Der Traum von einer besseren Welt

Wie ein Bestseller-Autor dem geistigen Potenzial des Menschen huldigt und was das mit der Vision der amerikanischen Gründerväter zu tun hat: Auf der Spur faszinierender gnostischer Geheimnisse, welche die mächtigste Stadt auf Erden umranken

Kaum ein Autor der Moderne bewegt die Massen so sehr wie Dan Brown. Mit seinen von Hollywood verfilmten Thrillern Sakrileg (englisch: The Da Vinci Code) und Illuminati (englisch: Angels and Demons) brachte er nicht nur den Vatikan gegen sich auf, sondern verhalf den Weltstädten Rom und Paris zu einer völlig neuen Form des Sightseeings. Hunderttausende von Touristen sind bereits an die Schauplätze von Browns mysteriösen Schnitzeljagden durch Kirchen, Katakomben, Museen und Grabmäler gepilgert. Antikes Gemäuer wie in Europa gibt es in der Neuen Welt zwar nicht, doch wenn es um Geheimbünde, mystische Philosophie und symbolhafte Architektur geht, sticht die Stadt Washington jede Metropole auf dem Erdball aus.

Symbolische Architektur im Zentrum der amerikanischen Hauptstadt: Das „Federal Triangle“ (rot) ehrt Pythagoras..

So war es nur eine Frage der Zeit, bis Dan Brown die Hauptstadt der mächtigsten Nation zum Schauplatz eines seiner Romane machen würde. Fast ein halbes Jahr lang trieben wilde Spekulationen die verrücktesten Blüten und füllten Tausende von Internetseiten, nachdem Browns Verlag dessen neues Werk Das verlorene Symbol angekündigt hatte. Am 15. September 2009 wurde das englische Original The Lost Symbol schließlich veröffentlicht. Eine Million Bücher gingen an jenem Tag über den Ladentisch. Damit war Browns neuster Wurf „das sich am schnellsten verkaufende Buch aller Zeiten“ (The Guardian). Nicht nur Millionen von Lesern stürzten sich darauf, sondern auch die Autoren von Sekundärliteratur, die Bücher über die Bücher von Dan Brown veröffentlichen. Auch davon lässt sich offenbar ganz gut leben.

Sein Roman Illuminati ist ein Plädoyer für die Einheit von Wissenschaft und Religion, die seit der Aufklärung als unvereinbare Gegensätze dargestellt werden. In Sakrileg spielt Maria Magdalena eine wichtige Rolle, die irdische Gefährtin von Jesus und Mutter seiner Kinder.1 Und obwohl viele der darin enthaltenen Spekulationen nicht zutreffen, so hat Dan Brown mit diesem Buch einem Millionenpublikum dargelegt, dass in religiösen Dingen die Frau und das Weibliche an sich dem Mann wieder gleichgestellt werden müssen. In diesem Sinn ist Sakrileg auch eine Huldigung an die Göttin.

Das verlorene Symbol greift erneut das Thema von Ratio und Religion, von Vernunft und Theologie auf. Verpackt in die Handlung eines rasanten Thrillers gibt sich Dan Brown viel Mühe, die moderne Wissenschaft mit den alten Mysterien auszusöhnen. Eine seiner Romanfiguren prophezeit denn auch, der wichtigste Forschungszweig überhaupt werde bald schon die „Wissenschaft des Glaubens“ sein. In beinahe schon messianischem Eifer vermittelt der Bestseller-Autor seinen Lesern die eine, große Botschaft: Dass nämlich Gott im Menschen wohnt und der Mensch endlich sein göttliches Potential entfalten und zur Erleuchtung gelangen soll.

Eine Vision, welche Dan Brown mit den Gründervätern Amerikas teilt. Das notwendige irdische Fundament sollte durch die Vereinigten Staaten gelegt werden. Die Adepten der Menschheit hatten Amerika schon vor Jahrtausenden dazu ausersehen, dereinst das Land der Verheißung zu werden, ein Utopia der Aufklärung und des erleuchteten menschlichen Geistes. Dass die USA ihrem Potential gerade in der heutigen Zeit alles andere als gerecht werden, ist ganz bestimmt nicht die Schuld der Gründerväter, sondern die Folge eines fremden Einflusses, der Mammon an die Stelle von Gott gesetzt hat.

