"Juhu, die Schule beginnt wieder!"

Ricardo Leppe setzt sich für ein neues Bildungssystem ein, damit Kinder gerne zur Schule gehen und mit Freude leichter lernen.

Ein Bildungssystem, in dem Kinder gerne lernen und in die Schule gehen? Für Ricardo Leppe keine Utopie!

Für Vorträge an Schulen weilte er soeben während vier Wochen in Vietnam, nun ist er wieder für ein paar Tage zu Hause in Österreich, bevor Ricardo Leppe nach Indien weiterfliegt. Dort darf er unter anderem im Rashtrapati Bhavan, die offizielle Residenz des indischen Präsidenten, über sein Herzensanliegen sprechen. Nachdem der erst Dreißigjährige im deutschsprachigen Raum schon an über hundert staatlichen Schulen und vor mehr als 20'000 Menschen die „Schule der Zukunft“ vorgestellt hat, will er nun auch in anderen Ländern „die ersten Samen säen, um diese neue Bewegung zu starten“. Einen Gesprächstermin mit dem Vielbeschäftigten zu finden ist daher nicht ganz einfach. Doch nach sieben Wochen klappt es. Leppes lebendige und spritzige Art begeistert bei Vorträgen Jung und Alt.

Deshalb spricht er längst nicht mehr nur an Schulen, sondern ist auch ein gern gesehener Redner bei Kongressen und Veranstaltungen im alternativen Bereich. „Es ist ziemlich viel Action“, meint er lachend. Den Kindern in der Schule stellt er jeweils folgende Frage: „Wenn ich Gott und Bildungsminister in einem wäre und mit einem Fingerschnippen die Schule in Luft auflösen würde, um dann mit einem weiteren Schnippen eure Wunschschule herbeizuzaubern – wie sieht diese aus?“ Die Antwort ist zweifach und lautet immer gleich: Kinder wollen Freude und Spaß in der Schule haben – und sie wollen Dinge lernen, die sie im Alltag umsetzen können. Kein einziges Kind habe sich bei Leppe über das Lesen oder Schreiben beschwert, „denn die Kinder sehen: Mama schreibt und Papa liest.“ Hingegen beschweren sie sich über das Lesen von langweiligen Büchern, über langweilige Lehrer und sinnloses Auswendiglernen. Ricardo Leppe antwortet dann: „Ich verstehe, dass euch das gerade nicht interessiert. Ich verstehe, dass ihr lieber gemeinsam Werken, Fußball spielen oder sonst etwas machen würdet. Ich verstehe, dass ihr viele Dinge lernt, die für euch null Sinn ergeben.“ Solch ehrliche Worte würden die Kinder von Erwachsenen sonst nie hören, „und dann reden sie offen mit mir, nur weil ich das gesagt habe“.

Der Österreicher lebte von seinem fünften bis zu seinem achten Lebensjahr mit seinen Eltern in den peruanischen Anden. Als Selbstversorger wuchsen im Familiengarten Avocados, süße Früchte und schmackhaftes Gemüse – „und es war immer schönes Wetter!“, lacht er. Während jener Zeit kümmerte sich seine Mutter um den Schulunterricht zu Hause. „Unser Homeschooling haben wir Kinder nicht als Schule angesehen. Wir lernten, während wir spielten. Meine Eltern sagten auch nicht, ‚So jetzt lernen wir!‘, sondern der Unterricht war etwas ganz Normales, das man eben auch im Alltag macht, wie spielen.“ Leppe und sein Bruder wurden auch nicht mit elterlichen Standardsätzen wie ‚Du darfst das nicht!‘ konfrontiert. Stattdessen erklärte man ihnen die Dinge.

„Ich war zum Beispiel vom Feuer höchst fasziniert. Mein Vater sagte, ‚Ich sehe, das interessiert dich‘, und zündete eine Kerze an. ‚Wenn du möchtest, darfst du in dieses Feuer hineingreifen.‘ Das habe ich natürlich voller Begeisterung getan – danach war mir sonnenklar, weshalb ich niemals in das Kaminfeuer hineingreifen werde.“ So hätten ihn seine Eltern immer über das Verstehen gelehrt. Und als Vorbild, indem sie jeweils erklärten, warum sie die Dinge auf eine bestimmte Weise taten. „Aber du darfst das gerne anders ausprobieren und danach selbst entscheiden, wie du es machen willst.“ Seine Eltern hätten immer großes Vertrauen in ihre Kinder gehabt. „Ich bin von ihnen als vollwertiges Wesen angenommen worden. Wenn du einem Menschen mehr Verantwortung und entsprechende Möglichkeiten gibst, dann wächst er da auch viel schneller hinein“, ist Leppe überzeugt.

Wollen übertrifft Müssen!

Als er dann mit neun oder zehn Jahren offiziell in die Schule kam, war für ihn das Lernen kein Müssen, sondern ein Wollen. Schuldruck, wie ihn die anderen Kinder hatten, war ihm fremd. Kein Wunder, war Ricardo Leppe fast immer Klassenbester. „Wenn mir ein Lehrer erklären konnte, warum ich etwas wissen muss und ich dann einen Sinn dahinter sehen konnte, war ich sein bester Freund. Aber Sätze wie ‚Das ist so, weil ich es dir sage‘ oder ‚Das war schon immer so‘ – da war ich allergisch drauf.“ Und weil Letzteres immer mehr zunahm, wurde die Schule auch für ihn zu einer Plage, zu einem Müssen.

Aus seiner Sicht ist dies das Hauptproblem am heutigen Schulsystem: „Kinder klagen mir, die Erwachsenen würden immer sagen ‚Lernen macht Spaß‘ oder ‚Du lernst fürs Leben‘. Doch sie sehen die Erwachsenen nie selber lernen. Oder zumindest nicht so, wie Kinder das Lernen erfahren. Sie kommen nicht nach Hause und sehen Papa über das Mathebuch gebeugt oder Mama, wie sie aus dem Geschichtsbuch Jahreszahlen auswendig lernt.“ Dabei funktioniere Lernen grundsätzlich über die Beziehungs- und die Vorbildebene. „Im Zweifelsfall machen Kinder immer das, was sie sehen, und nicht das, was man ihnen sagt.“ Das werde aber im heutigen Schulsystem komplett außer Acht gelassen. „Wenn wir eine Schule für die Kinder machen – wie wir es ja immer behaupten –, dann müssen die Kinder auch mitbestimmen dürfen.“

Leppe schloss die Schule mit dem Abitur ab und machte dann endlich, was ihm wieder Freude bereitete: Er wurde Berufszauberer. Doch schon bald sollte er wieder an die Schule zurückkehren, denn er hatte einen Entschluss gefasst: „Ich lege den Grundstein für ein neues Bildungssystem!“