Sinn statt Sucht: Wie Schule wieder begeistern kann

Nach einem lichtvollen Nahtoderlebnis begann der Realschullehrer Fritz Jordi nach dem Sinn des Lebens zu forschen. Seine Erkenntnisse führten ihn zu einer neuen Art des Unterrichtens: Er begann, in den Schülern Neugierde, Vertrauen und Liebe zum Leben zu wecken und sie zu einem neuen Verantwortungsbewußtsein zu führen. Ganz nebenbei erwies sich dies auch noch als wirksamste Sucht- und Gewaltprävention.

Er war nicht nur Lehrer, sondern auch begeisterter Flieger: Als IKRK-Pilot flog Fritz Jordi in Nepal und hat Aufenthalte in Ostafrika, Peru, Kanada und den USA hinter sich. In Wirklichkeit hatte er zwei Berufe: Oberstufenlehrer und Fluglehrer. Am Abend nach der Schule und am Wochenende war er immer am Fliegen, bildete Flugschüler aus und machte ausgedehnte Rundflüge. Daneben zog er zusammen mit seiner Frau vier Kinder groß. Zeit, um sich mit der Frage nach dem Sinn unseres Daseins zu beschäftigen, hatte Fritz Jordi, der bis zu seiner Pensionierung in Kloten bei Zürich unterrichtete und noch heute dort wohnt, deshalb keine, wie er mir in unserem Gespräch mitteilt. Seine Frau, ja, sie habe sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen begonnen, er hingegen sei diesem Thema immer ausgewichen – voll ausgefüllt war ja sein Leben. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als Fritz Jordi beim Kunstfliegen abstürzte und einen Menschen in den Tod riss.

Fritz Jordi

Fritz Jordi (80) lehrte seine Schüler, das Leben zu bewundern.

Lesen Sie im Folgenden Auszüge des Gesprächs, das wir mit Fritz Jordi führten:

Sie wurden sich bewußt, Herr Jordi, daß wir Menschen nicht nur ein Erdenleben zur Verfügung haben, sondern viele.

Fritz Jordi: Nach dem Flugzeugabsturz konnte ich ein halbes Jahr nicht mehr gehen und hatte deshalb viel Zeit zum Nachdenken. Ich studierte die „Kulturgeschichte der Menschheit“ (32 Bände von W. Durant), seine Entwicklung vom Höhlenbewohner bis zum Menschen der Neuzeit. Und da wurde mir klar, daß wir Menschen leben, um uns ständig weiterentwickeln und durch ein immer universaleres Lebensverständnis unsere Liebesfähigkeit ausbilden zu können. Da dies in einem einzigen Lebensdurchgang nicht möglich ist, begann ich mich mit der Reinkarnationslehre zu befassen, denn für die Entwicklung des Intellekts eines Einstein brauchte es wohl mehrere Erdenleben. Die Reinkarnationslehre wurde in einem Konzil im Jahr 550 n.Chr. aus den Lehren des Urchristentums gestrichen und unter Todesstrafe verboten. Durch den natur- und geisteswissenschaftlichen Fortschritt kamen aber auch immer mehr bedeutende Persönlichkeiten der Geistesgeschichte – Goethe, Morgenstern, Hesse, Kyber, Lessing, Novalis, Tolstoi – zur Gewißheit, daß unsere geistig-psychischen Fähigkeiten über lange Zeiträume hinweg in vielen Wiederverkörperungen reiften, wir eben geistige Wesenheiten sind, nur der Körper sterblich ist. Und daß wir alle ein sogenanntes Karma haben, also ein Schicksal. Wie die Kirche einst akzeptieren mußte, daß die Erde kugelförmig ist (nachdem sie lange Zeit Wissende als Irrlehrer hinrichten ließ), wird sie bald durch wissenschaftliche Erkenntnisse gezwungen sein, die Reinkarnation als Realität anerkennen zu müssen.

Wie hat das Nahtoderlebnis Ihr Leben verändert?

