupfer der Autokabel und mitsamt den Farb- und Kunststoffbeschichtungen einschmilzt. Dieses „Zusammenmischen“ der verschiedenen Substanzen ergibt dann einen minderwertigen Stahl, der für den Autobau nicht mehr geeignet ist. Oder recyceltes Papier: Damit es wiederverwendet werden kann, muss es intensiv gebleicht und anderen chemischen Prozessen unterzogen werden. Und mit jeder Recyclingrunde verschlechtert sich die Papierqualität, da die Fasern immer kürzer werden und das Papier immer härter.
Wir gehen davon aus, dass ein recyceltes Produkt selbstverständlich umweltfreundlich ist. Doch dem ist nicht so. Recycelte Produkte können unter Umständen sogar schädlicher als neu hergestellte Waren sein. Recycelter Kunststoff enthält vielleicht mehr Zusatzstoffe als Neukunststoff, weil der Kunststoff beim Recyceln – das eben ein Downcyceln ist – seine Materialeigenschaften ändert, weniger elastisch oder reißfest wird. Um diese Qualitätsverluste auszugleichen, werden deshalb mehr Chemikalien hinzugefügt. Oder Teppiche und Kleider, die aus den Fasern von Plastikabfällen hergestellt wurden: In der Meinung, etwas Positives für die Umwelt zu tun, erwerben wir ein solches Produkt, doch diese Fasern enthalten Toxine wie Antimon, UV-Stabilisatoren, Weichmacher etc. – Stoffe, die nie dafür vorgesehen waren, mit der Haut in Kontakt zu kommen. Und der Teppich gast diese Chemikalien möglicherweise in Ihr Wohnzimmer aus und erhöht so die Schadstoffbelastung in Ihren eigenen vier Wänden.
Damit die Industrie weniger Schaden anrichtet, werden außerdem ständig neue Vorschriften erlassen und Grenzwerte festgelegt. Auch dies in der zweifellos guten Absicht, Mensch und Umwelt zu schützen. Und kurzfristig können damit sicher auch schädliche Wirkungen reduziert werden. Genau betrachtet sind Regulationsmaßnahmen aber eine Art Freipass für die Industrie. Denn im Grunde genommen erteilt ihr die Politik die Erlaubnis, Erkrankung, Zerstörung oder Tod in „akzeptablem Ausmaß“ zu verursachen. Insofern ist es auch nicht erstaunlich, dass sich Industrievertreter und Umweltschützer nur selten einig werden. Die Umweltschützer verlangen den Fußabdruck „Null“, die Industrie argumentiert, dass Wohlstand ohne ständiges Wachstum nicht möglich sei. Eine festgefahrene Situation.
Der fatale Nachteil der Öko-Effizienz ist, dass sich ihre Maßnahmen immer noch in demselben schädlichen Produktionsprinzip, nämlich „von der Wiege zur Bahre“ bewegen. Der recycelte Teppich und das „Umweltschutzpapier“ drehen bloß eine Ehrenrunde in Ihrem Zuhause oder Büro, doch landen auch sie schließlich auf dem Müll. Das Problem ist, dass diese Produkte, als sie entworfen wurden, nicht dafür vorgesehen waren, jemals wiederverwertet zu werden. Das Recycling ist bloß ein nachgeschobener Gedanke, um etwas Schlechtes weniger schlecht zu machen. (Und vielleicht auch, um nochmals etwas Profit herauszuschlagen…) Doch ein „weniger schlechtes“ Produktionssystem bleibt trotzdem „schlecht“ und wird auch durch öko-effiziente Maßnahmen nicht plötzlich „gut“. Solche Lösungen bewirken bestenfalls quantitative Veränderungen, aber keine qualitativen. Das bedeutet, wir fahren zwar mit angezogener Handbremse auf die Klippe zu, aber die Richtung haben wir nicht geändert, letztendlich ist da immer noch die Klippe.
Die Öko-Effizienz hat einen moralinsauren Beigeschmack, weil sie auf einem Verständnis von Schuld basiert. Die Menschen sind schuld am schlechten Zustand des Planeten (das ist in der Tat auch nicht von der Hand zu weisen), also hilft nur zu reduzieren – eben: der Fußabdruck Größe Null. Wir „sparen“ Wasser und Energie, wir verringern unseren Abfall, wir vermeiden dies und minimieren jenes. Manche finden, es gäbe sowieso viel zu viele von uns Menschen (Stichwort „Überbevölkerung“), also reduzieren wir uns auch gleich noch selbst, um der Erde nicht noch mehr zur Last zu fallen. Doch dies kommt eigentlich einer Kapitulation gleich. Wer versucht, weniger schlecht zu sein, akzeptiert die Dinge, wie sie sind, und traut dem Menschen nicht zu, etwas anderes als zerstörerische Systeme zu kreieren. – Doch wir sind Schöpfer, geschaffen nach Gottes Ebenbild. Wie sollten wir da nicht in der Lage sein, Gutes hervorzubringen?