Dan Brown beginnt seinen Thriller mit einem Zitat des amerikanischen Philosophen und Mystikers Manly P. Hall, der 1928 mit The Secret Teachings of All Ages (dt.: Die geheimen Lehren aller Zeiten) ein okkultes Werk herausgegeben hatte, das in seiner umfassenden Einzigartigkeit bis heute wegweisend ist. Zu Halls Verehrern gehörten so herausragende Persönlichkeiten wie der Hochgrad-Freimaurer und amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt. In seinem Buch The Secret Destiny of America (dt: Das verborgene Schicksal Amerikas) schrieb Hall: „Schon vor Tausenden von Jahren, in Ägypten, wussten diese mystischen Orden von der Existenz der westlichen Hemisphäre und des großen Kontinents, den wir Amerika nennen. Daraus wurde die kühne Schlussfolgerung gezogen, dass dieser westliche Kontinent der Ort des philosophischen Reiches werden sollte. Wann genau dies geschah, lässt sich heute nicht mehr sagen, aber man gelangte mit Sicherheit vor Platons Zeit zu der Entscheidung, denn der Kern seines Traktats über die atlantischen Inseln ist eine kaum verhüllte Äußerung dieses Entschlusses.“2

Begeben wir uns also auf eine faszinierende Spurensuche zu den Anfängen einer einzigartigen Nation, die ihre wahre Größe erst noch erkennen und manifestieren muss.

Der Diamant am Potomac

Wer die Hauptstadt Amerikas schon einmal besucht hat, wird unweigerlich von ihrem kühnen, majestätischen Grundriss und den vielen eindrucksvollen „antiken Tempeln“ in Bann geschlagen. Es gibt keine Stadt der Welt, die mehr Hinweise auf okkulte Symbolik, Sternzeichen und Sternenkarten enthält. Denn sie ist nicht über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende natürlich gewachsen, sondern am Reissbrett entworfen worden.

Im Jahre 1790 erhielt George Washington als der erste Präsident der Vereinigten Staaten den Auftrag, für die noch junge Nation eine Hauptstadt zu kreieren, die alles ausdrücken sollte, wofür der amerikanische Geist stand. Kein Wunder also, dass die beiden Städte Athen und vor allem Rom architektonisch Pate standen, verkörpern sie doch die Hochblüte des menschlichen Geistes, als welche die Antike im Zeitalter der Aufklärung betrachtet wurde.3 So steht beispielsweise das US-Kapitol auf dem Capitol Hill, eine Verbeugung vor dem Kapitol, einem der Sieben Hügel Roms. Eine weitere Reminiszenz an die Ewige Stadt ist der Tiber Creek, ein kleines Flüsschen, das durch die US-Hauptstadt fließt. Und auch der Beiname von George Washington – „Vater der Nation“ Pater Patriae – ist eine Bezeichnung, die wir von den altrömischen Kaisern kennen.

„Die Stadt Washington liegt am Ufer des Flusses Potomac wie ein schillernder Diamant inmitten der sanften Hügel von Virginia und Maryland“; schreibt Simon Cox in seinem „Dan-Brown-Analysebuch“ Das verlorene Symbol entschlüsselt. „Tatsächlich wurde der ursprünglich rund 260 Quadratkilometer umfassende Distrikt von Columbia [deshalb die im Englischen gebräuchliche Abkürzung Washington D.C.] einst in Form eines Diamanten angelegt, dessen Ecken in die vier Himmelsrichtungen zeigen.“ Weil aber die Stadt weniger schnell wuchs als erwartet, gab man das westlich vom Potomac gelegene Gebiet wieder an Virginia zurück, woraus die heutige Form und Größe des Distrikts resultiert.

Der Diamant, Symbol für die unbefleckte Reinheit des Geistes, verkündete aller Welt, dass die Hauptstadt der USA nicht nur ein leuchtendes Kleinod sondern auch zum diamantenen Herz Amerikas werden sollte. Und das nicht bloß im übertragenen Sinn. Thomas Jefferson, der dritte US-Präsident, wollte nämlich einen geographischen Nullmeridian für die westliche Hemisphäre einführen, der mitten durch Washington gegangen wäre. Die entsprechende Stelle am einstigen Ufer des Potomac und nur einen Steinwurf vom heutigen Washington Monument entfernt, wurde lange Zeit von einem behauenen Stein markiert, den man Jefferson Pier nannte.

