Metaversum: Bye, Bye Realität, Hello Matrix!

Im digitalen Metaversum sollen wir künftig den Großteil unseres Lebens verbringen. Doch die bonbonfarbige Traumwelt könnte sich als Albtraum voller Kriminalität, Überwachung und Unfreiheit erweisen.

Vielleicht sind auch Sie in den letzten Monaten schon das eine oder andere Mal über dieses Wort gestolpert: das Metaversum. Sollten Sie sich dabei nachdenklich am Kopf gekratzt und sich gefragt haben, worum es dabei überhaupt geht, dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Tatsächlich wäre es höchst erstaunlich, wenn Sie begriffen haben sollten, was das Metaversum ist, denn die Wahrheit ist, dass es das Metaversum gar nicht gibt. Oder zumindest noch nicht. Was also soll der ganze Hype, und was ist es denn nun? Aus naheliegenden Gründen werden auch wir diese Frage hier nicht abschließend beantworten können, denn wie erklärt man etwas, das gar nicht existiert? Insofern ist das, was Sie auf den nächsten Seiten lesen werden, eine vorsichtige Annäherung ans Objekt mit dem Ziel, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, denn ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen dürfte das Metaversum nicht sein, wie Sie schnell erkennen werden.

Sehen wir uns zunächst den Begriff an, der sich aus „Meta“ und „Universum“ zusammensetzt. Das ursprünglich aus dem Griechischen stammende „Meta“ bezeichnet etwas Dazwischenliegendes, aber auch etwas Darüberliegendes. Man könnte das Metaversum also als eine Zwischenwelt betrachten oder als eine Welt, die über das real existierende Universum hinausgeht. Interessant ist übrigens auch, dass „Meta“ im Zusammenhang mit Computer-Shooter-Spielen noch eine weitere Bedeutung angenommen hat, nämlich „most effective tactics available“, was so viel heißt wie „die wirksamsten verfügbaren Taktiken“.

Das Wort „Metaversum“ (respektive Metaverse) tauchte erstmals 1992 im Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson auf. Im Roman flüchten sich die Menschen immer wieder aus der von Hyperinflation, extremer sozialer Ungleichheit, Anarchie und Gewalt geprägten Realität ins Metaversum, einer futuristischen Parallelwelt, in der die Menschen als Avatare, künstliche Abbilder ihrer selbst, leben. Erschreckenderweise lässt sich „Snow Crash“ (dabei handelt es sich im Buch um einen Computervirus, der auch Menschen infizieren kann) schon fast als Prophezeiung lesen. Tatsächlich hat das Buch die Tech-Firmen des Silicon Valley direkt oder indirekt zur Entwicklung diverser Produkte inspiriert, so etwa Google Earth, das Computerspiel Quake, die Multiplayer-Plattform Xbox live, die virtuelle Welt Second Life (die man als eine Art Vorläufer zum geplanten Metaversum betrachten könnte) sowie verschiedener Anwendungen von Virtueller Realität, an denen gerade emsig gearbeitet wird.

Es sind denn auch einmal mehr die Tech-Riesen dieser Welt, welche die Entwicklung des Metaversums vorantreiben. Diese Tatsache allein sollte uns hellhörig machen. An vorderster Front steht dabei Facebook, das nicht länger Facebook ist. Mark Zuckerberg hat seinem Megaimperium am 28. Oktober 2021 mit Pauken und Trompeten einen neuen Namen verpasst: Meta. Das ist natürlich keineswegs Zufall, sondern ein geschickter Schachzug. Durch die Namensänderung hat Zuckerberg nämlich rhetorisch den Begriff des Metaversums für sich gekapert, was zur Folge hat, dass viele Menschen bereits dem Irrtum erliegen, das Metaversum „gehöre“ oder sei Facebook respektive eben Meta.

Zuckerberg hat gute Gründe, ganz auf die Metaversum-Karte zu setzen. Der ehemalige Facebook-Konzern ist in den letzten Monaten in den USA stark unter Druck geraten, gibt es doch verschiedene Vorstöße im amerikanischen Kongress, um die Machtfülle des Konzerns aufzubrechen. Gleichzeitig verzeichnete Facebook, das Kerngeschäft des Meta-Konzerns, zum ersten Mal in seiner Geschichte sinkende Nutzerzahlen und auch das zweite große Zugpferd, Instagram, hat mit TikTok einen ernsthaften Konkurrenten erhalten. Zuckerbergs neuer Coup ist daher vor allem auch ein Versuch, die Zukunft seines Imperiums zu sichern. Zu diesem Zweck investierte er 2021 mehr als zehn Milliarden Dollar in die Entwicklung der Metaversum-Abteilung. „Dies ist die Zukunft, die ich will, und ich werde Druck machen, damit es geschieht“, ließ Zuckerberg verlauten. Dass seine Wette aufgeht, scheint derzeit unwahrscheinlich, denn seit dem Strategie- und Namenswechsel im letzten Herbst ist der Aktienkurs des Unternehmens um siebzig Prozent eingebrochen. Hatte Zuckerberg damals noch einen historischen Sieg errungen, als sein Konzern an der Börse mit einem Wert von einer Billion Dollar bewertet wurde, verliert Meta derzeit jeden Tag 1,5 Milliarden Dollar an Börsenwert und war damit im November 2022 weniger wert als die amerikanische Baumarktkette Home Depot.

