Die neue Wissenschaft der Präkognition

Jüngste Studien zeigen, dass die menschliche Physiologie zukünftige Ereignisse vorausahnen kann. Eine Tatsache, die sich bei großen Katastrophen zeigte und die die Geheimdienste der Welt motiviert, Menschen in der Vorhersage und Fernwahrnehmung zu trainieren.

Drei Mal setzt der italienische Virtuose Mario Muselli beim „Pachelbel-Kanon“ den Bogen an. Immer wieder zögert er. Dann geht er zum Mikrophon und spricht mit zitternden Stimme zu den 4'000 Konzertbesuchern seiner Vorstellung in Rio de Janeiro. „Ich glaube, in diesem Augenblick sind drei Männer dabei, den Tresor der Ersten Kreditbank in Rio aufzuschweißen. Besser, es würde gleich einmal jemand nachsehen.“ Die Polizei überrascht drei verdutzte Einbrecher am Tatort.

Versunken betrachtet Joseph W. McMoneagle das Foto des Nato-Generals James Lee Dozier. Er war am 17. Dezember 1981 von der italienischen Terrororganisation Rote Brigaden entführt worden. Plötzlich blickt McMoneagle vom Foto auf und nennt präzise den Aufenthaltsort des Entführten: die Stadt, die Adresse und sogar das Stockwerk. Am selben Tag, dem 28. Januar 1982, stürmt ein Polizei-Spezialkommando das Versteck in der 2. Etage der Via Pindemonte Nr. 2. Dozier wird unverletzt befreit.

Unruhig sitzt Jeane Dixon im Washingtoner Hotel „Mayflower“ beim Lunch. Es ist der 22. November 1963. „Ich bin aufgewühlt, weil dem Präsidenten heute etwas Schreckliches zustoßen wird“, sagt sie zu ihren Freundinnen. Diese blickten nur verdutzt drein. Minuten später erstarren sie. Der Rundfunk meldet, dass auf den Präsidenten geschossen wurde.

Beispiele der Schau von zukünftigen Ereignissen finden sich seit Anbeginn schriftlicher Aufzeichnungen: bei der weissagenden Priesterin Pythia im antiken Delphi, bei den Propheten des Alten Testaments oder bei den Traumdeutern Ägyptens. Heute kennt man Präkognition auch aus der Weltliteratur. So schuf der Amerikaner Morgan Robertson 1898 eine Erzählung über ein Passagierschiff „Titan“, das im Nordatlantik mit einem Eisberg kollidiert und sinkt. Die Parallelen zum Untergang der „Titanic“ 14 Jahre später sind offenkundig. Den 9/11-Anschlag in New York sah Stephen King in seinem Roman „The Running Man“ voraus. Dort wird ein Jumbojet in selbstmörderischer Absicht in einen Wolkenkratzer gelenkt. Und auch im TV kennt man Vorahnungen. So verfehlt in der ersten Folge der amerikanischen TV-Serie „The Lone Gunmen“ ein ferngesteuerter Jumbojet um Haaresbreite das World Trade Center.

Metanalyse von 26 Experimenten

Doch so zahlreich die Belege für Präkognition auch sein mögen, so sehr bietet diese Form außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) ihren Gegnern Angriffsflächen. Denn während Forschung gemeinhin danach trachtet, reproduzierbare Abläufe zu untersuchen und die zugrunde liegenden Gesetze aufzuspüren, quälen sich Parapsychologen um den Nachweis, dass es das Wissen um Dinge gibt, die sich noch nicht ereignet haben und auch durch logisches Kombinieren nicht voraussehbar sind. Dieses Handikap scheint nun durch eine jüngste Metaanalyse überwunden. Die amerikanische Neurowissenschaftlerin Dr. Julia Mossbridge hat an der angesehenen Northwestern University in den USA 26 Experimente analysiert, die in den letzten 32 Jahren veröffentlicht worden sind und die alle die Behauptung untersuchten, dass die menschliche Physiologie zukünftige wichtige oder emotionale Ereignisse vorhersagen kann. In diesen Studien wurde zum Beispiel gefragt: Gibt unser Körper andere unbewusste Signale, bevor wir ein Bild sehen, auf dem jemand eine Waffe auf uns richtet, als bei einem Bild mit einer Blume? „Die Antwort, so die Schlussfolgerung unserer Forschung, lautet Ja“, erklärt Mossbridge. „Wenn man all diese Experimente zusammenzählt, wird deutlich, dass der menschliche Körper Veränderungen durchläuft, bevor wichtige Ereignisse eintreten – er warnt unser Unterbewusstsein vor dem, was passieren wird.“

