Kindertagesstätten: Die Enteignung der Familie

Kinder sind Staatseigentum! Was wie eine sozialistische Parole klingt, hat sich längst in vielen bürgerlichen Politikerköpfen eingenistet. Also baut man Kindertagesstätten, wo die Kleinen statt Bindung Bildung erhalten - ab dem Alter von sechs Monaten! Und dies, obwohl jene Länder, die schon vor Jahrzehnten ihre Kleinstkinder in Krippen steckten, erkannt haben, dass nichts das kleine Kind so kaputt macht wie die Entfremdung von der Mutter.

Mutter und Kleinkinder müssen natürlicherweise so oft wie möglich in engem körperlichen Kontakt sein.

Was brauchen unsere Kleinstkinder? Eine tüchtige Portion Affenliebe! Wie bitte? Tja, daß das Wort „Affenliebe“ bei uns so negativ be set zt ist, offenbart bereits, wie weit wir uns vom allernatürlichsten Umgang mit Babys und Kleinstkindern entfernt haben. „Ein Baby muß man schreien lassen!“ lautet bei uns die gängige Devise. Wer rennt, wenn das Baby quengelt, der erzieht einen kleinen Tyrannen, nach dessen Pfeife er dann zwanzig Jahre lang tanzen darf.

Nichts könnte verkehrter sein. Kleine Babys haben keine andere Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen als durch Lärm. Wollen sie gewickelt, gestillt, gefüttert oder beschmust werden, können sie weder ein SMS senden noch „hast Du ein wenig Zeit für mich?“ gurren.

In einer dreißig Jahre währenden Untersuchung auf den Tobriand Inseln und bei anderen traditionellen Gemeinschaften Melanesiens zeigte sich, daß der richtige Umgang mit Babys in etwa so ist, wie es die Affen machen: Die Kinder soviel wie möglich bei sich haben und herumtragen, ihnen ein Maximum an Körperkontakt schenken, sie lange stillen und sie dabei am normalen täglichen Leben teilhaben lassen. Beeindruckt waren die Forscher vor allem von der Ruhe, Gelassenheit und Kompetenz, mit welcher die Mütter und anderen Betreuenden auf ihre Kinder eingingen.

Da die melanesischen Kinder stets da sind, wo die anderen sind, erhalten sie das reiche Spektrum an unterschiedlichen Stimuli, das sie zu ihrer Entwicklung bedürfen: Berührungs-, Geruchs- Hör- und Sehreize, emotionale, soziale und mentale Anregungen, welche das Zentralnervensystem zu seiner vollen Leistungsfähigkeit benötigt.

All dies ist eigentlich gar nicht so schwierig und von westlichen Müttern, die auf ihre Instinkte hören und nicht gezwungen sind, aus finanziellen Gründen dazu zu verdienen, auch zu erbringen.

Ein Kleinkind braucht seine Mutter, basta. Es lebt in ihrem Energiefeld und ist darauf angewiesen, sich jederzeit an ihren Rockzipfel hängen zu dürfen. Ohne enge Bindung an eine Bezugsperson bricht seine fragile kleine Welt zusammen, und es zieht sich Störungen zu, die seinen Charakter lebenslang schädigen. Zahllose Untersuchungen belegen dies, wie wir noch sehen werden.

Trotzdem tun die westlichen Staaten alles, um das Kind seiner Mutter zu entfremden. Am 9. Februar 2007 gab die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt, bis zum Jahr 2013 eine halbe Million zusätzliche Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren einrichten zu wollen, was die Summe von 3 Milliarden Euro verschlingen wird. Ihr Ziel ist es, die heutige Zahl von 250'000 Krippen-Kleinstkindern zu verdreifachen. Ähnliche Großoffensiven sind auch in einigen anderen europäischen Ländern geplant. „Das Kind ist nicht Besitz seiner Eltern, es hat eine eigenständige Persönlichkeit und Rechte. Im Interesse des Kindes hat der Staat mitunter geeignete Maßnahmen zu treffen mittels Unterstützungs-, Förderungs- oder Therapieanstrengungen, letztlich eventuell mit einer Herausnahme aus der Familie“, schreibt beispielsweise das Schweizerische Bundesamt für Sozialversicherung in seinem Mitteilungsblatt „Soziale Sicherheit“ Ende 2006. „Die Eltern finden sich wieder in der Rolle von Kinderlieferanten“, kritisiert die Schweizer Weltwoche. Der Staat maßt sich an, das Arbeitskräftematerial der Zukunft nach seinem Gusto zu formen. Und damit beginnt man am besten früh. „Der Staat leert das Elternhaus“, bemerkt die Weltwoche. Und dies, obwohl Umfragen immer wieder zeigen, daß die überwiegende Zahl von Frauen (55 % in Deutschland, bei den jungen Müttern sogar 64 %) null Bock hat, ihr Baby oder Kleinkind gegen einen Arbeitsplatz einzutauschen und es in einer Kindertagesstätte zu deponieren.

