Transhumanismus: Das Internet der Körper

Die Digitalisierung macht alles besser, lautet das Motto. Deshalb sollen in Zukunft nicht nur Dinge miteinander kommunizieren können; die Vernetzung soll auch den menschlichen Körper umfassen. Am Ende erhofft man sich Unsterblichkeit. Nützliches Nebenprodukt: die totale Überwachung.

Transhumanistischer Traum: Nicht zuletzt die geplante Eroberung des Weltraums verlangt nach dem genetisch und technologisch optimierten Maschinenmenschen.

Transhumanistischer Traum: Nicht zuletzt die geplante Eroberung des Weltraums verlangt nach dem genetisch und technologisch optimierten Maschinenmenschen.

„Gehört uns unser Körper?“, fragte der amerikanische Professor und Richter Guido Calabresi bereits 2003 in einem wegweisenden Artikel. Diese scheinbar einfache Frage gewinnt heute zunehmend an Brisanz. Spätestens mit der Corona-Krise, als es plötzlich der Staat und nicht der Vertrauensarzt war, der uns sagte, wie wir mit unserem Körper umzugehen hätten, aber auch mit Tendenzen wie der kürzlich in der Schweiz eingeführten Widerspruchslösung bei Organtransplantationen, welche den Menschen ab Geburt automatisch zum Ersatzteillager für andere macht (wenn er sich nicht explizit dagegen wehrt), ist deutlich geworden: Der Anspruch, dass jeder Mensch selbst über seinen Körper entscheidet, gilt so nicht länger. Nicht länger ist die Unversehrtheit dieses Körpers ein fundamentales Menschenrecht. Und die Vorstellung, dass der Körper die Wohnstätte für etwas Höheres ist, etwa für die Seele, und daher behütet, respektiert und beschützt werden muss, ist angeblich längst überholt.

Die Tage nämlich, als wir noch glaubten, wir hätten eine Seele und einen freien Willen, seien endgültig vorbei, so der Autor und Hausphilosoph des World Economic Forum (WEF), Yuval Noah Harari. Menschen seien jetzt „Tiere, die gehackt werden können“, so Harari in einem CNN-Interview im November 2019. („Gehackt“ ist hier Computerjargon und meint nicht die Fleischverarbeitung. Obwohl, so groß ist der Unterschied wohl gar nicht mehr …) „Wir erkennen nun eine Zukunft, in der wir das Gehirn von den Begrenzungen des menschlichen Körpers befreien können“, jubelte 2017 auch Arati Prabhakar, die damalige Direktorin der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums.

Was diese Zukunft möglich machen soll, ist das sogenannte Internet der Körper (Internet of Bodies, IoB). Grob gesagt, handelt es sich hierbei um eine Verschmelzung des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT)1 mit dem menschlichen Körper. Der menschliche Körper, so heißt es in einem WEF-Bericht von 20202 , wird damit zur „neuen Technologieplattform“. Von dieser „noch nie da gewesenen Anzahl von Sensoren, die am menschlichen Körper angebracht, implantiert oder eingenommen werden, um den menschlichen Körper und sein Verhalten zu überwachen, zu analysieren und sogar zu modifizieren“, verspricht man sich eine gesündere, bequemere und sicherere Zukunft, die allerdings auch eine Menge Risiken birgt.

So „könnten die Daten aus dem Internet der Körper genutzt werden, um Vorhersagen und Rückschlüsse zu treffen, die den Zugang einer Person oder Gruppe zu Ressourcen wie Gesundheitsversorgung, Versicherung und Beschäftigung beeinflussen können“, orakelt das WEF. Im Klartext: Die Daten könnten also dazu verwendet werden, um zu entscheiden, ob eine Person beispielsweise im Krankenhaus noch behandelt wird oder ob sie überhaupt eine Arbeitsstelle bekommt. Doch damit nicht genug. Das Internet der Körper könne „letztlich auch die Art und Weise infrage stellen, wie wir über unseren Körper denken und was es bedeutet, ein Mensch zu sein“.

Der menschliche Körper soll schon bald zur Technologieplattform werden.

Der menschliche Körper soll schon bald zur Technologieplattform werden.

