Begeisterung lässt uns fliegen!

Sie ist die Kraft, mit der das triste Grau plötzlich kunterbunt, der Honig süßer und die Sonne noch wärmer wird. Sie ist Dünger für unser Gehirn, macht uns glücklich, enthusiastisch und erfolgreich. Sie ist der Faktor, der den Unterschied im Leben macht! – Wie unsere Kinder die Begeisterung nicht verlieren und wir Erwachsenen sie wiederfinden.

Begeisterung lässt uns Grenzen sprengen und neue Horizonte entdecken.

Ein Zustand freudiger Erregung, leidenschaftlichen Eifers; von freudig erregter Zustimmung, leidenschaftlicher Anteilnahme getragener Tatendrang; Hochstimmung, Enthusiasmus. So definiert das Wörterbuch Begeisterung. Kleinkinder erleben dieses Hochgefühl etwa zwanzig- bis dreißig-mal am Tag. Viele Erwachsene hingegen nur etwa zwei- bis dreimal in der Woche – wenn überhaupt. Schade eigentlich. Denn Begeisterung lässt uns anpacken und durchhalten, auch wenn die Ziele vermeintlich hoch gesteckt sind; sie lässt uns neue Aufgaben freudig an- und übernehmen. Begeisterung treibt positiv an, sie macht uns „high“, ist legales Doping für all unsere Tätigkeiten. Sie ist das Salz in unserem Leben, und wenn sie fehlt, dann erscheint so vieles ziemlich fad. Begeisterung reißt unsere Grenzen ein und verbindet uns mit unserer innewohnenden Genialität. Und das Beste daran: Begeisterung ist kostenlos und mehr noch ein natürlicher Zustand, der ohne große Anstrengung erreicht werden kann. Und als wäre das noch nicht genug: Begeisterung macht intelligent und gesund. Höchste Zeit also, das Feuer der Begeisterung in uns wieder zu entfachen!

Denn eine globale Umfrage hat gezeigt, dass nur etwa jeder zweite Arbeitnehmer mit seinem Beruf zufrieden ist. Die andere Hälfte schleppt sich Tag für Tag zur Arbeit und wartet sehnsüchtig auf den Feierabend, nur um sich dann die verbleibenden Stunden vor dem nächsten Arbeitstag zu fürchten. Und fürchten ist an dieser Stelle gar nicht übertrieben. Denn wie Untersuchungen gezeigt haben, löst ihre Arbeit bei vielen Menschen körperlichen Stress aus, der Gehirnareale aktiviert, die auch bei körperlichen Schmerzen aktiv sind. Begeisterung hingegen bewirkt ganz anderes. Sie versetzt uns nicht nur in emotionale Höhenflüge, sie lässt sogar unser Gehirn wachsen.

Mit dem Aufkommen der Handys und SMS-Nachrichten wurde bei Jugendlichen eine starke Veränderung in jenem Gehirnareal nachgewiesen, das für die Bewegungen des Daumens zuständig ist. (Denn am Handy wird hauptsächlich mit ihm geschrieben.) Aus dieser Entdeckung entstand die Schlussfolgerung, dass das Gehirn wie ein Muskel trainiert werden kann. Versuche, die kindliche Gehirnentwicklung zu fördern, indem man zum Beispiel schon Kindergartenkindern Fremdsprachen beibrachte oder Zweijährigen das Lesen, erzielten dann aber doch nicht die gewünschten Effekte. Ein gezieltes Training über mehrere Stunden pro Tag geht also nicht zwingend auch mit größerer Gehirnentwicklung einher. Doch warum stimulierte das stundenlange SMS-Schreiben dann trotzdem das jugendliche Gehirn?

Der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther sieht den entscheidenden Faktor nicht in der Vielzahl an Wiederholungen, sondern vielmehr in der Begeisterung, mit der sich die Jugendlichen dem Schreiben der SMS widmeten. Für den Neurowissenschaftler ist das menschliche Hirn daher auch nicht einfach nur ein Muskel, den man beliebig belehren und zwingen kann. Entscheidend für die Weiterentwicklung sei die richtige emotionale Anregung. Es ist also durchaus möglich, sein Gehirn nachhaltig zu trainieren – jedoch nur, wenn dabei auch die emotionalen Zentren aktiviert werden. Wenn uns etwas wirklich wichtig ist, dann strengen wir uns unglaublich an, um es zu erreichen. Und wenn es dann endlich klappt, sind wir hellauf begeistert. Das können zum Beispiel die ersten tapsigen Schritte für ein Baby sein, der gestandene Skateboard-Trick für einen Jugendlichen oder der erste selbst genähte Rock für eine Erwachsene, die gerade ein neues Hobby entdeckt hat. Begeisterung kennt kein Alter und schon gar keine Wertung, sondern erfreut sich aller Erfolge, egal ob groß oder vermeintlich klein. Die daraus resultierende Erregung aktiviert Nervenzellen im Gehirn, die ihrerseits einen grandiosen Cocktail von neuroplastischen Botenstoffen ausschütten. Neurotransmitter wie Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Endorphine und Enkephaline sorgen für eine Art positiven Stress, lösen Glücksgefühle und Hochstimmung aus. Zugleich werden aber auch all jene neuronalen Bereiche verstärkt und ausgebaut, die zum Zustandebringen ebenjenes wichtigen Ziels aktiviert waren – einfach gesagt, das Gehirn wächst. Leider zündet das Gehirn dieses Feuerwerk nie im Routinebetrieb der alltäglichen Pflichterfüllung – es braucht dazu das Sprengpulver der Begeisterung.

