Wann ist der Mensch ein Mensch?

Wir alle kennen ihn gut, den Streit zwischen Kopf und Herz. Was uns im Privatleben oft ins Straucheln bringt, kann auf globaler Ebene verheerende Konsequenzen haben. Denn unsere Gesellschaft huldigt einer Form von Intelligenz, die in alter Zeit als eine mindere galt.

Verwirrt sein? Der Rechthaberei verfallen? Oder vielmehr kosmische Gedanken aus dem Universalen Bewusstsein herunterziehen?

Die deutsche Moderatorin Verona Pooth schrieb vor über 20 Jahren Werbegeschichte, als sie im TV-Spot für eine Telefonauskunft mit strahlendem Lächeln verkündete: „Da werden Sie geholfen!“

Desgleichen könnte man zu unserem Bildungssystem sagen: „Da werden Sie gedacht!“ Es beginnt bereits in der Volksschule und setzt sich an den höheren Bildungsstätten fort: Junge Menschen werden in ihrem Denken so geformt, dass sie später mal perfekte Arbeitskräfte abgeben. Man möchte keine Rädchen, die plötzlich aus der Spur springen. Doch nur ein Geist, der auch mal aus der Reihe tanzt, kann empfänglich für ganz neue, vielleicht gar geniale Ideen sein.

Die Coronakrise hat gezeigt, wie leicht sogar hochgebildete und äußerst intelligente Menschen Opfer von Propaganda werden. Was erstaunlicherweise nicht erstaunlich ist: Denn der heute so verehrte Intellekt ist in Wirklichkeit ein ziemlich beschränkter Ausdruck von Intelligenz. Zum einen ist er kalt, weil er nicht von Herzen kommt und deshalb auch die Seele nicht zu wärmen vermag. Und: Er scheitert fast immer, wenn es um ganzheitliche und vor allem neuartige Problemlösungen geht.

„Je mehr ich ‚gebildet‘ wurde, desto mehr verlor ich die Fähigkeit, eigenständig zu denken und Zugang zu den tieferen Fähigkeiten meines Geistes zu finden“, bringt es ein älterer US-amerikanischer Hausarzt auf den Punkt, der sich in seinen scharfsinnigen Blogs schlicht als „A Midwestern Doctor“ bezeichnet, einen Doktor aus dem Mittleren Westen der USA. Er habe in seiner langen Tätigkeit mit zahllosen Leuten zu tun gehabt, „von denen ich weiß, dass sie viel klüger sind als ich. Wenn ich jedoch unsere Fähigkeiten vergleiche, Dinge zu erreichen, Daten und Informationen richtig zu interpretieren, Patienten zu helfen oder ganz einfach ein glückliches Leben zu führen, dann bin ich diesen klugen Menschen weit voraus. Und wie oft habe ich feststellen müssen, dass sie ‚es‘ trotz ihrer Intelligenz einfach nicht ‚kapieren‘ und sich immer wieder von etwas ganz Offensichtlichem in die Irre führen lassen.“

Eine Erfahrung, die Sie vielleicht auch schon gemacht haben: Je gebildeter und studierter manche Leute sind, desto größer sind auch ihre Scheuklappen. Das ist auch eine Folge unseres Bildungssystems mit ernst zu nehmenden Konsequenzen für Patienten. „Ich habe mit zahlreichen Dekanen von medizinischen Fakultäten und mit Leitern von Facharztpraxen gesprochen, die beklagen, dass heute den Absolventen der medizinischen Fakultäten das kritische Denken fehlt, welches sie brauchen, um später als Ärzte ihren Patienten erfolgreich zu helfen“, so der Midwestern Doctor, „doch diese Leute erkennen nicht, wie ihr eigenes Handeln ihren Studenten das kritische Denken nimmt.“

Eigentlich ist es des Menschen geistige Freiheit, außerhalb der Konvention zu denken – und zu träumen. Schon der griechische Philosoph und Pädagoge Sokrates lehrte, dass Bildung in erster Linie helfen sollte, das im Innern schlummernde Wissen ins Bewusstsein zu holen. Wir jedoch halten Kinder für unbeschriebene Blätter – leere Datenspeicher, die man von außen mit Informationen füttern muss. Das schöpferische Potenzial des Menschen liegt jedoch in seiner Vorstellungskraft. Wer keine Bilder mehr träumerisch im Kopf erschaffen kann, verliert nicht nur die Macht seiner Gedanken, sondern meist auch die Verbindung zu seinem Inneren. Inspiration wirkt nämlich immer von innen heraus. Sie ist nicht das Resultat von Fakten und Informationen, die Lehrer, Berater und Experten uns eintrichtern. So funktioniert nur die kalte Logik eines Computers, dessen Algorithmen darauf angewiesen sind, möglichst viele Daten von außen zu sammeln. Und selbst korrekte Daten verleiten uns zu falschen Entscheidungen, wenn wir sie nicht richtig verstehen und interpretieren.