Nach dem Nahtoderlebnis war ich auf der Suche nach Bewußtwerdung. Ich fragte mich: Was bringt mich im Leben weiter? Und so war eine Konsequenz, die wir zogen, daß wir den Fernseher entsorgten. Der Konsum von so vielen schrecklichen Bildern, Unfällen, Verbrechen, Gewalt, aber auch bloße Unterhaltung, verstärkt die Angst vor einer unbekannten Zukunft. Vom wirklichen Leben jedoch wird im Fernsehen kaum berichtet. Nicht mehr dauernd den Fernseher anschalten zu müssen, das war eine gewaltige Erleichterung. Dafür begann ich wie gesagt, Bücher zu lesen. Ich konnte ja nicht mehr gehen und hatte daher Zeit.

Was genau veränderten Sie dann in Ihrem Schulunterricht?

In der Schule habe ich eigentlich nicht viel verändert, denn der Lehrstoff ist ja vorgegeben. Jedoch habe ich begonnen, das Leben mit den Schülern zu bewundern. Wir fragten uns: Was steckt da eigentlich dahinter? Zum Beispiel bei einer Blume: Warum wird aus einem kleinen Samenkorn eine Blume? So gab ich den Schülern beispielsweise die Aufgabe, alles aufzuschreiben, was es braucht, bis aus einem Samenkorn zum Beispiel eine Sonnenblume entsteht. Zuerst sagten sie sofort: Das können wir nicht, wir wissen das ja nicht. Doch ich sagte, daß wir einfach einmal anfangen damit. Und so haben wir all die verschiedenen Faktoren zusammengetragen. Solche Übungen führten dazu, daß die Schüler zu staunen begannen über das Leben und Respekt und Bewunderung empfanden. Sie begannen, Fragen zu stellen: Wer macht das eigentlich? Was ist die Ursache? Ein weiterer Schritt kann dann sein, daß wir uns mit der Lebensphilosophie eines Albert Schweitzer beschäftigen, der viel über die Ehrfurcht vor dem Leben geschrieben hat. Es geht darum, daß die Schüler zu erkennen beginnen, daß wir in einer geistigen Entwicklung drin stecken und daß das Göttliche in allem Leben enthalten ist. Daß wir unser Leben nicht einfach verpfuschen dürfen. Ich habe aber den Schülern nie von Reinkarnationen erzählt, sondern einfach beobachtet und gesehen, da sind ganz verschiedene Individuen mit ganz unterschiedlichen Begabungen und Talenten. Ich habe sie immer ermutigt, selber weiter zu suchen. Dies ist die Art Schulreform, die mich dann voll beschäftigt hat und die ich bestrebt war, in meinen Klassen zu realisieren.

Wie Fritz Jordi seine „Schulreform“ konkret umsetzte, lesen Sie bitte im vollständigen Artikel in der ZeitenSchrift Nr. 56.

Berichte von Schulvisitatoren sind voll des Lobes über den Unterricht von Fritz Jordi. So steht z.B. in einem Bericht: „Der Tag beginnt mit Mozart, eine Kerze brennt, die Schüler sammeln sich und werden ganz ruhig. Unter diesem Vorzeichen wird der Unterricht, selbst das trockene Rechnen, zu einem positiven Erlebnis. Aber sie lernen nicht nur Rechnen, sie lernen mehr, sie lernen fragen: warum?, sie lernen, den Problemen nicht auszuweichen, sondern sie zu bewältigen, zu verarbeiten, indem sie die Hintergründe verstehen....“

Oder im folgenden Bericht: „Herr F. Jordi strahlt eine große Ruhe und Erfahrung aus. Für seine Schüler ist er die Bezugsperson, die ihnen Eigenverantwortung geben und den Sinn im Leben aufzeigen möchte...Die direkte und offene Art des Lehrers motiviert die Klasse auf eine ganz besondere Weise: Sie zeigt sich äußerst lebhaft und interessiert...Seine Lektionen haben mich immer wieder aufs neue verblüfft, einerseits durch die Lebhaftigkeit der Beteiligung der Schüler und andererseits durch die große Aufmerksamkeit, sobald der Lehrer etwas erklärt.“

