Die Renaissance Italiens

Nach Jahrzehnten des Chaos herrscht in Italien Aufbruchstimmung: Eine Koalition aus „Linkspopulisten“ und „Rechten“ macht sich daran, das Land den Menschen zurückzugeben. Die Machteliten sind entsetzt.

Sie kämpften mit dem Mute der Verzweiflung: Eltern, Großeltern, Freigeister, Aufgeklärte, Gesundheitsbewusste. Weit mehr als ein Jahr lang gingen sie auf die Straße, schrieben Leserbriefe und Mails an die Politiker, um sich gegen zehn (!) Zwangsimpfungen für jedes Kind in Kindergärten oder Schulen zu wehren. Ab September 2018 wäre es so weit gewesen. Doch zuvor hatten sie bei der Wahl im März 2018 auf dem Stimmzettel ihr Kreuz bei einer der impfkritischen Parteien gemacht. Zwei davon bilden seit dem 1. Juni eine Koalition, der die Herzen im Sturm zufliegen: die als „linkspopulistisch“ bezeichnete Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) und die „rechtspopulistische“ oder auch als „rechts“ bezeichnete Lega, bis vor Kurzem Lega Nord.

Viva l’Italia! – Schaut das Land endlich wieder rosigeren Zeiten entgegen?

Viva l’Italia! – Schaut das Land endlich wieder rosigeren Zeiten entgegen?

Anfang Juli erklärte die neue Gesundheitsministerin Giulia Grillo – sie ist nicht mit ihrem Parteikollegen und Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo verwandt –, zwar für Impfungen zu sein, dass es aber keine Strafen für Impfverweigerer geben werde. Zwei Wochen zuvor hatte sich der neue Innenminister und Chef der Lega, Matteo Salvini, sehr deutlich zum Thema geäußert: „Ich bin der Meinung, dass zehn verbindliche Impfungen sinnlos und in vielen Fällen sogar gefährlich, wenn nicht schädlich sind.“ Die Folge war ein Aufschrei der Schulmedizin und Pharmaindustrie.

Freudenfeiern statt Demos

Doch die neue italienische Regierung scheint fest entschlossen zu sein, mächtigen Lobbyisten, dunklen Hintergrundmächten, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit potenten Globalisten im Hintergrund und anderen Gegnern des Nationalstaates die Stirn zu bieten. Die erste Hürde nahm sie, als sich Ende Mai der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella (Demokratische Partei, Mitglied der europäischen Sozialdemokraten) querlegte und den Euro-Skeptiker Paolo Savona nicht als Wirtschaftsminister akzeptierte. Unmittelbar darauf beauftragte Mattarella den nicht gewählten Bürokraten des Internationalen Währungsfonds Carlo Cottarelli mit der Bildung einer Übergangsregierung. Demonstrationen im ganzen Land wurden organisiert, Italien drohte – wieder einmal – im Chaos unterzugehen. Doch die Spitzenleute der Koalitionsparteien, Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini von der Lega, einigten sich auf eine neue Ministerliste. Daraufhin war der Weg für die Koalition unter Ministerpräsident Giuseppe Conte frei und aus den geplanten wütenden Demonstrationen wurden Freudenfeiern. Hoffnung keimte auf in einem Land, das wie kaum ein anderes westeuropäisches über Jahrzehnte an Unregierbarkeit und wirtschaftlichem Niedergang gelitten hatte (siehe Kasten). Undemokratische Eliten, auch aus der EU, hatten das Land im Chaos gehalten. Dass das der Vergangenheit angehören soll, sagt auch das Motto der neuen Regierung: „Prima gli italiani“ – „Italiener zuerst!“

Würde statt Almosen

Tatsächlich zeigte Innenminister Matteo Salvini gleich zu Beginn seiner Amtszeit Durchsetzungsvermögen beim wohl drängendsten Problem Italiens: der Massenzuwanderung aus Afrika. Er verweigerte Schiffen mit Asylwerbern von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Anlandung in italienischen Häfen – was laut einer Meinungsumfrage bei 72 Prozent der Italiener auf Zustimmung stieß. Weiter kürzte Salvini Asylanten die Taggelder. „Die Party ist vorbei“, hatte er gleich nach der Ernennung zum Innenminister erklärt. Italien werde nicht länger „das Flüchtlingslager Europas“ sein. Ab jetzt werde sein Land gegen Schlepper und „Vize-Schlepper“ – NGOs, die Migranten mit Schiffen nach Italien bringen – vorgehen und 500'000 illegale Einwanderer „einen um den anderen zurückspedieren“. Um dies zu bewerkstelligen, will Salvini mit möglichst vielen der Länder, aus denen die Asylanten kommen, Rückführungsabkommen abschließen.