Wir haben es hier also mit einer Sache zu tun, die unmittelbar unser Dasein und unseren Lebenszweck tangiert und uns daher nicht gleichgültig sein kann. Wer Lösungen finden will, kann es sich nicht leisten, den Kopf in den Sand zu stecken, also sehen wir uns im Folgenden an, was man sich unter diesem „Internet der Körper“ denn überhaupt vorstellen muss. Seien Sie vorab versichert, was Sie hier lesen werden, sind weder Hirngespinste, noch ist es Science-Fiction. Tatsache ist, dass der WEF-Bericht die Wahrheit sagt, wenn es dort heißt: „Das Internet der Körper ist hier!“

Hauptsache „smart“

Obwohl es noch keine universell gültige Definition gibt, versteht man unter einem IoB-Produkt ein mit dem menschlichen Körper verbundenes Gerät, welches eine Software oder Datenverarbeitungsfunktionen enthält, mit einem mit dem Internet verbundenen Gerät oder Netzwerk kommunizieren kann und Informationen über den Körper einer Person misst beziehungsweise sammelt und/oder die äußere Umgebung oder die Funktionsweise des menschlichen Körpers verändern kann. So steht es beispielsweise in einem Bericht der RAND Corporation von 2021.3

Hier muss überdies auf die Rolle der Denkfabrik RAND Corporation aufmerksam gemacht werden. Alex Abella, Autor von „Soldiers of Reason: The RAND Corporation and the Rise of the American Empire“, erklärt: „RAND war und ist die wichtigste Organisation des Establishments. Während seiner gesamten Geschichte war RAND das Herzstück der Verflechtung von Pentagon-Begierden und finanzieller Raffgier, was Präsident Eisenhower als militärisch-industriellen-legislativen Komplex bezeichnen wollte. RAND hat die moderne Welt buchstäblich umgestaltet – nur wenige wissen es.“ Mit anderen Worten, man kann die RAND-Berichte als detaillierte Beschreibung dessen lesen, was schon geschieht oder bald geschehen wird.4

Das Internet der Körper lässt sich grob in drei „Generationen“ unterteilen, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden.5 Die erste Generation des Internets der Körper ist bereits Teil unseres Alltags geworden und somit fest implementiert. Es handelt sich dabei um Geräte, die sich außerhalb des Körpers befinden, oft auch „Wearables“ genannt. Viele dieser Produkte werden den Bereichen Lifestyle und Wellness zugeordnet, etwa Smartwatches oder Fitnessarmbänder, die beispielsweise die Herzfrequenz oder die Anzahl pro Tag gegangener Schritte messen. Die Nachfrage nach solchen Produkten wächst stetig, nicht zuletzt vorangetrieben durch die Einführung der 5G-Technologie. Konnte das 4G-Netz ungefähr 4'000 Geräte pro Quadratfuß (ca. 30 cm mal 30 cm) unterstützen, ist das mit 5G für eine Million Geräte auf derselben Fläche möglich. 2021 wurden mehr als 533 Millionen Wearables ausgeliefert; auf 51,6 Milliarden US-Dollar soll der Markt dieses Jahr anwachsen (zum Vergleich: 2015 betrug er 15,74 Milliarden Dollar).

Zu den Wearables gehören aber auch Hautpflaster oder Tattoos, welche beispielsweise für die Herz-Kreislauf-Überwachung, das Diabetes-Management, die Temperatur-, Schweiß- und Bewegungsmessung und andere Arten der Biomarker-Überwachung vor allem im medizinischen Bereich verwendet werden. Weitere Anwendungen sind elektronische, mit dem Smartphone verbundene Brustpumpen zum Abpumpen von Muttermilch, „smarte“ Brillen oder Exoskelette. Letztere sollen etwa Schlaganfall-Patienten des Wiedererlernen des Gehens erleichtern oder Querschnittgelähmten das Gehen überhaupt ermöglichen; allerdings hat an den „Roboteranzügen“ vor allem auch das Militär großes Interesse, um Soldaten stärker oder ausdauernder zu machen.

Wie schnell die Grenzen zwischen Nutzen (für den Träger) und Überwachung verschwimmen, zeigen elektronische Stirnbänder. Harmlosere Varianten helfen dem Träger, schnell einen Zustand der Meditation zu erreichen (natürlich, über diesen Nutzen kann man durchaus streiten) oder sollen gegen Depressionen nützen. In China andererseits werden solche Geräte bereits eingesetzt, um sicherzustellen, dass Schulkinder während der Stunde aufmerksam zuhören.