Fritz Jordi: Die zentrale Frage eines Lehrers sollte sein: Wie kann ich die Schüler lebensneugierig machen? Sodaß sie Freude haben am Lernen? Dazu brauchen wir eine grundlegende Neuorientierung. Als Lehrer habe ich erfahren, daß es für eine gesunde seelische und geistige Entwicklung eines jungen Menschen heute vor allem eine Weltanschauung braucht, die ihn das Leben achten und bewundern läßt, Lebensideale, für die er sich begeistern kann. Meist unbewußt wehrt er sich gegen eine zu sehr profitorientierte, selbstsüchtige, sinn- und lieblose Lebenseinstellung, die aus einem rein mechanisch-materialistischen Weltbild resultiert. Die naturwissenschaftliche Meinung, zufällig, für nichts auf der Welt zu sein, erschwert es, die Beziehung zur Schöpfung und damit zum Schöpfer zu finden. Sie macht den Menschen beziehungs- und damit liebesunfähig, das heißt asozial, areligiös. Ein jeder ist jedoch von klein auf „religiös“, von einer ständigen inneren Unruhe getrieben, lebensbewußt zu werden, um in eine immer verständnisvollere Beziehung zu seiner Umwelt zu kommen, um lieben zu können, geliebt zu werden. Im Pubertätsalter ist das Bedürfnis nach einem umfassenderen Lebensverständnis besonders ausgeprägt. Darauf einzugehen wäre die große Chance des Religionsunterrichts, eine heute dringend notwendige seelische und geistige Entwicklungshilfe. Sie wird jedoch verpaßt, wenn an alle Schüler eines Kantons ein uniformer, von einer theologischen, psychologischen oder pädagogischen Ausbildungsinstitution zusammengestellter Lehrstoff auf die gleiche Art „abgegeben“ wird.

Und weil das naturwissenschaftlich-materialistische Weltbild den Schulunterricht beherrscht und der Religionsunterricht eine unbedeutende Nebenrolle spielt, nehmen die Schüler ihn auch überhaupt nicht ernst.

Genau. Als sich vor Jahren ein Religionslehrer ebenfalls über mangelndes Interesse meiner Realschüler beklagte, begann ich, diesen Unterricht selbst zu erteilen und integrierte die Auseinandersetzung mit der Frage „Wozu bin ich auf der Welt, lebe, liebe und leide ich?“ in die meisten Fächer. Erstaunlich war, daß die ganze Klasse sich höchst interessiert am gemeinsamen Suchen nach dem Sinn unseres Daseins beteiligte.
Doch nur wenn wir Eltern und Lehrer die Kinder in unserem persönlichen Suchen nach einem tieferen Lebensverständnis mitnehmen, wollen sie wissen, und sind unsere Belehrungen für sie auch glaubwürdig. Nicht das, was wir reden, sondern das, was wir mit Ernsthaftigkeit vorleben, wird von der Jugend geprüft, akzeptiert und nachzuleben versucht. Um dies zu können sollte der Erzieher auch einen Sinn in unserer Menschwerdung erkennen. Denn: Erziehung ohne jede Weltanschauung gibt es praktisch nicht. Auch kulturelles Schaffen ist stets eine Auseinandersetzung mit dem Übersinnlichen, dem Religiösen. Menschen ohne Kultur werden zu Robotern. Wenn Schüler beispielsweise in der Naturkunde – anstatt Tiere und Pflanzen „naturwissenschaftlich“ in ihre „Bestandteile“ zu zerlegen – beobachten und erkennen lernen, daß auch das Werden eines Gänseblümchens ebenfalls nur durch das exakt aufeinander abgestimmte Zusammenwirken geheimnisvoller Kräfte der Gestirne (Klima), der Natur (Assimilation), der Insekten (Befruchtung), der Tiere (Bodenkultur) und der Menschen (Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid) möglich ist, beginnen sie zu staunen, werden sie neugierig, wollen sie wissen, wozu denn sie, die Schüler, auf der Welt sind. Eine solche Sensibilisierung des Verantwortungsbewußtseins ist der beste Schutz vor der Gefährdung durch Drogen oder Gewalttätigkeit, vermindert sie doch die Angst , nur sinnlos dahinvegetieren zu müssen.

