Wer wünscht sich keinen Ort, wo Ordnung und Sicherheit herrschen? China sei ein solches Land, behauptet dessen kommunistische Führung. Doch die Realität im Hightech-Überwachungsstaat ist eine andere – zumindest für jene, die es noch wagen, sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte einzusetzen. Der digitale Vormarsch birgt indes auch hierzulande die Gefahr, dass bald eine Dauerüberwachung aller Bürger Einzug hält.
Die Augen des Überwachungsstaats sind überall.
Quanzhang Wang saß jahrelang im Zuchthaus, weil er seinen chinesischen Landsleuten zeigte, dass der verfassungsmäßig garantierte Rechtsstaat nur für jene gilt, die sich dem Staatsapparat bedingungslos unterordnen. Im Gefängnis versuchte man seinen Geist zu brechen. Daher musste er sogar für grundlegende körperliche Bedürfnisse wie Bewegung, Trinken und Essen oder einen Toilettengang um Erlaubnis fragen. „Irgendwann durfte ich mich nicht einmal mehr im Schlaf umdrehen. Ich lag im Bett wie eine Leiche. Sobald ich mich nur leicht bewegt habe, wurde ich sofort bestraft.“
Heute ist der Anwalt wieder „frei“. Unterkriegen lassen hat sich Wang nie, obwohl er seine Haft als „ultimativen Freiheitsentzug“ bezeichnet: gefangen im Innern eines Körpers, der in einer Zelle eingesperrt ist.
Er sei ein Umstürzler, der die Macht der Regierung habe untergraben wollen, lautete vor zehn Jahren die offizielle Begründung für seine Verhaftung. Ebenso erging es damals 300 weiteren Menschenrechtsanwälten; sie alle hatten Opfer der chinesischen Willkürjustiz vor Gericht verteidigt und waren 2015 bei einer großangelegten Razzia abgeführt worden. „Wir saßen im Gefängnis, weil wir uns für die Rechte der Bürger eingesetzt haben“, erzählt Wang. „27 von uns hatten keinerlei Geständnisse wegen staatsgefährdender Umtriebe unterzeichnet und wurden ins Gefängnis geworfen, die meisten ohne Gerichtsverfahren.“ So auch er.
Nach seiner Verhaftung durfte Quanzhang Wang ein halbes Jahr lang keinen Anwalt sprechen und wusste nicht, wo man ihn gefangen hielt. Das gilt sogar in China als Verletzung der Menschenrechte. Für seinen damals zweieinhalbjährigen Sohn und seine junge Frau Li war die Ungewissheit besonders schlimm. Fast drei Jahre nach jenem Tag, der alles veränderte, sagte sie in einer Videobotschaft: „Quanzhang ist seit 987 Tagen verschwunden. Wir wissen nicht, wo er ist, weil wir keinerlei Kontakt zu ihm haben. Dies ist unser 27. Versuch, Klage gegen die Polizei einzureichen. Wir werden nicht aufgeben!“ Aus Solidarität ließen sich danach viele Frauen öffentlich den Kopf kahlscheren. Dagegen gibt es nicht einmal in China ein Gesetz. Trotzdem wurden die Frauen von der Polizei verhaftet.
Seitdem der Bürgerrechtler Wang 2021 aus dem Gefängnis entlassen worden ist, darf er wieder mit Frau und Kind in einer schlichten Mitwohnung leben. Für mehr reicht das Geld nicht, denn seine Anwaltslizenz hat man ihm genommen. Er kann nun niemanden mehr vor Gericht verteidigen und hält sich mit juristischen Beratungen bei Bauland-Streitereien über Wasser. Mehr schlecht als recht: Viele Leute haben Angst, ihn zu engagieren, weil sie Repressalien der Behörden fürchten. Wang hat nämlich nicht vor, klein beizugeben und im Angesicht von Unrecht zu schweigen. Das zieht ständige Schikanen der Polizei nach sich. Deswegen ist der inzwischen pubertierende Sohn auch gezwungen, fast jedes Semester die Schule zu wechseln.