„Was wäre geschehen, fragen wir uns manchmal, wenn die industrielle Revolution in Gesellschaften stattgefunden hätte, in denen die Gemeinschaft höher geschätzt wird als das Individuum und in denen die Menschen nicht an einen Lebenszyklus von der Wiege bis zur Bahre glauben würden, sondern an Reinkarnation?“ – Die sich das fragen heißen Michael Braungart, Chemiker und Professor für Chemische Verfahrenstechnik und Stoffstrommanagement, und William McDonough, Professor für Architektur. Ihr Menschenbild ist ein positives; sie glauben daran, dass wir mehr erschaffen können als nur Mittelmaß und Zerstörung. Sie betrachten Schuld als schlechten Ratgeber, denn aus Schuld entsteht keine Kreativität. Sie wünschen sich, dass wir wieder „Eingeborene“ auf diesem Planeten werden, statt zu versuchen, uns möglichst unsichtbar zu machen. Damit liegen sie sehr richtig, denn die Erde wurde für uns erschaffen als unser Lebensraum und Schulzimmer. Geht es nach Braungart und McDonough sollten die Menschen gar bestrebt sein, einen möglichst großen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, einen an dem sich alle Lebewesen erfreuen können. Ihre Vision ist nicht eine der Grenzen, des Minimierens und Verkleinerns; sie sehen eine Welt der vielfältigen Möglichkeiten, eine Welt des Überflusses und der Erneuerung.
„Wenn ein System zerstörerisch ist, sollte man nicht den Versuch machen, es effizienter zu gestalten. Stattdessen sollte man Möglichkeiten finden, es vollständig umzukrempeln, sodass es effektiv wird.“ Öko-Effektivität statt Öko-Effizienz. Statt zu probieren, die Dinge richtig zu machen, wie es die Öko-Effizienz empfiehlt, geht es bei der Öko-Effektivität darum, die richtigen Dinge zu machen. Dabei reichen kleine Kurskorrekturen nicht aus. Der Wagen, der auf die Klippe zurast, muss ganz gewendet werden. Es ist Zeit für eine nächste Industrielle Revolution.
Die nächste industrielle Revolution ist keine „Müesli- und Gesundheitslatschen-Revolution“. Wachstum ist ausdrücklich erwünscht, ebenso Fülle, Überfluss und intelligente Verschwendung. „Der Schlüssel liegt darin, nicht die Betriebe und Systeme kleiner zu machen, wie die Fürsprecher der Effizienz es fordern, sondern sie so zu planen und zu entwickeln, dass sie sich in einer Weise vergrößern und verbessern, die dem Rest der Welt wieder neue Stoffe und Vorräte liefert und sie nährt. Die „richtigen Dinge“, die Produzenten tun müssen, sind jene, die für diese Generation der Bewohner des Planeten wie für zukünftige zu gutem Wachstum führen – zu mehr Nischen, Gesundheit, Nahrung, Vielfalt, Intelligenz und Überfluss.“
Sie können sich nicht vorstellen, wie das gehen soll? Nun, eigentlich ist das Prinzip so alt wie die Erde selbst, denn es ist das Prinzip der Natur. Die Natur ist nicht effizient. Drei Osterglocken pro Garten, fünf Vogelarten pro Kontinent – eine deprimierende Vorstellung. Ein Obstbaum bringt nicht „ausreichend“ Blüten hervor, sondern eine verschwenderische Fülle davon. Dennoch verschwendet die Natur nichts. Wenn nämlich die Blüten herabfallen, werden sie zu Nahrung für die Bodenlebewesen und diese wiederum nähren den Baum. Die Natur arbeitet nicht „von der Wiege zur Bahre“, sondern „von der Wiege zur Wiege“ – Cradle to Cradle (C2C). Braungart und McDonough schlagen vor, dass wir uns am hoch effektiven Wiege-zu-Wiege-System der Natur orientieren, das seit Jahrmillionen unseren Planeten in herrlicher Vielfalt und Schönheit gedeihen lässt. Die Menschen sollen die Natur mit ihren Nährstoffströmen und Metabolismen imitieren, mehr noch, sie sollen mit der Natur eine echte Partnerschaft eingehen. Die Natur produziert keinen Abfall, vielmehr ist der „Abfall“ des einen Geschöpfs wieder Nahrung für ein anderes. Natürliche Systeme entnehmen ihrer Umwelt zwar etwas, aber sie geben auch etwas zurück. Rohstoffe werden nicht verbraucht, sondern genutzt – und damit stehen sie wieder anderen Lebewesen zur Verfügung.
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