Vorbild Kommunistisches Manifest

Nicht zufällig waren es die kommunistischen und sozialistischen Länder, die ihre Kinder als erste in Kindertagesstätten verbannten. Gab das Kommunistische Manifest von Karl Marx doch schon 1848 die Marschrichtung vor: „Wir Kommunisten entreißen die Erziehung dem Einfluß der herrschenden Klasse (…), indem wir an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche set zen.“1 Lunacharski, der Kommissar für die Erziehung in der UdSSR, schrieb: „Unsere jetzige Aufgabe ist die Zerstörung der Familie und die Ablösung der Frau von der Erziehung ihrer Kinder. Es wäre allerdings eine Dummheit, wenn man die Kinder mit Gewalt von den Eltern trennen würde. Doch wenn wir in unseren Gemeinschaftshäusern gut vorbereitete Abteilungen für Kinder organisiert haben (…), ergibt sich zweifellos, daß die Eltern ihre Kinder von allein dorthin senden werden, wo sie durch medizinisch und pädagogisch qualifiziertes Personal überwacht sind.“2

Im russischen Satellitenstaat DDR wurden dann prompt 80 Prozent der Kleinkinder meist schon einige Monate nach der Geburt in Krippen verfrachtet. Mit solch verheerenden Folgen, daß die DDR ab 1976 immerhin ein bezahltes Babyjahr einführte, um die körperlichen und vor allem seelischen Schäden von Krippenkindern wie Eß-, Schlaf- und Verhaltensstörungen zu reduzieren!

Auch die ehemalige Tschechoslowakei set zte in den 50er Jahren ganz auf die Krippe. Aus ideologischen Gründen sollten die Frauen von ihren Kindern getrennt und die Erziehung staatlichen Einrichtungen übergeben werden. Was geschah? Die Krippenkinder entwickelten sich massiv langsamer, waren um einiges aggressiver und weniger kooperativ. Zudem stieg die Kindersterblichkeit stark an.3

Aufgrund dieser niederschmetternden Erfahrungen machte auch die (damals noch kommunistische) Tschechoslowakei eine radikale Kehrtwendung: Sie begann die Familien staatlich zu unterstützen, zahlte Erziehungsgeld bei Garantie des Arbeitsplatzes bis zu drei Jahren, förderte Pflegefamilien und verbesserte die Bedingungen bei der Krippenerziehung.

Heute noch ist Tschechien das Land mit dem geringsten Anteil an Krippenkindern unter drei Jahren: Nur ein halbes Prozent werden dort fremdbetreut. In Österreich sind es 10Prozent, Deutschland 14 Prozent, Frankreich 27 Prozent, England 34 Prozent, Norwegen 40 Prozent, Schweden 66 Prozent, USA 54 Prozent. Spitzenreiter ist Dänemark mit 80 Prozent.

Erschütterte Kinderseelen

Was die Melanesier instinktiv richtig machen, ist bei uns Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung. So fanden Wissenschaftler4 heraus, daß sich der Säugling in der „symbiotischen Phase“, die im zweiten Monat beginnt, als von der Mutter nicht abgegrenzte Einheit erlebt. Danach set zt allmählich das sogenannte „psychologische Schlüpfen“ mit der langsamen Lösung aus der Symbiose ein. Mit etwa zwei Jahren wächst das Autonomiestreben des Kleinkindes stark an. Durch seine nun gewonnene Fähigkeit, in Symbolen zu denken, kann das Kind die Mutter während ihrer Abwesenheit eine gewisse Zeit durch ein inneres Bild er set zen in der Gewißheit, daß sie zurückkehren wird. Kleine Kinder sind nämlich noch nicht in der Lage, ein inneres Bild der Mutter lange aufrechterhalten zu können. Sogar ein einjähriges Kind erkennt – je nach vorheriger Qualität der Beziehung – seine Mutter mitunter schon nach wenigen Tagen der Trennung nicht mehr. „Solch ein früher Objektverlust hinterläßt eine erschütterte seelische Struktur, die sich nur mit größter Anstrengung innerhalb einer heilsamen Beziehung erholen kann“, analysiert die Hamburger Psychologin Ann-Kathrin Scheer.