Das Schicksal von Quanzhang Wang und seiner kleinen Familie erzählt der Film Total Trust – Was China der Welt nicht zeigt, der unlängst mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet worden ist. Der Filmtitel ist gewollt zwiespältig: „Volles Vertrauen“ in den Regierungsapparat und dessen „Überragenden Führer“ (so lautet der offizielle Ehrentitel von Staatschef Xi Jinping) mögen zwar viele Chinesen noch haben – die Kommunistische Partei aber scheint dem Volk kein bisschen zu trauen. China ist derzeit das am Stärksten kontrollierte Land auf Erden. Mehr als die Hälfte aller weltweit eingesetzten Überwachungskameras sind dort im Einsatz, während neue Technologien den Alltag der Bürger bis in den letzten Winkel durchdringen und überwachen. Der Film zeigt eindrücklich: So lange man sich systemkonform verhält, mag man ein weitgehend unbeschwertes und bequemes Leben in der Volksrepublik führen. Sobald man aber aufmuckt, wird man von den Behörden schikaniert, mundtot gemacht oder gar eingesperrt. Es kommt sogar vor, dass die Häuser von Systemkritikern über Nacht abgerissen werden.
Total Trust berührt gerade deswegen, weil Hightech-Kontrolle, gehackte Telefone oder digitale Bewegungsprofile der Bürger nur beiläufig thematisiert werden, während die Kamera ganz nah am Alltag jener mutigen und bescheidenen Menschen ist, die etwas machen, für das sie eigentlich jede Demokratie loben sollte: Sie setzen sich für andere Menschen ein und engagieren sich für die Zivilgesellschaft. Als Zuschauer sitzt man quasi mit in der überwachten Wohnung oder im Auto auf der Fahrt zum Gefängnis. So wachsen einem die Protagonisten ans Herz, ohne dass der Film je voyeuristisch wirkt.
Die im US-Exil lebende chinesische Filmemacherin Jialing Zhang hat den Dokumentarfilm nur machen können, weil zahlreiche Helferinnen und Helfer das Filmmaterial in China heimlich drehten und dann außer Landes schmuggelten. Sie sind ebenso die Helden dieses Films, obwohl sie anonym bleiben. Kämen ihre Namen ans Licht, drohte auch ihnen Repression und Haft.
Total Trust beleuchtet das wahre Gesicht einer smarten „schönen neuen Welt“, das man vor den Menschen im Westen tunlichst verbergen will. Big Data und KI-basierte Überwachungstechnologien lösen die Privatsphäre auf wie Salzsäure ein Stück Fleisch und stellen demokratische Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit existenziell infrage. Die gesammelten digitalen Daten geben der Obrigkeit eine noch nie dagewesene Machtfülle in die Hand – die geradezu zum Missbrauch einlädt.
Deshalb sollten wir uns damit auseinandersetzen, was diese neue Realität bereits für knapp eineinhalb Milliarden Menschen bedeutet. Kurz nach Beginn des neuen Jahrtausends begann Chinas Regierung damit, „smarte Technologien“ einzusetzen mit dem Ziel, eine total kontrollierte Gesellschaft zu schaffen. Heute verfügt China mit Skynet über das weltweit größte Überwachungsnetzwerk. 2022 waren im öffentlichen Raum über 170 Millionen Kameras daran angeschlossen. Dieses Jahr (2025) werden es laut chinesischem Staatsfernsehen bereits mehr als 570 Millionen sein – also eine Hightech-Kamera auf zwei bis drei Einwohner.
Um soziales Konfliktpotenzial zu vermeiden, soll darüber hinaus die Zuverlässigkeit jedes einzelnen Bürgers abgeklärt werden. Entsprechende Programme sind seit 2023 im Einsatz. Die Daten werden einerseits digital gesammelt, andererseits setzt man auf Kontrolle und Denunziation in der Nachbarschaft. Eine Künstliche Intelligenz analysiert dank biometrischer Gesichtserkennung ein fast lückenloses Bewegungsmuster möglichst vieler Menschen: Jeder, der den ÖV benutzt, wird registriert. So sind beispielsweise alle Türen von Bussen und Bahnen mit Gesichtserkennungskameras ausgestattet. In den Büros vieler Firmen und in den Klassenzimmern der Schulen kontrolliert das mit Überwachungskameras verbundene System Emotibot jede Gesichtsregung der Angestellten und Kinder. Es soll erkennen, wenn sich jemand gestresst, wütend oder depressiv verhält. Dann wird umgehend die vorgesetzte Person informiert, „um sozialen Konflikten vorzubeugen“, wie das offiziell heißt. Auch beim Einkaufen wird die biometrische Gesichtserkennung zur Norm. Die vorwiegend jungen Chinesen in den hektischen Großstädten sind begeistert: So dauert der Bezahlvorgang an der Kasse nur noch zwei, drei Sekunden.
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