Leo, der „verrückte Löwe“, ist seit vielen Jahren ZeitenSchrift-Leser. Als wir zufällig übers Telefon in ein Gespräch kamen, erkannten wir schnell: Wenn mehr ältere Menschen tun würden, was Leo auf seine einfache Art macht, dann könnte unsere Gesellschaft eine glücklichere sein. Über die Natur und das Gärtnern bringt er alte Menschen und Kinder zusammen und lehrt junge Menschen, worauf es im Leben wirklich ankommt: die Liebe fließen zu lassen.
Ohne das Kind, das ihm hilft, sich ständig zu erneuern, würde der Mensch degenerieren.
Maria Montessori
„Leo el Loco“ wird von seinen Gartenkindern so geliebt, daß sie ihm farbige Mützen stricken. Die dazu passenden gestrickten Ringelsocken erhält er von dankbaren Omis.
Auf einer vormals leeren Seite stehen vier Zitate, die Leo einst mit schnörkeliger Handschrift aufgeschrieben hatte. Eines liegt ihm besonders am Herzen: „Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will.“ Das schrieb der französische Renaissance-Dichter François Rabelais vor bald 500 Jahren. Feuer. Es läßt Kinderherzen wie kaum etwas anderes höher schlagen. „Sie lieben es, wenn wir Figurenbrennen machen“, schmunzelt Leo und zeigt mir das Foto eines alten, vor Hitze mehrfach gerissenen Kamins, der in seinem Garten steht. „Oder wir verbrennen verschiedene Holzarten. Ich sammle am Strand Treibholz ein und trockne es. Da sind viele Mineralien vom Meer drin. Wenn du es verbrennst, gibt das ein ganz anderes Licht. Das Holz brennt plötzlich grün und blau, nicht bloß rot und gelb.“ Einen ähnlichen Effekt erleben die Kinder auch beim Obstholz, das zudem noch wunderbar duftet. Und wenn das Feuer nach Äpfeln riecht, gibt es nichts Schöneres, als im flackernden Schein der Flammen in einen frischen Apfel zu beißen, während Leo seine Geschichten erzählt. Gutmütiger Märchenonkel, Gartenschrat oder Heinzelmännchen? Mit seinem weißen Rauschebart und den farbigen Wollmützen würde Leo in jede Rolle perfekt passen.
Wann immer möglich, ist Leo von Kindern umgeben. Sie scheinen ihn zu finden, wie Bienen den Nektar. Und sie vertrauen ihm, weil sie spüren, der ist nicht wie die anderen Erwachsenen. Wer verschenkt denn schon an fremde Leute Meisenknödel – und das mitten im Sommer? Jedenfalls nehme ich die fettigen Riesenknödel gerne entgegen und wir hängen sie sogleich in die Bäume unseres Gartens, „weil doch die Vögel gar nicht mehr das Futter zur Aufzucht der Jungen finden, das sie eigentlich brauchen“. Von der Vogelaufzucht versteht Leo viel, brüten doch Scharen von Singvögeln in seinem Garten.
Leo hat sich eine wunderbare Seelenqualität bewahren können: die kindliche Freude an den einfachen Dingen des Lebens. Ob es der Gesang der Vögel am frühen Morgen ist, die Farbenpracht der Blumen, eine Schnecke, die langsam ihres Weges kriecht oder auch nur der flüchtige Duft eines sommerlichen Windhauchs – er nimmt die Schöpfung um ihn herum mit einer Intensität wahr, welche den meisten Menschen abhanden gekommen ist.
Ein offenes Herz nimmt indes auch das Leiden anderer besser wahr. So besuchte Leo 1979 zum ersten Mal die Armenviertel von Mexico City. Eigentlich wollte er Carlos Castaneda, den großen Schriftsteller, suchen, der sich angeblich in die Slums zurückgezogen hatte. Es sollte eine erschütternde Erfahrung werden. „Ich habe dort alles weggegeben, mein Geld, meine Uhr, meine Schuhe, mein Hemd. Mir blieben allein mein Unterhemd und die Hose, und gerade mal soviel Geld, daß es mit dem Taxi zurück ins Hotel reichte“, erinnert sich Leo. Geweint habe er, geweint um die vier Millionen Menschen in den Slums. „Und dann diese bettelnden Kinderhände, die kein Wasser haben und nichts zu essen. Ich sage dir, da bist du so hilflos, da bist du so fertig“, flüstert er mit brüchiger Stimme.
Generationen verbindend: Laß mich nur machen, Oma! Den krieg’ ich schon durch!
