In den 1960er-Jahren fürchtete die amerikanische Elite, es könnten drei Kennedy-Brüder an die Macht kommen: Erst John, dann Robert und schließlich Edward. Zwei Attentate beendeten dies bald und stattdessen wirkte eine andere Dynastie mit, aus Amerika einen Überwachungsstaat unter der Oligarchie der Reichen zu machen: die Familie Bush. Diese tauchte auch im Dunstkreis um den Tod von John F. Kennedy auf.
Falls Sie alt genug sind: Wissen Sie noch, wo Sie waren, als John F. Kennedy erschossen wurde? Jeder Mensch auf dem Planeten, der damals lebte und Zugang zu Radio oder Fernsehen hatte, kann sich daran erinnern. Bis auf einen: George Herbert Walker Bush, von 1989 bis 1993 der 41. Präsident der USA. Als ihm diese Frage gestellt wurde, geriet er ins Zögern, musste nachdenken und sagte dann etwas unbestimmt ... „oh, irgendwo in Texas“. Das ist eigenartig, lebte er doch in Texas, weilte aber in der Nacht auf den 22. November 1963, dem Tag, an dem John F. Kennedy in Dallas starb, nicht in seinem Heim in Houston, sondern ausgerechnet in der Stadt des Attentats, nämlich im Sheraton Dallas Hotel, zusammen mit seiner Frau Barbara. Weshalb er dort war und warum er es lieber verschwieg, werden wir noch erfahren.
Als George Bush Senior am Morgen des 22. November 1963 das Hotel verließ, buchte er das Zimmer gleich noch für die nächste Nacht, obwohl er niemals vorhatte, sie dort zu verbringen. Schließlich wusste er genau, was an diesem Tag geschehen würde. Auf diese Weise strickte er an der Legende, die ihn im Verdachtsfall decken würde: Bush könnte später sagen, er habe nicht nur die Nacht vor, sondern auch nach dem Attentat im Sheraton Dallas verbracht – „Prüfen Sie es nach!“ Und das Hotel würde nachsehen und bestätigen, dass es in der Nacht des 22./23. November 1963 eine Zimmerbuchung auf George H. W. Bush in den Büchern stehen hatte.
Als Bush Senior murmelte, er sei zur Zeit des Attentats „irgendwo in Texas“ gewesen, da war das keine Gedächtnisschwäche, sondern eine ganz absichtliche Verschleierung von etwas, was er unmöglich hätte vergessen können. Bush war damals 39 Jahre alt, Vorsitzender der Republikanischen Partei von Harris County (Wahlkreis Houston) und ein ausgesprochener Kritiker des Präsidenten. Außerdem kämpfte er für einen Sitz im US-Senat, als Kennedy in seinem Heimatstaat ermordet wurde.
George Bush hatte mit John F. Kennedy gemeinsam, dass sie beide aus reichem Hause stammten und ihre Väter diesen Reichtum nicht gerade auf die sauberste Art erworben hatten. Joseph Kennedy hatte zur Zeit der Prohibition, also des Alkoholverbots in den USA der Zwanzigerjahre, ein Vermögen verdient, indem er den Restaurants und Nachtclubs mit Hilfe der Mafia Alkohol verschaffte. Auch der Bankier und Senator Prescott Bush kannte keine ethischen Hemmungen beim Geldverdienen: Laut der britischen Zeitung The Guardian belegen Akten in den US-Nationalarchiven, dass eine von Prescott Bush geleitete Firma tatsächlich mit den Finanzverantwortlichen des Nationalsozialismus Geschäfte machte. Und zwar bis ins Jahr 1942, als Vermögen der besagten Firma vom amerikanischen Staat auf Grundlage eines Gesetzes, das Handelsbeziehungen mit dem Feind verbietet, beschlagnahmt wurden.
Das ist der Grund für eine mehr als 60 Jahre später in Deutschland gegen die Familie Bush eingereichte Zivilklage, welche zwei ehemalige Zwangsarbeiter in Auschwitz 2004 angestrengt hatten – zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, weil Prescotts Enkel, Präsident George Bush Jr., sich damals mitten im Wahlkampf für eine zweite Amtszeit befand und die dadurch ausgelöste heftige Kontroverse wenig dienlich war. Sogar ein ehemaliger US-Nazi-Kriegsverbrecher war der Meinung, dass das Verhalten des verstorbenen Senators Bush Grund für eine strafrechtliche Verfolgung wegen Unterstützung und Beistand des Feindes hätte sein müssen.1
Kennedy und Bush hätten eigentlich auch gemeinsam haben müssen, dass sie beide auf eine US-Präsidentschaft zurückblicken konnten, wobei der sieben Jahre jüngere George Bush bis ins Alter von 64 warten musste, während Kennedy den „Thron“ Amerikas schon mit nur 43 Jahren bestieg, nachdem er nur gerade dreizehn Jahre in der Politik aktiv war.