Zuerst tobten die Offiziellen in Brüssel. Als dies nichts half, versuchte die EU-Kommission, die italienische Regierung zu bestechen, und bot ihr die Zahlung von 6'000 Euro pro Asylant aus dem EU-Budget an. Die postwendende Antwort von Innenminister Salvini ließ keine Fragen offen: „Italien braucht keine Almosen. Wir wollen die Flüchtlingsströme stoppen, weil wir zurzeit Hunderttausende Migranten versorgen. Wir verlangen kein Geld, sondern Würde.“ Außerdem koste jeder Asylsuchende das Land nicht 6'000, sondern im Durchschnitt 40'000 bis 50'000 Euro. Parallel soll es Hilfe vor Ort geben. So forderte Salvini einen „Marshallplan für Afrika“, mit dem die EU dem schwarzen Kontinent wirkungsvoll helfen soll.

Stattdessen nahm die Staatsanwaltschaft in Sizilien Ende August 2018 den italienischen Innenminister aufs Korn. Der Grund: Salvini hatte 150 geretteten Bootsmigranten aus Afrika anfänglich die Anlandung verweigert, weshalb diese für zehn Tage auf einem Schiff der italienischen Küstenwache festsaßen, bevor sie dann schließlich doch italienischen Boden betreten durften. Die für Vergehen der Regierung zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Salvini, weil er sich damit womöglich der Freiheitsberaubung, der unrechtmäßigen Festnahme und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht habe. In diesem Zusammenhang vielleicht interessant: Zu den Hauptzielen des Innenministers gehört, der Mafia das Wasser abzugraben, die nicht zuletzt im lukrativen und illegalen Schleppergeschäft mit Migranten an vorderster Front mitmischen soll.

Heftige Kritik erntete Matteo Salvini auch wegen der geplanten Volkszählung für Zigeuner (vor allem Roma) und des Abrisses einer illegalen Barackensiedlung, in der rund 300 Fahrende lebten. Was kaum jemand berichtet: Die nahe bei Rom gelegene Siedlung war de facto eine gesetzlose Zone voller Kriminalität, in die sich kaum noch Polizei oder sonstige Behörden hineintrauten. Viele Bürger forderten seit Längerem Maßnahmen, bevor die Situation gänzlich außer Kontrolle gerät.

Bauern wieder wichtig

Es wird also gehandelt in Italien. Die Regierung setzt klare Fronten. Das Volk goutiert, ja liebt dies: Bereits wenige Wochen nach Regierungsantritt hatte sich die Beliebtheit der Lega gegenüber dem Wahlergebnis von 17,3 Prozent laut Umfragen fast verdoppelt. Auch die Fünf-Sterne-Bewegung als klare Wahlsiegerin ist anhaltend populär. So erklärte deren Spitzenkandidat und nunmehriger Vizeministerpräsident Luigi Di Maio, dass die zu den Regierungsparteien zählenden Abgeordneten das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA nicht unterschreiben werden. Grund seien traditionelle italienische Nahrungsmittel wie Parmesankäse und Parma-Schinken, deren Hersteller zumindest teilweise unter die Räder kommen würden. Auch italienische Weizenbauern kamen nach der vorläufigen Inkraftsetzung von CETA im Jahr 2017 durch vermehrte kanadische Importe unter Druck. Der Bauernverband jubelte ob dem Nein zu CETA, der Industriellenverband reagierte entgeistert.

Hält Italien hier die Linie durch, wäre das de facto das Ende eines Abkommens, das in erster Linie Standards im Sozial-, Umwelt-, Arbeits- und Konsumentenschutzrecht senken würde. Italien als Segen für ganz Europa? Di Maio sprach von einem „gesunden Souveränismus“, den die Regierung auch bei diesem Thema vertrete. Man versuche, exzellente Produkte „made in Italy“ zu schützen, und werde gleich als Anti-Europäer und Populist beschimpft, erklärte der Vizeministerpräsident. Und er fügte hinzu: „Wir sind es, die die italienische Wirtschaft verteidigen müssen. Deshalb will ich euch ganz offen sagen: Wenn auch nur einer der italienischen Staatsdiener, die Italien im Ausland repräsentieren, damit weitermachen, unsägliche Verträge wie CETA zu verteidigen, wird er aus seinem Amt entfernt.“ Klare Worte, denen auch klare Taten folgen sollen.