Die Quelle der Inspiration ist unser geistiges, göttliches Selbst. Nur wenn wir die Verbindung dazu haben, können wir Geniales erkennen und erschaffen. Und dies ist eine Ebene, die keine künstliche Intelligenz je erreichen wird. Deshalb kann KI das Unvorhersehbare auch nicht berechnen. Und deshalb liegen Computermodelle, auf die sich nicht bloß Epidemiologen oder Klimawissenschaftler so gerne verlassen, in ihren Prognosen erstaunlich oft massiv daneben.

Das Ziel: Fügsame Bürger

Vor ungefähr einem Jahrhundert begannen die globalen Führungsschichten damit, die Schulbildung nach ihren eigenen Bedürfnissen zu verändern. Die moderne Forschung und Lehrmeinung in Medizin und Wissenschaft sind die Auswirkung davon.1 Und die Völker bezahlen den Preis, weil beispielsweise die „Gesundheitskosten“ unaufhaltsam in schwindelerregende Höhen klettern.

Das eigentliche Übel aber ist die Versklavung unseres Denkens, wessen wir uns meist gar nicht gewahr sind. Frederick T. Gates war geschäftlicher Berater von John D. Rockefeller, zu seiner Zeit der reichste Mann der Welt. In seiner Eigenschaft als Direktor für Wohltätigkeit bei der Rockefeller-Stiftung schrieb dieser Gates 1913 über die geplante Einführung des staatlichen Schulzwangs und der damit einhergehenden Volksschule für alle Amerikaner: „Wir werden nicht versuchen, diese Menschen oder eines ihrer Kinder zu Philosophen oder Gelehrten oder Wissenschaftlern zu machen. Wir wollen aus ihren Reihen keine Schriftsteller, Redner, Dichter oder Literaten hervorbringen. Wir werden nicht nach großen Künstlern, Malern oder Musikern Ausschau halten. Wir werden auch nicht den bescheideneren Ehrgeiz hegen, aus ihrer Mitte Anwälte, Ärzte, Prediger und Staatsmänner zu wählen. (…) In unserer Vision unterwerfen sich die Menschen mit absoluter Fügsamkeit unserer formenden Hand.2

Es liegt auf der Hand: Diese absolute Fügsamkeit soll das Volk zu willfährigen Bürgern erziehen, die ihre von der Gesellschaft zugedachte Rolle brav ausfüllen. Und hart für die multinationalen Konzerne schuften. Herausragende Persönlichkeiten, welche die Menschheit in Bewusstsein, Kultur oder Errungenschaften für die Allgemeinheit voranbringen, sind darin nicht vorgesehen. Das soll dem kleinen Kreis der Oberschicht vorbehalten bleiben. So wird sichergestellt, dass allein jene von den Früchten solcher Verdienste kosten dürfen, deren noble Geburt sie schon dazu bestimmt hat.

Unser Doktor aus dem mittleren Westen betont denn auch, dass Absolventen von privaten (und teuren) Eliteschulen, „auf welche die herrschende Klasse ihren Nachwuchs schickt, mir wiederholt gesagt haben, der Bildungsprozess dort sei ganz anders als an den öffentlichen Schulen – so wird dort beispielsweise das selbstständige und kritische Denken bewusst gefördert.“ Jenen Kindern wird das unkonventionelle Lösen von Problemen beigebracht, während die Sprösslinge der Mittel- und unteren Klassen lernen, wie man möglichst viel auswendig lernt, um gute Noten zu bekommen. So wird „das breite Volk“ unbewusst darauf konditioniert, Gelerntes gemäß den ihm beigebrachten Regeln repetitiv abzurufen, anstatt tief in sich hineinzureichen, um dort nach den richtigen Antworten zu suchen.

Der österreichische Kulturkritiker, Philosoph und jüdisch-katholische Theologe Ivan Illich (1926–2002) ging daher mit den Volksschulen hart ins Gericht. Dank seinem 1971 veröffentlichten Buch Entschulung der Gesellschaft wurde er zum Vorbild vieler Pädagogen, welche die staatlichen Schulen kritisieren. In seinem Werk machte Illich die ins Auge springende Beobachtung, dass Menschen, die in einem starren Rahmen „gelehrt“ werden, einen Großteil ihrer angeborenen Fähigkeit zu „lernen“ verlieren.

Wir sollten uns also nicht über die zunehmende Verdummung der Jugend wundern. Oder dass die Pisa-Werte mit jeder neuen Bildungsstudie noch tiefer in den Keller rutschen und immer mehr Kinder kaum richtig lesen und schreiben können. Dahinter steckt ein Plan, der nach und nach Gestalt annimmt. So schleichend und langsam, dass nur wenige ihn erkennen.

Einer, der sich nicht täuschen ließ, war John Taylor Gatto. Der 2018 verstorbene US-amerikanische Pädagoge und Autor war in drei Jahren hintereinander als bester Lehrer sowohl der Stadt wie des ganzen Bundesstaates New York ausgezeichnet worden, zuletzt 1991. Im selben Jahr jedoch begründete er in einem Brief an das Wall Street Journal seinen Rückzug vom Schuldienst. Er vertrat die Ansicht, dass man die staatlichen Schulen und den damit einhergehenden Schulzwang „seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem als einen Wirtschaftszweig und als Machtinstrument der Regierung betrachtet“.

Quellenangaben