Heidi, eine ehemalige Schülerin von Fritz Jordi, schreibt : „Drogen interessieren mich nicht! Diese Einsicht verdanke ich meinem Lehrer, der mir das Bewußtsein gab, daß gerade ich mit meinen Begabungen nötig und wichtig bin als Mitarbeiterin an der Schöpfung.“

Ein solches Weltbild könnte also auch der heutigen Gewaltproblematik unter Jugendlichen entgegenwirken.

Ja natürlich. Die Jugend ist unruhig geworden, weil sie wissen möchte, wozu sie auf der Welt ist. Daß das naturwissenschaftlich/materialistische Welt- und Menschenbild der Aufklärung dringend erweitert werden muß, wissen wir auch aus den Forschungsergebnissen der Kernphysik – siehe Heisenberg, Bohr, von Weizsäcker, Charon. So schrieb der Nobelpreisträger Max Planck: ‚Nicht die sichtbare, vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche, sondern der unsterbliche Geist ist das Wahre, (da die Materie ohne diesen Geist gar nicht bestünde).’ Die Unfähigkeit, das Leben zu achten, zu lieben, zu bewundern, macht unzufrieden, ist die Ursache zunehmender Angst und Streitsucht. Denn, wenn wir weder im Leben noch im Tod einen Sinn sehen, haben wir auch keine „Ehrfurcht vor dem Leben“, wie die Maxime Albert Schweitzers lautete. Und solange uns ein Verantwortungsbewußtsein für das Leben fehlt, werden wir von ‚Führern’, die es auch nicht haben, für ihre Streitereien um Profit und Macht mißbraucht; versuchen Eltern und Erzieher vergeblich, mit allgemeinen pädagogischen und psychologischen Belehrungen den Kindern aus ihren Lebensängsten herauszuhelfen.

Wie reagierten Ihre Schüler auf diese ‘Schulreform’?

Mit jeder neuen Klasse wurden dank der erwachenden Neugierde und ‚Ehrfurcht vor dem Leben’ die Disziplinarprobleme immer seltener und ich durfte oft erleben, daß verhaltensauffällige Schüler und Gewalttäter durch diese Art der Schulreform zu ganz lieben Kerlen wurden. Deshalb wurden gerade meiner Klasse immer die Unruhestifter und Schlägertypen zugeteilt. Ein solch anfänglicher Problemschüler in meiner Realklasse, der sich durch diese Art des Unterrichtens dann aber völlig veränderte, aufgeweckt und lebensneugierig wurde, machte dann die Matura (das Abitur) und später sogar den Doktortitel in Biologie. Er schickte mir seine Dissertationsarbeit und schrieb dazu, daß er das mir zu verdanken habe. Natürlich sagte ich ihm, daß er den Doktortitel nicht mir zu verdanken habe, sondern daß er selbst es soweit gebracht habe. Heute ist er Mittelschullehrer.

Wenn ich solche Beispiele dann aber an Vorträgen erzählte, sagten die Leute, ich hätte das wunderbar gemacht. Nein, nein, es hat nicht mit mir zu tun. Die Art des Unterrichtens sollte umgestellt werden!

Je öfter wir den Schülern Gelegenheit geben, dieses so exakte Zusammenwirken geheimnisvoller Kräfte, die eine so unermeßliche Vielfalt von Leben ermöglichen – z.B. in Ökosystemen – zu bestaunen und zu bewundern, um so besser lernen sie, das Leben zu verstehen, zu lieben, und um so verantwortlicher werden sie für ihr Denken und Tun. Nötigen wir sie hingegen ständig, sich mit den von uns Erwachsenen verursachten (!) Problemen auseinanderzusetzen, indem wir über Sucht-, Flüchtlings-, Beziehungs-, Aids-Probleme diskutieren, wehren sie sich mit Recht gegen diese ihrer seelischen und geistigen Entwicklung nicht entsprechende, unnötige Überbelastung mit Ängsten.

Die Erkenntnis, für das Wohlergehen der Umwelt, der Klassengemeinschaft, der Familie, der Erde wichtig, mitverantwortlich zu sein, erwies sich – mehr als alles Belehren und Aufklären über Drogen und Aids – als wirksamste Suchtprävention. Die heute verunsicherte, fragende, kritische Jugend ahnt scheinbar stärker als ihre Erzieher, daß die materialistisch-technische Weltanschauung überholungsbedürftig ist.