Neue Medikamente sollen den immer häufiger auftretenden psychischen Erkrankungen wie etwa Demenz, Parkinson, Depressionen oder ADHS Einhalt gebieten. Doch besser als die teuren pharmazeutischen Produkte hilft oft ein einfaches Spurenelement: Lithium.
Kosmologen behaupten, dass es nur drei Elemente gab, als das Universum vor Milliarden von Jahren erschaffen wurde: Wasserstoff, Helium und Lithium. Als eines der drei ursprünglichen Elemente ist Lithium auch heute noch im ganzen Weltraum vorhanden. Meteoriten, die Sonne und die Sterne glühen hell mit der Flamme dieses hochreaktiven Elements. Hier auf Erden ist Lithium eine wichtige Komponente in Granit und anderem Gestein – deshalb ist es auch benannt nach dem griechischen Wort für Stein, „lithos“. Als Spurenelement in Form seiner Salze findet man Lithium im Meerwasser, in natürlichen Wasserquellen und in Erdböden. Und auch jedes Organ und Gewebe im menschlichen Körper enthält in geringen Mengen Lithium.
Wer den Begriff Lithium hört, denkt heute jedoch wahrscheinlich zuerst an den Lithium-Ionen-Akku, der in fast allen Handys verbaut wird. Bekannt, aber meist nur in psychiatrischen Kreisen, ist Lithium auch als Medikament. Doch haben Sie schon einmal davon gehört, dass Lithium ein Nährstoff ist, der in sehr kleinen Dosen unsere Hirngesundheit sicher und effizient unterstützen kann?
Lithium wird in der Medizin seit Mitte des 20. Jahrhunderts zur Behandlung von bipolaren Störungen1 , Manie und Depressionen eingesetzt. Als verschreibungspflichtiges Medikament in hochdosierter Form bewirkt es, dass die Patienten ausgeglichener sind und besser mit ihren Erkrankungen umgehen können. Außerdem ist die Lithiumtherapie die einzige medikamentöse Behandlung, für die eindeutig nachgewiesen ist, dass sie das Suizidrisiko erheblich senken kann. Lithium gilt bis heute als das wirksamste Mittel bei allen affektiven Störungen, also bei Stimmungsstörungen, bei denen die Gefühlszustände abnorm gehoben (manisch) und/oder gedrückt (depressiv) sind.
Das Problem: Bei hoher pharmazeutischer Dosierung hat der Mineralstoff starke Nebenwirkungen. Er kann irreversible Nierenschäden, Schilddrüsenerkrankungen, Tremor, Muskelschwäche, ein schlechtes Koordinationsvermögen, Tinnitus und Sehstörungen verursachen. Deshalb wird bei Patienten, die Lithium in pharmazeutischer Dosierung erhalten, regelmäßig das Blut untersucht, um einer toxischen Vergiftung vorzubeugen. Dem Arzt und Psychiater James Greenblatt, Leiter einer Privatklinik und Dozent für Psychiatrie an der Tufts University in Massachusetts, USA, ist dabei aufgefallen, dass seine Kollegen ihr Augenmerk vor allem auf den Blutspiegel der Patienten richteten, aber weniger darauf, ob und wann es zu einer Symptomminderung kam. Ihm schien, dass sich so die Aufmerksamkeit der Ärzte vom Wohl des Patienten auf die Laborwerte zu verschieben begann. Deshalb fing Dr. Greenblatt im Jahr 1990 an zu erforschen, was die niedrigste Dosis Lithium war, die die Symptome seiner Patienten linderte. Er senkte die Dosis nach und nach und stellte schließlich einen positiven Effekt von Lithium auch bei einer Dosierung von fünf bis vierzig Milligramm pro Tag fest – dies nunmehr ohne die gefürchteten Nebenwirkungen. Zum Vergleich: Die pharmazeutische Dosierung beträgt 600 bis 1'800 Milligramm pro Tag!