In späteren Jahren besuchte er die Slums noch oft. Nicht wegen Castaneda, sondern um das Elend zu lindern. Wegen diesem viel zitierten Tropfen auf dem heißen Stein. Das war mit ein Grund, den gut bezahlten Job bei einem internationalen Uhrenkonzern anzunehmen. So waren seine drei Kinder materiell versorgt und er konnte auf Geschäftskosten die Welt bereisen und sich nebenbei kulturell bilden, fotografieren und armen Menschen helfen. Auf sogenannten Incentive-Reisen durch Mexiko zeigte er schwerreichen Juwelieren die konzerneigenen Fertigungsstätten, machte ihnen teure Uhren schmackhaft, betreute sie in schicken Luxushotels und sammelte nach getaner Arbeit bei ihnen eifrig Geld, um es dann unter den Armen verteilen zu können.
Obwohl er dem Aussehen nach Heidis Alp-Öhi sein könnte, ist Leo sehr belesen. Shakespeare, Goethe, Konfuzius und Lao Tse; er hat sich mit allen auseinandergesetzt, seiner Schwiegermutter, einer Professorin für Philosophie, sei es gedankt. In Japan, wo der Uhrenkonzern seinen Hauptsitz hat, ließ er sich mit derselben kindlichen Lernfreude in die Kunst des Feng Shui einweihen, wie er sie einst als junger Knecht empfunden hatte, als er von einem alten Schafhirten das Rutengehen und weitere nützliche Dinge erlernte.
Die scheinbare Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und innerer Philosophenhaltung ist in Wahrheit Ausdruck eines weiteren Wesenszugs. Leo ist nämlich trotz seiner vierundsiebzig Jahre erstaunlich verspielt und kreativ; manch einer würde es wohl auch „verschroben“ nennen – Leo el loco, eben.
Das zeigt sich beispielsweise an seiner Wohnsiedlung für Vögel. Obwohl aus Platzmangel durchaus verdichtetes Bauen angesagt war – an die vorm Wetter geschützte Wand seines Hauses passen nun mal nicht mehr als ein gutes Duzend Nistkästen – kann von architektonischer Langeweile keine Rede sein. Jeder ist ein Unikat, von einem Kind gebastelt. Als Rohmaterial dienten ausrangierte Briefkästen, zerbeulte Mülleimer, Bierhumpen und ramponierte Gitarren in allen Größen. „Wir haben sogar richtige Vogelschulen gebastelt, ‚Schulhäuser’ für Singvögel, welche die Kinder mit viel Fantasie bemalen und ausschmücken“, erzählt Leo begeistert.
An die fünfunddreißig Stück dieser skurrilen Vogelresidenzen hängen im ganzen Garten verteilt. Alle sind sie bewohnt. Leos Gartenkinder lernen die verschiedenen Vogelarten unterscheiden, nicht nur ihrem Aussehen nach, sondern auch an ihrem Gesang: Amseln, Singdrosseln, Goldammern, Gartenrotschwänzchen und wie sie alle heißen.
O Sole Bio: Ernten macht Spaß!
Einen Springbrunnen hat Leo nicht in seinem Garten – weil den die Insekten nicht mögen. Dafür aber einen Sprudelstein, wo das Wasser ganz langsam zwischen Kieseln fließt. „Insekten gehen nämlich an kein tiefes Wasser“, erklärt er mir.
Obwohl Insekten weder mit bunten Federn noch mit schönem Gesang aufwarten können, haben Leo und seine Gartenkinder auch einige Insektenhotels gebastelt, die mehrere Millionen dieser Winzlinge beherbergen können. Selbst Wespen sind willkommen.
Leo sorgt dafür, daß sich die Kinder nicht länger vor ihnen fürchten. „Ihr könnt am Kopfschild erkennen, ob das eine angriffige oder eine freundliche Wespe ist, ihr müßt die nicht alle über einen Kamm scheren.“ Nach eingehender Instruktion folgt dann die Mutprobe: „Ich bringe jetzt eine Karre voll Äpfel, die wir im Garten schälen werden. Es wird nicht lange dauern, und die Wespen kommen uns besuchen, vielleicht zehn, vielleicht hundert. Ihr müßt euch nur richtig verhalten: Werdet nicht nervös, schlagt nicht, selbst wenn die Wespen sich auf eure Hand setzen und das ein bißchen kribbelt. Sie wollen nur das Salz von eurer schwitzenden Haut aufnehmen, weil sie dieses Mineral brauchen, um flugtüchtig zu sein.“
Für mich hatte sich Leo eine andere Mutprobe einfallen lassen. Er wollte mir nämlich eines seiner drei Hornissenvölker als Gastgeschenk mit in die Schweiz bringen, damit ich es in meinem Garten ansiedeln könne. „Doch du warst zu feige und hast abgelehnt“, lacht er mich nun aus.
Die Kinder mögen Leo, weil er im Grunde seines Herzens ein unschuldiges, begeisterungsfähiges Kind geblieben ist. Das ist alles andere als selbstverständlich. Denn die Kinder seiner Generation haben Dinge gesehen und erlitten, die niemand durchmachen sollte.
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