Mit Hilfe von George Washington und Thomas Jefferson fertigte der französische Architekt Pierre L’Enfant die ersten Entwürfe für die Stadtplanung an. Heute ist die amerikanische Hauptstadt um ein gigantisches christliches Kreuz angelegt, welches von fünf der eindrucksvollsten Bauwerke gebildet wird: Der Fuß des Kreuzes ist durch das US-Kapitol gekennzeichnet (Osten) und die Spitze durch das Lincoln Memorial (Westen), während der Querbalken durch das Weiße Haus (Norden) und das Thomas Jefferson Memorial (Süden) begrenzt wird. Nicht zufällig steht im Herzzentrum des Kreuzes das Washington Monument, der größte Obelisk auf Erden.

Die gesamte Fläche des stadtplanerischen Kreuzes sind öffentliche Parkanlagen und Grünflächen (die National Mall & Memorial Parks). Dort stehen ausschließlich Gebäude für das Volk: Denkmäler großer Persönlichkeiten und amerikanischen Heldenmuts, welche die Menschen zu edlem Handeln inspirieren sollen; das Weiße Haus, Sitz des Präsidenten (Exekutive), das US-Kapitol, Sitz des Kongresses (Legislative) und der Oberste Gerichtshof (Judikative), welche die Gewaltenteilung in einer Demokratie verkörpern und darüber zu wachen haben, dass der Staat seinem Volk gerecht dient; des Weiteren die Library of Congress – mit über 142 Millionen Büchern die größte Bibliothek der Welt – ein Hort unschätzbaren Wissens und ursprünglich dazu bestimmt, den amerikanischen Politikern dabei zu helfen, die Geschicke ihres Landes weise zu lenken; und nicht zuletzt die verschiedenen großartigen Museen der Smithsonian Institution, welche jedes auf seine Weise den kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Menschheit huldigen. Wer sie betreten will, braucht keinen Eintritt zu bezahlen, ganz dem Grundsatz verpflichtet, dass Bildung das Rückgrat einer Gesellschaft ist.

Als Pierre L’Enfant 1791 den ersten Entwurf für die Stadt vorlegte, bildeten die beiden Hauptblickachsen indes kein Kreuz, da die jetzigen Standorte des Jefferson- und des Lincoln-Memorial noch für weitere hundert Jahre unter dem Wasser des Potomac liegen sollten, dessen Fluten unmittelbar westlich des heutigen Washington Monuments ans Ufer schlugen. So entstand im Zentrum der Stadt stattdessen ein großes „L“ oder ein Dreieck – was darauf hinweist, wie stark sich die Gründerväter Amerikas dem philosophisch-mystischen Gedankengut der Antike verpflichtet fühlten. Denn das rechtwinklige Dreieck von Pythagoras steht sinnbildlich für den wohl bedeutendsten Denker des alten Griechenland.

Ein himmlisches Dreieck

Sinnigerweise spricht man denn auch vom Federal Triangle (dem „Bundes-Dreieck“). Die Längsseite (geometrisch gesprochen die „Hypotenuse“) wird durch die Pennsylvania Avenue bestimmt, welche vom Weißen Haus zum US-Kapitol führt. Die jeweiligen Verbindungslinien dieser beiden Gebäude zum architektonischen Herzen der Stadt, dem Washington Monument, bilden die anderen senkrecht aufeinander stehenden Seiten des Dreiecks (die beiden „Katheten“).

Spätestens jetzt fällt dem aufmerksamen Betrachter des Stadtplans auf, dass das Washington Monument etwas nach rechts verschoben ist. Das Denkmal steht heute nicht genau an jenem Ort, wo es eigentlich hätte errichtet werden sollen, sondern tatsächlich 119 Meter nach Osten versetzt: Der Boden am ursprünglichen Ort war zu sumpfig, um das Gewicht der Steinsäule zu tragen. Heute erinnert dort ein kleiner Granitblock an den von Thomas Jefferson geplanten zweiten Nullmeridian der Vereinigten Staaten.