Kennedys Verdienste lagen vor allem im 2. Weltkrieg, wo er im Pazifik eine schwere Verletzung davontrug, an der er Zeit seines Lebens immer wieder leiden sollte. JFK war sozusagen der Superstar, der auf die Bühne kam und kraft seines Charismas, seiner Jugend und seines Aussehens vor allem die Stimmen der Wählerinnen gewann, was ausreichte, um seinen Gegner Richard Nixon bei der Wahl zu bezwingen. Bush hingegen war der stille Arbeiter hinter den Kulissen, der sich über Jahrzehnte hochdiente, bis er schließlich ein „One-Term-President“ wurde – einer der wenigen, die eine Wiederwahl nicht geschafft hatten.
Manche sagen zwar, eigentlich sei Bush ein Drei-Amtszeiten-Präsident gewesen, denn er war ja schon Vize unter Ronald Reagan – und fast wäre er nur drei Monate nach dessen Amtsantritt sogar selbst Präsident geworden, weil auf Reagan am 30. März 1981 ein Attentat verübt wurde, das dieser nur mit viel Glück überlebte. So habe Bush laut Insidern eben im Hintergrund weiter die Fäden gezogen. Zweifellos ist der Umstand erstaunlich, dass die Familie des Reagan-Attentäters sehr eng mit der Bush-Familie befreundet war. Doch dazu später mehr.
Die gut zweieinhalb Jahre, die JFK vor seinem Tod am 22. November 1963 als Präsident diente, waren turbulent gewesen. Die Invasion in der Schweinebucht im April 1961, mit der Fidel Castro und seine kubanischen Revolutionäre aus ihrem Hauptquartier neunzig Meilen vor den Florida Keys hätten vertrieben werden sollen, war ein peinlicher außenpolitischer Misserfolg. Die herrschende amerikanische Elite empfand dieses Debakel als Demütigung nicht nur der vermeintlich unfehlbaren CIA. Neben scharfer Kritik im In- und Ausland und dem damit einhergehenden verlorenen Vertrauen in die damals nur 90 Tage alte Kennedy-Regierung stärkte es Castro, der die bereits 1959 eingeleitete kommunistische Ausrichtung nun offen vertrat. Befürchtungen eines zweiten Invasionsversuchs beschleunigten die weitere Annäherung Kubas an die Sowjetunion bis hin zur Eskalation in der Kubakrise 1962.
Anfänglich war John F. Kennedy von der CIA beeindruckt gewesen und hatte sich auf die geheimdienstlichen Einschätzungen, wie man Kommunisten und Nationalisten in der Dritten Welt bekämpfen sollte, verlassen. Doch das änderte sich nach dem Schweinebucht-Debakel radikal. Die Invasion war noch von Präsident Eisenhower geplant worden, doch Kennedy musste hierzu kurz nach seinem Amtsantritt grünes Licht geben. Im Nachhinein sah er sich in mehreren wichtigen Punkten von der CIA getäuscht, weil man ihn auf diese Weise zur Invasion verleiten wollte. Das verzieh JFK der Spionageagentur nicht. Die CIA, äußerte er, sei nichts weiter als ein Werkzeug des militärischindustriellen Komplexes, welches dafür zu sorgen habe, dass überall auf der Welt laufend neue Kriege entfesselt werden, an denen diese Wirtschaftsleute verdienen könnten. Also sagte der Präsident seinen Beratern, er werde „die CIA in tausend Stücke zerschlagen und in alle Winde zerstreuen“.
Ein halbes Jahr nach der Schweinebuchtinvasion entließ Kennedy den CIA-Direktor Allen Dulles. Doch JFK hatte seine Macht überschätzt. Er war nur ein Präsident, der kam und wieder gehen würde, während der Kraken namens CIA mit seinen Tentakeln längst das ganze Land, den ganzen Globus, umschlungen hatte. Und so war es am Ende nicht die CIA, sondern John F. Kennedy, der zerstört wurde.