Das Kleinkind lebt, atmet und wächst im Energiefeld der Mutter. Karin Grossmann, Bindungstheoretikerin, stellt dar, daß eine Kopplung von elterlichen und kindlichen physiologischen Reaktionen besteht. Im Körperkontakt atmen Mutter und Säugling gemeinsam, sie produzieren aufeinander abgestimmte Wärme und Bewegung im Schlaf, es gibt gemeinsame Tiefphasen des Schlafs. Der Körperkontakt stimuliert im Gehirn das körpereigene Opiat Endorphin, das im Zusammenhang steht mit der Ausschüttung des Wachstumshormons Somatotropin. Die Forscherin vermutet, daß solches zwischen Krippen-Erzieherin und Kind nicht stattfindet – und daß möglicherweise dem Kind bei täglich langem Krippenaufenthalt wichtige Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten werden.5

Rene Spitz hatte schon 1965 untersucht, was mit Kindern geschieht, die in ihren ersten Lebensjahren in einem Säuglingsheim oder Findelhaus zuwenig oder gar keine liebevolle Zuwendung bekommen. Die Kinder wurden im ersten Lebensjahr von ihren Müttern getrennt und bekamen zwar genügend Nahrung, nicht jedoch genügend Zuwendung vom chronisch überlasteten Personal. Sie entwickelten zunehmend körperliche und psychische Symptome. Bei Trennungen, die mehrere Monate überschritten, kam es zu einem fortschreitenden Zerfall des Kindes, der sogar zum Tode führen konnte.

Auch später ein set zende und kürzere Trennungen blieben keineswegs folgenlos. J. Bowlby6fand bei Forschungsarbeiten für die Tavistock-Gruppe 1961 heraus, daß auch noch Kinder im Alter von 15 bis 30 Monaten, die aufgrund von Krankenhaus- oder Heimaufenthalten von der Mutter getrennt waren, durchgängig „mit Schock und Angst reagierten, ausgenommen diejenigen, die bereits unter einem beträchtlichen Mangel an mütterlicher Fürsorge litten oder sehr krank waren.“

Er stellte fest, daß die Kinder mit drei Arten von Verhaltensweisen reagierten: Zuerst mit Protest, dann mit Verzweiflung, die sich schließlich in Gleichgültigkeit verlor.

Nicht einmal Rattenkinder stecken es einfach so weg, wenn ihnen die Mutter entrissen wird. Forscher fanden heraus, daß nur jene Rattenkinder gut gediehen, die nach der erzwungenen Trennung von der Mutter von ihr intensiv geputzt und abgeleckt wurden, was offensichtlich ihren Trennungsstreß milderte und heilte und – nicht zuletzt über den Geruch – die Bindung zur Mutter wiederherstellte. Blieb diese wiedergutmachende Fürsorge aus, erlitt das Rattenkind durch den Trennungsstreß Gedeihstörungen bis hin zu hirnphysiologischen Veränderungen, die das Tier lebenslang und irreversibel besonders streßanfällig bleiben ließen.

Wie Liebe das Gehirn beeinflußt

Mangelnde Liebe beeinträchtigt nicht nur die emotionale Reifung des Kindes, sondern auch dessen Gehirnstruktur. Als Wissenschaftler rumänische Waisenkinder studierten, fanden sie ein „schwarzes Loch“, wo normalerweise der orbitofrontale Kortex sein sollte. Das ist jener Teil des Gehirns, der verantwortlich ist für die Entwicklung von Empathie und die Verarbeitung von Emotionen, für die Erfahrung von Schönheit und Genuß sowie die Fähigkeit, klug mit anderen umzugehen.