Studien über Lithium im Trinkwasser ergeben aufschlussreiche Daten über die Vorzüge von niedrig dosiertem Lithium. Die Menge an natürlichem Lithium, das im Trinkwasser enthalten ist, kann sich je nach geografischem Ursprung des Wassers auf ein Milligramm oder mehr gelöstem Lithium pro Liter belaufen. In einer Studie aus dem Jahr 1970 wurde der Gehalt an natürlichem Lithium im Wasser von 27 texanischen Verwaltungsbezirken analysiert und mit der Häufigkeit von Psychosen, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen in staatlichen psychiatrischen Einrichtungen verglichen. Die Autoren bemerkten einen deutlichen Trend: Je höher der Lithiumgehalt im Trinkwasser, desto geringer war auch die Rate der psychischen Erkrankungen im jeweiligen Bezirk.
Da diese Ergebnisse spektakulär waren und sich die Forscher nicht sicher waren, ob diese Befunde nur für diese spezielle geografische Region zutrafen, wiederholten sie sie auch in anderen Ländern – in Österreich, England, Griechenland und Japan. Überall zeigte sich dasselbe Bild: Suizid, Mord und Vergewaltigung traten signifikant häufiger in Verwaltungsbezirken auf, in denen das Trinkwasser wenig oder kein Lithium enthielt, verglichen mit jenen Bezirken, in denen der Gehalt zwischen 70 bis 170 Mikrogramm pro Liter (mmg/l, das entspricht 0,07 bis 0,17 Milligramm) betrug.
In der Folge entwarfen die Wissenschaftler ein Studiendesign, bei dem sie niedrig dosiertes Lithium als Behandlung für Personen mit Verhaltensstörungen einsetzten. In einer derartigen Studie erhielten 24 Teilnehmer mit einer Vorgeschichte von Aggression, Impulsivität und sozialen Regelstörungen über vier Wochen eine tägliche Dosis von 400 Mikrogramm (das sind lediglich 0,4 Milligramm) Lithium. Auch hier waren die Ergebnisse erstaunlich: Die Stimmung der Testpersonen verbesserte sich, sie verhielten sich freundlicher, waren glücklicher und ihr Energieniveau stieg.
Obwohl Lithium zu den ältesten Medikamenten in der Psychiatrie gehört, gibt es nur wenige groß angelegte wissenschaftliche Studien zu niedrig dosiertem Lithium. Warum? Weil es keinen Profit bringt. „Pharmaunternehmen sind nicht wild darauf, Studien über preisgünstige, patentfreie Wirkstoffe zu finanzieren. Ein Rezept für Lithium kostet nur ein paar Cents, und Pharmaunternehmen machen keine Gewinne mit einem Nahrungsergänzungsmittel, das meist preiswert zu erhalten ist“, schreibt Dr. Greenblatt in seinem Buch über Lithium.
Kleinere, oft unveröffentlichte Studien über niedrig dosiertes Lithium gibt es dennoch schon länger. So führte Dr. William Walsh, ein Experte im Bereich der Ernährungsmedizin, vor über vierzig Jahren eine kontrollierte Studie durch und verglich die Lithium-Konzentration im Kopfhaar von verurteilten Mördern mit denen von gesetzestreuen Bürgern. Bei den Straftätern fand er nur ein Drittel des Lithiumgehalts, welcher im Kopfhaar der Vergleichspersonen, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, vorhanden war. Eifrig trug er seine Ergebnisse den kriminologischen Berufsverbänden und der American Psychiatric Association (US-amerikanische Fachgesellschaft der Psychiater) vor. Doch niemand schenkte ihm Beachtung.
Lithium trägt aber nicht nur zur Stimmungsaufhellung bei, sondern verbessert auch eindrücklich die Gehirnleistung, einschließlich Erinnerungsvermögen und Kognition. Früher ging man davon aus, dass die Entwicklung des menschlichen Gehirns mit Eintritt in das Erwachsenenalter zum Stillstand kommt. Das wissenschaftliche Dogma lautete, dass Gehirn und Nervensystem eine endliche Anzahl von Zellen besitzen und dass jede Schädigung von Neuronen (Nervenzellen) dauerhaft und irreversibel ist. Heute erkennt man allmählich, dass das Gehirn unter den richtigen Bedingungen das Potenzial hat, das ganze Leben hindurch neue Neuronen und neuronale Verbindungen hervorzubringen. Und gerade Lithium spielt hier eine wesentliche Rolle, denn es unterstützt die Neurogenese, also den Prozess, durch den Nervenzellen neu erschaffen werden.
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