Dies erklärt sodann auch, warum eine Rentnerin viel leichter Französisch lernen kann als ein Jugendlicher – wenn Letzterer in der Schule „gezwungen“ wird, sie es aber lernt, weil sie sich unsterblich in einen Franzosen verliebt hat. Es ist unsere Passion für etwas, die über Erfolg oder Misserfolg entscheidet! Wenn wir also etwas nicht lernen oder uns aneignen können, dann nicht etwa, weil unser Gehirn dazu nicht (mehr) in der Lage wäre. Vielmehr fehlt uns einfach der emotionale Antrieb (oder Sinn) dafür. Es ist ganz einfach die Begeisterung, die uns (und unserem Gehirn) hilft, bei Neuem schnell Fortschritt zu erzielen. Die tägliche Routine zu durchbrechen ist übrigens ein probates Mittel, um den Denkapparat jung zu halten.

Wie bereits erwähnt, erleben kleine Kinder in ihrem Entdeckerdrang sehr oft am Tag genauso einen Begeisterungsschub, der sie antreibt, immer weiterzumachen und Neues zu probieren. Es steht jedoch nirgendwo geschrieben, dass nicht auch Erwachsene mit großer Begeisterung durchs Leben gehen (oder gar hüpfen) können! Wichtig ist nur, dass wir den Kindern die Begeisterung nicht austreiben und wir unsere wiederfinden.

Vom Verlust der Begeisterung

Es ist nicht so, dass uns die Begeisterungsfähigkeit evolutionsbedingt irgendwann abhandenkommen muss. Vielmehr haben wir eine Gesellschaft erschaffen, die unsere Begeisterung mehr und mehr erstickt, je älter wir werden.

Kinder sind sich des unermesslichen Potenzials, mit dem sie zur Welt kommen, durchaus bewusst. Von Begeisterung getragen sind sie sich gewiss, die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein; überzeugt, alles lernen und werden zu können. Diese Überzeugung erlaubt es ihnen, anders als Erwachsene zu denken und aus eigener Kraft Antworten auf Fragen zu finden. Kinder denken ganz natürlich divergent. Das heißt, sie gehen offen, unsystematisch und spielerisch an Probleme heran und entwickeln viele kreative Lösungsideen, unabhängig davon, wie realistisch diese sind. So antwortet zum Beispiel eine Dreijährige auf die Frage, wo denn die Schuhe von gestern nur sind, Folgendes:

✵  Entweder sind sie noch im Auto.

✵  Oder ich habe sie gestern gar nicht ins Schuhregal gestellt.

Vielleicht kam aber in der Nacht auch der Fuchs und hat sie geholt.

✵  Oder der Hund hat sie gefressen.

✵  Vielleicht habe ich sie in Sri Lanka im Hotel vergessen.

Kinder haben noch ganz natürlich die Fähigkeit, außerhalb der Box zu denken. Etwas, das uns Erwachsenen zum Teil sehr schwerfällt. Kinder können die Welt nämlich noch auf sich zuschneiden und sie so erleben, wie sie sie gerade brauchen. Hatten wir nicht alle als Kinder die kühnsten Ideen, Fantasien und Träume? Doch was ist aus ihnen geworden? Irgendwann kamen sie mit den Konzepten der Erwachsenen in Berührung. Denn für die meisten Erwachsenen sind Kinder der Nullpunkt der menschlichen Entwicklung. Sie sind unreife Zwerge, die sich noch nicht zur vollkommenen „Plusversion“ eines (über-) lebensfähigen Erwachsenen entwickelt haben. Und genau das bekommen Kinder zu spüren. Ein Kind erlebt ständig, dass seine Umwelt es als noch nicht fertig oder ausgereift betrachtet. Kinder hören viel zu oft: „Dafür bist du noch zu klein“, „Das kannst du noch nicht“, „Wenn du erst mal erwachsen bist, dann weißt du das“. Oder seine divergenten Lösungsansätze werden belächelt und nicht ernst genommen. Dadurch erlebt ein Kind aber zwei diametral entgegengesetzte Meinungen: Da ist einerseits die Selbstwahrnehmung, das „So, wie ich bin, bin ich richtig“- Gefühl. Dem entgegengesetzt steht die „Du genügst meinen Erwartungen nicht“-Meinung der Erwachsenen. Diese Gegensätzlichkeit erzeugt enormen Druck und das Kind versucht, diesen Widerspruch aufzulösen. Da es die Sichtweise der Erwachsenen nicht ändern kann, bleibt ihm nur, seine Selbstwahrnehmung zu ändern. Bis es sich selbst genauso defizitär erlebt wie die Erwachsenen (die beileibe nicht schlecht im eigentlichen Sinne von ihm denken).

Dabei übernimmt es Auffassungen, die es vorher gar nicht kannte: „Das ist zu schwer für mich“, „Ich bin nicht gut genug dafür“, „Zahlen sind nichts für mich, ich werde nie gut sein in Mathe“, „Sport war noch nie etwas für mich“. Diese falsche Selbstwahrnehmung ist nicht nur für das Kind sehr schmerzhaft, es wird diese Sichtweise auch als Erwachsener noch in sich tragen – inklusive der daraus resultierenden Blockaden. Dabei wollen Kinder – wie wir alle auch – eigentlich nur hören: „Ich habe dich lieb, weil du bist, wie du bist.“ Dieser einfache Satz ist nicht nur für jedes Kind wichtig, sondern versöhnt auch uns Erwachsene mit dem verletzten Kind, welches wir in uns tragen.1 Denn war nicht das Gefühl bedingungsloser Liebe der sicherste Hafen in unserer Kindheit?

Quellenangaben