Silvia Rodenbeck und Regina Runte sind das, was man „geborene Lehrerinnen“ nennt. Jahrzehntelang unterrichteten sie an Haupt- und Grundschule, und es gab keinen Tag, an dem sie nicht dankbar und glücklich waren, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Wir wollten ihr Geheimnis wissen – und finden es super, dass sie es gerne mit Eltern und Lehrern teilen wollen, die glauben, etwas Unterstützung gebrauchen zu können!
Viele Lehrer und Lehrerinnen ergreifen diesen Beruf, weil sie eine Affinität zu Kindern haben. Das heißt aber noch lange nicht, dass er für sie zu einer Erfolgsgeschichte wird. In der Schweiz steigt in den ersten fünf Jahren die Hälfte aller frischgebackenen Lehrer aus dem Beruf aus. Wie ist es Ihnen gelungen, glückliche Lehrerinnen zu sein? Was ist das Geheimnis, um diesen Beruf auch noch nach Jahrzehnten jeden Tag gern auszuüben?
Regina Runte: Ich wollte immer schon entweder Lehrerin oder Krankenschwester werden, doch meine Eltern verlangten, dass ich eine kaufmännische Ausbildung mache, was ich dann auch tat. Ich merkte aber schnell, dass dies nicht meine Berufung war. Und deshalb machte ich dann Abitur im Abendgymnasium und studierte danach Lehramt für die Grundschule. Für mich gibt es zwei Geheimnisse: Ich habe nicht getrennt zwischen meinem Leben als Lehrerin und meinem privaten Leben. Die Arbeit mit Kindern war für mich immer ein Teil von mir, sei es privat mit meinem Kind oder in der Schule. Wenn Kinder Probleme oder Schmerzen hatten oder traurig waren, dann war das so, als wäre das mein eigenes Kind. Ich habe all das für sie getan, was ich für mein eigenes Kind auch getan hätte.
Sie waren also eine Art Schulmutter.
Runte: Ja, immer. Und bin es auch heute noch. Viele Lehrer schließen nach dem Schulunterricht innerlich ab mit ihrem Beruf und führen zu Hause ihr privates Leben. Ich habe da einfach immer mein ganzes Herz reingegeben.
Fühlen sich Lehrer heute nicht mehr zuständig für den Seelenzustand ihrer Kinder?
Runte: Ja. Ich glaube, es ist heute einfach auch zu viel. Wir haben heute viele ausländische Kinder, fast 45 Prozent. Diese Kinder kommen hier in ein für sie völlig fremdes Land. Wir haben Kinder, die können zum Teil kein Wort Deutsch, Kinder, die kommen direkt vom Schiff aus Syrien; wir haben auch Kinder, die sind zwar schon länger in Deutschland, aber sie sprechen zu Hause mit ihren Eltern türkisch oder russisch und die wissen nicht, wie die Dinge hier laufen. Doch zurück zu meinen „Geheimnissen“: Das zweite Geheimnis ist, dass es für mich schön war, immer wieder etwas anderes machen zu können. Ja, es kommt immer wieder ein Frühling, aber es muss ja nicht das Frühlingsgedicht vom letzten und vorletzten Jahr sein. Und ich habe immer wieder Sachen gefunden, die mich selbst begeistert haben. Und mit dieser Begeisterung konnte ich dann die Kinder anstecken.
Silvia Rodenbeck, Sie sind Hauptschullehrerin für 11- bis 16-Jährige. Keine einfache Sache, müsste man meinen. Was sind Ihre „Geheimnisse“?