Doch wie kann Liebe, bzw. ihr Fehlen, die Gehirnstruktur beeinflussen? Aktuelle neurowissenschaftliche und biochemische Studien bewiesen unter Einsatz von Gehirnscans, daß das Nervensystem nicht nur auf emotionale Stimuli reagiert, sondern sich dabei auch ausformt. Das Babygehirn ist noch ziemlich unstrukturiert und benötigt Stimulation zur Entwicklung – und zwar nicht nur kognitive Anregungen in Form von Spielen, Farben oder Musik, sondern auch liebevolle Begegnungen, freundliches Lächeln, Augenkontakt und das Gefühl, umsorgt zu sein. All dies erzeugt beim Kind Wohlbehagen und set zt gleichzeitig im präfrontalen Kortex Hormone frei – in jenem Gehirnbereich also, der sich in den ersten Jahren formt und für eine reife Sozialentwicklung entscheidend ist. Je mehr Liebe und Nähe das Kind erfährt, desto besser vernetzt ist der präfrontale Kortex.

Das, was ein Kind in seinen ersten drei Lebensjahren erfährt, wird es noch als Erwachsener im Lebensrucksack mit sich herumtragen. Eine Studie an der Universität von Wisconsin (USA) konnte zeigen, daß die Art und Weise, wie Menschen auf Streß reagieren, bereits im Kindesalter festgelegt wird: Babys, die mit gestreßten oder depressiven Müttern zusammenlebten, waren später überdurchschnittlich anfällig, auf schwierige Situationen mit massiver Ausschüttung von Streßhormonen zu reagieren. Interessanterweise hatten Kinder, die ihre Mutter erst in der späteren Kindheit depressiv erlebten, nicht die gleiche überstarke Reaktion. Frühe üble Erinnerung prägt also nicht nur das Verhalten, sondern beeinflußt auch physiologische Reaktionsmuster im Gehirn, die festlegen, wie wir mit Gefühlen (und anderen Menschen) umgehen.

All jene Kinder, die man einfach schreien läßt, damit sie sich nicht zu Tyrannen entwickeln, macht man mit diesem Verhalten später zu wenig streßresistenten Menschen. Babys können nämlich ihren eigenen Streß nicht abbauen, und in diesen geraten sie unweigerlich, wenn nicht auf ihr Schreien reagiert wird. Ihr Hypothalamus produziert dann Signalstoffe, die zur Ausschüttung des Streßhormons Kortisol führen. In späteren Jahren reagiert das Hirn dann auf Streßsituationen entweder mit hormoneller Überproduktion (Ängste und Depressionen sind die Folge) oder mit Unterversorgung, was zu emotionaler Kälte und Aggression führt.

Ein Baby braucht also in den ersten Lebensjahren eine Person, die ihm vertraut ist, die spürt, wie es dem Kind geht, die es anlächelt und zärtlich zu ihm ist. Die Psychotherapeutin Sue Gerhardt7 bezweifelt, daß Fremdbetreuung diese Erziehungsqualität bieten kann. „Fremdbetreuten Kleinkindern fehlt möglicherweise die Erfahrung, von besonderer Bedeutung für einen anderen Menschen zu sein. Und sie lernen, daß sie auf Aufmerksamkeit zu warten haben.“

Quellenangaben

  • 1 Marx, Engels: Manifest der kommunistischen Partei, Dietz Verlag Berlin 1970, S. 63.
  • 2  Zitiert in: Geiger II. Kent, Die Familie und Ehe in England, Ed. Pelican, London, 1973
  • 3  J. Dunovsky, Morbidität von Kindern in Kinderkrippen in der Tschechoslowakei. In : Der Kinderarzt, 21. Jahrgang, S. 1180-1187.
  • 4  Margrit Mahler (1975) sowie Mahler, Pine und Bergmann (1978)
  • 5  Aus: Burghard Behncke, Berlin: Der sich beschleunigende Kreislauf zwischen der Kleinkindsozialisation in Kinderkrippen und gegenwärtigen Tendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft; www.familie-ist-zukunft.de
  • 6  Bowlby: Die Trennungsangst. Psyche – Z Psychoanal 15, 411-464.
  • 7  Sue Gerhardt: Why love matters – how affections shape a bay’s brain, Brunner-Routledge-Verlag 2004