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Intelligenz im Sinkflug: Warum unsere Denkleistung abnimmt

Redaktion | 22. Mai 2025

Zahlreiche Studien legen nahe, dass die Fähigkeit des Menschen, konzentriert zu denken und Probleme zu lösen, seit etwa einem Jahrzehnt abnimmt – und das nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern über alle Altersgruppen hinweg. Vieles deutet darauf hin, dass wir uns in einem schleichenden, aber tiefgreifenden Wandel befinden, bei dem unser Umgang mit Information und Medien eine zentrale Rolle spielt.

Verlernen wir das Denken?

Was ist Intelligenz? Das Oxford English Dictionary definiert sie schlicht als „die Fähigkeit zu verstehen“. Doch was, wenn unsere praktische Fähigkeit, diese Intelligenz auch anzuwenden, allmählich schwindet? Genau darauf weisen aktuelle Daten aus zahlreichen Ländern hin: Seit den frühen 2010er-Jahren scheint die menschliche Denkleistung einen Höhepunkt überschritten zu haben.

Es geht dabei nicht um biologische Veränderungen unseres Gehirns – dafür ist der Zeitraum viel zu kurz. Doch bei einer Vielzahl standardisierter Tests zeigt sich ein klarer Trend: Unsere Fähigkeit, logisch zu denken und neue Probleme zu lösen, lässt nach.

Als die neuesten Ergebnisse der internationalen PISA-Studie veröffentlicht wurden, lag der Fokus zunächst auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Schulbetrieb. Doch der eigentliche Abwärtstrend begann deutlich früher. Bereits zwischen 2012 und 2018 sanken die Leistungen von 15-Jährigen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften teils stärker als in den Corona-Jahren mit Schulschließungen.

Und der Befund beschränkt sich nicht auf Jugendliche. Auch Erwachsene zeigen zunehmend schwächere Ergebnisse, wie etwa die jüngste OECD-Studie zu erwachsenen Grundfähigkeiten belegt. Der Rückgang zieht sich durch alle Altersgruppen.

Konzentration in der Krise

Wie tiefgreifend der Wandel ist, zeigt eine Langzeitstudie aus den USA: Seit den 1980er-Jahren fragt „Monitoring the Future“ amerikanische Schulabgänger, ob sie Schwierigkeiten beim Denken, Konzentrieren oder Lernen haben. Über Jahrzehnte waren die Antworten stabil – bis zur Mitte der 2010er-Jahre. Seither steigt der Anteil jener, die solche Probleme melden, rapide an.

Interessanterweise fällt dieser Bruch zeitlich zusammen mit einem grundlegenden Wandel unseres Informationsverhaltens: dem Übergang von textbasiertem zu visuellem Konsum – und damit zu einer Gesellschaft, die zwar ständig online ist, aber immer weniger liest.

Denn Lesen wird seltener. 2022 gaben weniger als die Hälfte der US-Amerikaner an, im vergangenen Jahr ein Buch gelesen zu haben. Gleichzeitig sinken weltweit die Fähigkeiten in Mathematik und Problemlösung. In wohlhabenden Ländern können inzwischen ein Viertel der Erwachsenen keine mathematischen Schlussfolgerungen ziehen, wenn sie Aussagen bewerten sollen – in den USA liegt der Anteil sogar bei 35 Prozent.

Das eigentliche Problem ist also nicht allein der Rückgang des Lesens, sondern ein umfassender Verlust an geistiger Konzentration und Anwendungsfähigkeit.

Hierbei spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle: So ist beispielsweise ein Fakt, dass wir komplexe Informationen besser verstehen und memorisieren können, wenn sie auf Papier gedruckt und nicht bloss online am Bildschirm präsentiert sind. Darüber hinaus ist die Digitalisierung an Schulen der Bildung eher hinderlich als förderlich, weshalb man in manchen Ländern bereits wieder davon wegkommt.

Von selbstbestimmtem Denken zur passiven Reizüberflutung

Oft konzentriert sich die Kritik an digitalen Medien auf Smartphones oder soziale Netzwerke. Doch der tiefere Wandel liegt woanders: in unserem Verhältnis zu Information an sich. Statt gezielt nach Wissen zu suchen oder mit realen Kontakten zu interagieren, bewegen wir uns heute in endlosen Feeds, in denen Inhalte uns finden – nicht umgekehrt.

Diese Verschiebung vom aktiven Tun hin zum passiven Konsum verändert unser Denken: weniger Selbststeuerung, mehr Ablenkung. Studien zeigen, dass bewusste, zielgerichtete Nutzung digitaler Technologien durchaus positiv wirken kann. Doch gerade die weitverbreiteten, impulsgetriebenen Nutzungsformen beeinträchtigen unsere Fähigkeit, Sprache zu verarbeiten, aufmerksam zu bleiben und unser Arbeitsgedächtnis zu nutzen.

Die gute Nachricht: Unsere geistigen Anlagen sind nicht verschwunden. Die Biologie des Gehirns ist unverändert. Doch Intelligenz entfaltet sich nur im Zusammenspiel von Potenzial und Anwendung – und genau hier bremst uns die digitale Gegenwart zunehmend aus.

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