Kritik hagelte es vor allem für die lächerlich rudimentäre Grafik, bei der beispielsweise die Avatare nicht einmal einen Unterleib besitzen. Als Zuckerberg dann im Oktober stolz verkündete, dass die Avatare von nun an Beine hätten, war dies nicht der große visionäre Wurf, der die Anleger zu ködern vermocht hätte – umso weniger, als das Unternehmen eingestehen musste, dass man für die Pressepräsentation getrickst hatte und Zuckerbergs gezeigte „virtuelle“ Beine gar keine echten virtuellen Beine waren, also keine reale technische Verbesserung der Grafik. Stattdessen waren die Bewegungen des Meta-Chefs mittels einer Motion Capture genannten Technik erfasst und dann animiert worden. Alles schnöder Schein also.

Man sollte sich aber nicht täuschen lassen. Was derzeit als Totalversagen des einstigen Wunderkinds Zuckerberg dargestellt wird, könnte durchaus eine besonders raffinierte Form des Schattenboxens sein, um uns von den wahren Zielen abzulenken.

Ständig mittendrin im Internet

Kehren wir an dieser Stelle aber noch einmal zur Frage zurück, wie wir uns dieses Metaversum überhaupt vorstellen müssen. Matthew Ball, der ehemalige Chefstratege von Amazon Studios, der als eigentlicher Metaversum-Guru gilt, meint, es sei zunächst einmal einfacher zu beantworten, was das Metaversum nicht sei. Demnach ist es nicht nur eine virtuelle Welt oder ein virtueller Ort, diese Definitionen greifen viel zu kurz und im Übrigen existieren virtuelle Welten schon seit Jahrzehnten, beispielsweise in Computerspielen. Es ist auch keine virtuelle Realität. Die virtuelle Realität ist vielmehr die Art und Weise, wie man das Metaversum erleben kann. Es ist weder ein neuer App-Store noch eine Plattform für nutzergenerierte Inhalte wie YouTube oder Facebook, noch ist es ein virtueller Themenpark im Stil von Disneyland. Auch ist es keine digitale oder virtuelle Ökonomie. Solche Ökonomien, in denen echte Menschen für echtes Geld mit virtuellen Gütern handeln oder im Austausch für echtes Geld virtuelle Aufgaben ausführen, existieren ebenfalls seit Längerem, beispielsweise mit dem Computergame World of Warcraft.

Das Metaversum ist auch nicht bloß ein Game oder Computerspiel. Obwohl es Spiele gibt, die bereits viele Elemente des künftigen Metaversums beinhalten. Am bekanntesten ist wohl Fortnite. Besonders beliebt ist bei Fortnite der kostenlose Battle-Royale-Modus, bei dem hundert Spieler einzeln oder als Team auf einer sich ständig verringernden Karte gegeneinander antreten. Wer zuletzt übrig bleibt, hat gewonnen. Etwa alle zehn Wochen wird in Fortnite eine neue Season mit Änderungen im Design oder mit zeitlich begrenzten Events oder Challenges veröffentlicht. Dazu kommen neue Ausrüstungen, für die mit der spieleeigenen Währung V-Bucks bezahlt werden kann. Für die virtuellen V-Bucks muss echtes Geld hingelegt werden, dabei kosten 1'000 V-Bucks ungefähr 10 Euro.

Für den Fortnite-Entwickler Epic Games hat sich das Geschäft längst gelohnt. 2020 erwirtschaftete das Unternehmen 5,1 Milliarden US-Dollar, den Großteil davon mit Verkäufen in Fortnite. Im selben Jahr spielten bereits 350 Millionen Menschen weltweit dieses Computerspiel, wobei rund vierzig Prozent Frauen sind und das Spiel vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen beliebt ist. Weil besonders sie durch dieses Spiel akut suchtgefährdet sind, wurde Fortnite bereits in verschiedenen Ländern verboten und es wurden auch Klagen gegen Epic Games eingereicht. Elemente in Fortnite, die auch im Metaversum enthalten sein sollen, sind beispielsweise Events, die exklusiv im Spiel begleitend zu Veranstaltungen in der realen Welt stattfinden. So gab es etwa im Dezember 2019 anlässlich der Lancierung des neusten Star Wars-Films einen extra Star-Wars-Event in Fortnite. Oder aber Künstler wie die Musiker Marshmello oder Ariana Grande nutzen Fortnite als Plattform für Live-Konzerte.

Hier zeigt sich bereits im Kleinen ein Charakteristikum des Metaversums, insofern als die virtuelle und die reale Welt miteinander verschmelzen. Denn das Metaversum soll nicht nur eine virtuelle Parallelwelt zur real existierenden Welt sein, sondern es soll stattdessen eine Art „verkörpertes Internet“ sein, welches niemals abgeschaltet wird, niemals pausiert, nie zurückgesetzt werden muss und niemals endet und in welchem wir uns ständig bewegen sollen, sei es zum Lernen, Arbeiten, Spielen oder um Freunde zu treffen. Anstatt dass wir uns ins Internet einloggen, sollen wir uns andauernd in dieser „verkörperten“ respektive „virtuellen“ 3D-Version des Internets befinden und immer mit den Milliarden miteinander vernetzten Computern um uns herum verbunden sein, in Echtzeit und zusammen mit allen anderen Menschen.