Zufallsgenerator räumt alle Zweifel aus

Skeptiker vermuten, dass Menschen, die eine Reihe emotionsloser Bilder, wie z. B. Blumen, hintereinander sahen, als Nächstes ein emotionales Bild wie z. B. ein Gewehr erwarteten. Dies würde ihre Physiologie verändern. Diesen Einwand konnte Mossbridge nun entkräften, indem sie bei der Wiederholung aller Experimente einen Zufallsgenerator verwendete. Er wählte das zukünftige Bild aus, sodass es unmöglich war zu betrügen. Das Ergebnis der Metaanalyse belegt, dass unser Körper bereits ganze zwei bis zehn Sekunden vor dem eigentlichen Ereignis, also dem ausgeübten Reiz, ganz gezielt auf den zukünftigen Reiz reagieren kann, selbst wenn wir – aufgrund der zufälligen Auswahl der Reizart – diese gar nicht vorhersehen können.

„Im Durchschnitt zeigte der Körper der Teilnehmer Veränderungen, die zu häufig vorkamen, um wissenschaftlich als Zufall angesehen zu werden“, betont Mossbridge. „So schwitzten die Probanden beispielsweise mehr – ein Verhalten, das mit Angst assoziiert wird –, bevor sie das Bild einer Waffe sahen, und weniger, bevor sie eine Blume sahen.“ Physiologische Reaktionen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen konnten gemessen werden: Hautleitfähigkeitsreaktionen, Herzfrequenz, Blutvolumen, Atmung, elektroenzephalographische Aktivität (EEG), Pupillenerweiterung, Blinzelfrequenz und Blutsauerstoffgehalt.

Durchbruch der präkognitiven Forschung

Die Ergebnisse führten zu einem Durchbruch der präkognitiven Forschung. Denn während das Phänomen bislang als „Feeling the Future“ (die Zukunft erfühlen) beschrieben wurde, bezeichnen es Forscher nun mit dem Fachbegriff „Predictive Anticipatory Activity“ (PAA, deutsch: vorhersehend-vorwegnehmende Aktivität).

Mossbridge beschreibt die Funktionsweise dieser Vorahnung mit der Analogie eines Stocks, der durch Wasser gezogen wird. Der Stock, der für ein Ereignis steht, verursacht Wellen auf beiden Seiten, die für die emotionale Störung stehen, die wir aufgrund des Ereignisses empfinden. Die Wellen auf der Vorderseite sind nicht so ausgeprägt, aber die Wellen auf der Rückseite sind größer. In ähnlicher Weise ist die emotionale Reaktion auf Ereignisse vor dem Ereignis subtiler als danach. Ganz ähnlich, aber mit einem elektromagnetischen Vorgang, vergleicht der US-Physiker Dr. Charles A. Musès die Präkognition. Ihr würde eine lichtschnelle und eine zweite, etwas langsamere Vorläuferwelle vorausgehen, bevor dann das Ereignis eintritt.

Ein von Skeptikern immer wieder angeführtes Argument gegen außersinnliche bzw. übersinnliche Fähigkeiten ist die Behauptung, niemand würde diese angebliche Gabe bislang dazu genutzt haben, um damit etwa bei Glücksspielen Gewinne zu machen. Doch genau dies ist Wilfried Kugel, Gastforscher an der Freien Universität Berlin, gelungen.