Das müssen wir im Auge behalten, denn bei der Ermordung beider Kennedys spielte die CIA eine zentrale Rolle. Und der Beginn zwischen der Feindschaft der Kennedys mit den Geheimdiensten liegt genau hier. Das sagt auch der heutige Präsidentschaftskandidat und Neffe von JFK, Robert Kennedy Jr.: Sein Onkel und sein Vater seien Opfer einer CIA geworden, die dafür Sorge trägt, dass die alte Ordnung aufrechterhalten wird und die Eliten ihre Kontrolle aus dem Hintergrund weiterführen. Deshalb fordert Robert Kennedy Jr. sowohl die Haftentlassung des „offiziellen“ Attentäters seines Vaters, Sirhan Sirhan, als auch eine neue Untersuchung über die Hintergründe der beiden Morde.
Die wichtigsten Anwerbungsorte für CIA-Mitarbeiter waren damals (und sind es wohl auch heute) die renommierten Ivy-League-Universitäten der amerikanischen Ostküste, wo die Söhne der Elite studieren – also Harvard in Cambridge/Massachusetts (John F. Kennedy studierte dort), Princeton im gleichnamigen Ort in New Jersey und Yale in New Haven/Connecticut, wo George Bush Senior immatrikuliert war und auch sein Vater Prescott Bush davor. „Yale war schon immer der wichtigste Rekrutierungsplatz für die CIA“, erinnerte sich der 1943 geborene CIA-Offizier Osborne Day, „allein in meinem Yale-Jahrgang waren fünfunddreißig Leute in der Agentur.“
Bushs Vater Prescott saß im Vorstand der Universität und an der Schule wimmelte es von Lehrkräften, die nebenbei als Anwerber für die Geheimdienste tätig waren. Die Jungs der Yale-Gesellschaft waren die Besten der Besten und konnten obendrein Geheimnisse bewahren. Kein Geheimbund war für das Spionage-Establishment geeigneter als Skull & Bones, für den „Poppy“ Bush (den ungeliebten Spitznamen verpasste ihm seine Mutter, als er noch in den Windeln lag) wie schon sein Vater im ersten Studienjahr angeworben wurde. 1832 gegründet, ist Skull & Bones die älteste Secret Society von Yale. Geheimes Wissen und absolute Verschwiegenheit – das war und ist unerlässliches Rüstzeug für gute Geheimagenten.
George Herbert Walker Bush war insofern eine Ausnahme, als er bereits vom Geheimdienst rekrutiert worden war, bevor er überhaupt in Yale studierte. Mit 18 Jahren trat er mitten im Krieg der Marine bei. Als Bush im Herbst 1942 auf dem Stützpunkt in Norfolk, Virginia, eintraf, bildete man ihn nicht nur zum Piloten eines Torpedobombers aus, sondern auch zum Foto-Offizier, der für die wichtige und hochsensible Luftüberwachung zuständig war. Bald bildete er auf beiden Fachgebieten selbst Flugzeugbesatzungen aus. Bushs eigenes Bomberteam wurde regelmäßig für Spionagezwecke herangezogen und musste Luftbilder über feindlichem Gebiet aufnehmen. Die so gewonnenen Informationen über die japanische Marine und Japans Landverteidigung zog man zur Planung von amphibischen Landungen heran.
Offensichtlich hatte Bush gute Dienste geleistet, denn von da an war er ein Teil der „Agency“, wie sie später genannt wurde. Als Bush nach Yale kam, nahm die Universität zahlreiche Veteranen des Office of Strategic Services (OSS) – so hieß die Vorgängerorganisation der im Juli 1947 gegründeten Central Intelligence Agency (CIA) – in ihre Fakultät auf. George H. W. Bush war also seit seinem 18. Lebensjahr ein treuer Diener des amerikanischen Staates; zuerst als Flieger und Agent im 2. Weltkrieg, dann als verdeckter Agent der CIA und später als Mitglied des US-Repräsentantenhauses, als US-Botschafter bei der UNO, als CIA-Direktor, als US-Vizepräsident und schließlich sogar als Präsident.
Sein Vermächtnis, schrieb der Autor und Filmemacher Jeremy Scahill, sei eine „Spur von Blut, Tod und Tränen“. Und sein Kollege Arun Gupta erinnert an Bushs Unterstützung für Manuel Noriega und die daraus resultierende Invasion Panamas, die Begnadigung der Iran-Contra-Verbrecher, die schmutzigen Kriege in Mittelamerika, die anfängliche Unterstützung Saddam Husseins und den Beginn des Golfkriegs.2 Bei alledem schien Bush einen unsichtbaren Schutz zu genießen, denn niemals stand er selbst vor Gericht, obwohl er in viele verbrecherische Aktivitäten verwickelt schien. Eine davon war das Attentat auf John F. Kennedy in Dallas, worauf wir noch kommen werden.
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