Rodenbeck: Was ich von meinem Elternhaus mitbekommen habe, vor allem auch von meinem Vater, ist dieses Gefühl von Demut. Das heißt Wertschätzung für mein Leben und das Leben der anderen. Wertschätzung auch für das, was die Schüler repräsentieren, auch wenn sie noch so schwierig und anstrengend sind. Auch Schüler nie zu verurteilen, denn ich habe das oft erlebt, bei vielen Lehrern, die kamen völlig frustriert ins Lehrerzimmer und haben sehr abfällig über Schüler gesprochen. Und dieses Gefühl hatte ich eigentlich nie. Ich hatte immer das Gefühl, es sind alles Menschen. Es sind alles Menschen wie du und ich, und ich habe den Schülern immer wieder gesagt, dass wir alle in einem Boot sitzen, jedoch an unterschiedlichen Stellen lernen. Die Qualität der Demut war für mich lebenswichtig, lebenstragend, obwohl ich mir lange gar nicht bewusst war, dass das Demut ist. Und ich hatte auch dieselbe Begeisterung wie mein Vater, und vieles andere: Zum Beispiel eine ganz alberne Art, ich lache sehr gerne mit den Kindern, und ich hätte mir nie vorstellen können, eine Lehrerin zu sein, die mit Druck arbeitet wie ein Feldwebel, wie das früher oft war. Ich habe während der ganzen Schulzeit sehr viel mit Lachen und Humor gemacht. Anders hätte ich mir meinen Beruf nicht vorstellen können. Wie für Regina war es auch für mich mehr eine Berufung als ein Beruf. Ich bin immer gerne zur Schule gegangen. Und was mir extrem wichtig ist: Ich kann nicht mehr von den Menschen erwarten als das, was ich selber gebe. Auch habe ich mich immer wieder selber gefragt, bevor ich in die Schule ging: Wie bist du denn heute drauf? Bist du in der Lage, Kinder zu motivieren? So habe ich versucht, mich selber auf die Spur zu kriegen. Und ich hatte auch eine gewisse Erwartungshaltung an die Schüler. Ich glaube, dann war ich wirklich auch ein Beispiel.
Gestern sagte jemand zu mir: Als Lehrer hat man es oder man hat es nicht. Dennoch würde ich hier gerne ein paar Rezepte anbieten. Man mag sich ja berufen fühlen und dann doch im Berufsalltag an seine Grenzen stoßen. Wie bleibt oder wird man trotzdem ein guter Lehrer?
Runte: „Für mich ist immer das Wichtigste, vom Herzen aus auf die Kinder zuzugehen. Das heißt, dass ich mich selber als Lehrperson zurücknehme und schaue, wie sieht es das Kind? Wie geht es ihm? Hat es geschlafen oder nicht? Also mehr auf die Kinder zu achten. Wir machen an der Grundschule zum Beispiel oft einen Morgenkreis, da kann jedes Kind sagen, was ihm wichtig ist, was nicht gut gelaufen ist, wie es ihm geht. Und wenn da schlimme Dinge hochkommen, dann versuche ich, das mit den Kindern in der Pause zu regeln. Es ist mir also wichtig, dass ich die Kinder, die ganz freudvoll oder ganz traurig sind, zu mir hole und ihnen sage: „Du bist mir jetzt wichtig.“ Ich spreche sie also konkret an auf das, was sie zuvor im Morgenkreis erzählt haben. Man sagt ja, eine Kette ist nur so stark wie das schwächste Glied. Und wenn dieses schwächste Glied in der Gruppe angehoben werden kann, dann stärkt das die Gruppe. Wenn ein Kind dann erzählte, dass sich Mama und Papa am Morgen gestritten haben, dann habe ich so ein Kind auch schon in den Arm genommen. Ich wollte ihm Sicherheit geben, dass es wenigstens in der Schule so etwas spürt.
Und dieser Trost, den Sie ihnen geben, reicht dann aus, damit sie aus ihrer Bedrückung herausfinden?
Runte: Ja, sie kommen dann aus ihrem Elend ein Stück weit raus. Manchmal bin ich ein wenig verzweifelt, weil ich nicht alle anheben kann. Auf der anderen Seite ist es auch nicht meine Aufgabe, sondern ich möchte sie an den Punkt bringen, von dem aus sie sich entfalten können. Und ich glaube, das habe ich ganz gut gemacht.
Rodenbeck: Ich sehe das auch so, dass ich die Kinder wahrgenommen habe in ihren Befindlichkeiten. Ich habe nie Unterricht nach Lehrplan gemacht. Natürlich hat man eine Vorstellung davon, was man in der Stunde erreichen will, aber wenn da irgendwelche Unruheherde waren, dann habe ich meinen Lehrplan verlassen und das Thema aufgegriffen. Ich glaube, dass es für Lehrer wichtig ist, sehr präsent zu sein und wirklich auch diese Schwingungen zu spüren, die da im Unterricht gerade sind. Und ich habe einzelne Schüler oft angesprochen und gefragt: Worüber unterhaltet ihr euch gerade, können wir auch daran teilhaben? Die Dinge, die die Schüler so mitgebracht haben, habe ich also in den Unterricht integriert, weil ich immer das Gefühl hatte, dass ich nur dann unterrichten kann, wenn die Atmosphäre stimmt, wenn alle dabei und in der Lage sind, erst mal ihren persönlichen Kram vor der Türe zu lassen und sich auf das zu konzentrieren, was nun ansteht. Dafür ist es erforderlich, diese Kinder wirklich als Menschen zu sehen, zu erkennen, wo es Probleme gibt und wo die Lösungen sind.
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