Von all den Geistesgrößen der Antike wählte man diese geometrische Referenz an den „Weisen von Samos“ aus gutem Grund. Der Philosoph Pythagoras4 lebte im sechsten Jahrhundert vor Christus und gilt als Begründer der Mathematik und Naturwissenschaft. Gleichzeitig war er einer der wichtigsten Eingeweihten in der Geschichte der Menschheit und gründete die einflussreiche religiös-philosophische Schule der Pythagoräer, deren Gedankengut durch die Jahrhunderte hindurch in vielen mystischen Geheimgesellschaften überliefert und hochgehalten wurde. So auch bei den Freimaurern, als diese noch vorbehaltlos dem Licht verpflichtet waren. Die Freimaurerei spielte sowohl bei der Gründung der Vereinigten Staaten wie auch bei der Planung der Stadt Washington eine wichtige Rolle. George Washington selbst war bei seiner Amtseinführung als amerikanischer Präsident der „Meister vom Stuhl“ (Vorsitzende) einer Freimaurerloge in dem heute nahe der Hauptstadt gelegenen Städtchen Alexandria. Dort steht auch das George Washington National Masonic Memorial, ein dem Leuchtturm von Pharos5 nachempfundenes Museum, das die Freimaurer zu Ehren des ersten US-Präsidenten erbauten.

Freimaurerische Rituale nahmen bei der Entstehung der amerikanischen Hauptstadt eine zentrale Stellung ein. So führte George Washington am 18. September 1793 eine Parade zum Standort des geplanten US-Kapitols und legte den Grundstein. Bei den Feierlichkeiten trug der Präsident seinen Freimaurerschurz und opferte gemäß der freimaurerischen Tradition Getreide, Wein und Öl. Dann glättete er den Mörtel mit einer eigens für den Festakt angefertigten Silberkelle. Heute kann man diese Zeremonie auf einem Fresko im Kapitol bewundern. Die Grundsteine von beinahe allen wichtigen Gebäuden in Washington wurden ebenfalls mit Freimaurerzeremonien geweiht. Das gilt natürlich auch für das Weiße Haus und das Washington Monument, den beiden anderen Eckpunkten des Federal Triangle. Diese drei Gebäude verbindet noch eine weitere Besonderheit: Obwohl die Grundsteinlegung in unterschiedlichen Jahren erfolgte, war die astrologische Konstellation immer genau gleich: Der aufsteigende Mondknoten (Caput Draconis) befand sich jeweils im Zeichen der Jungfrau. Menschen mit diesem Mondknoten im Geburtshoroskop sollen Fleiß, Geduld und die Fähigkeit, sich selbst optimal zu organisieren, erlernen. Für eine Nation bedeutet dies, dass sie gleichsam aus dem Chaos eine Ordnung hervorbringt – Ordo ab Chao, ein Wahlspruch, der uns bald noch einmal begegnen wird.

18. September 1793: An diesem astrologisch bedeutsamen Tag legt Präsident George Washington in vollem Freimaurerornat den Grundstein zum US-Kapitol.

Der Autor David Ovason behauptet in seinem Buch The Secret Architecture of Our Nation’s Capital (“Die geheime Architektur unserer Hauptstadt”), Washington enthalte etwa zwanzig vollständige Tierkreise, wobei das Zeichen der Jungfrau die wichtigste Rolle spiele. So soll das Federal Trianglegemäß Ovason eine irdische Darstellung des himmlischen Dreiecks sein, das die Hauptsterne im Sternbild Virgo (Jungfrau) ausmachen: Arktur falle auf das Weiße Haus, Regulus auf das Kapitol und Spica entspreche dem Washington Monument.

„Wer verfügt heute schon über eine Vorstellungskraft, wie sie Pierre L’Enfant im Frühjahr 1791 hatte, als er Washington in Relation zu einer himmlischen Achse sah und damit begann, der amerikanischen Landschaft ein geometrisches Muster aufzudrücken, welches das revolutionäre Prinzip der jungen Nation perfekt widerspiegelte?“, fragt Nicholas Mann in The Sacred Geometry in Washington DC. „Die Stadt, die L’Enfant erträumte, entwarf, und an die er leidenschaftlich glaubte, sollte alles übertreffen, was sich die Menschen der damaligen Zeit überhaupt vorstellen konnten.“

Quellenangaben